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"Nasse Frauen fand er für sich zu viel"

21.November 1967: Der Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann liest im DLF.

    Rolf Dieter Brinkmann: Das Mädchen, mit dem sie sich beide zu Anfang einmal beschäftigt hatten, weil sie es hin und wieder in der Hochschule trafen, und das ganz in der Nähe wohnte, ein paar Häuser weiter weg als sie, über dem Lebensmittelladen an der Kreuzung, war von Gerald längst schon wieder abgetan worden. Sie sei nicht sein Typ. Wenn man sie sich näher ansehe, werde er das Gefühl nicht los, sie stinke. Eine nasse Frau. Nasse Frauen fand er für sich zu viel. Sie sollten trocken sein, kühl, gleichmäßig glatt mit kleinen, festen, kindlich runden Hintern, durchgehend schlank, eben schön, überall gleich. Fotografieartig überall am ganzen Körper, in ihren einzelnen Bewegungen wie insgesamt, weitgehend ähnlich, so wie auf den ausgeschnittenen Bildern, den Fotos aus Zeitschriften ohne Geruch, die Gerald sich auch in seinem Zimmer an die Wände gesteckt hatte. ( ... )

    Ein festes System von Bezugspunkten aus glatten, nackten Hautstücken, flachen kleinen Hintern, kindlich-runden Wölbungen, Schultern, gebeugten Nacken, Haar, das weich wegfällt und nicht riecht, die Achselhöhle ausrasiert, kleine weiße Mulden, und die Brüste kaum merklich nach unten hängend mit der Spitze nach oben. Körper ohne Gewicht, äußerst fragile Gestalten in leichten, elegant lose dekorierten Kleidungsstücken, zu leicht, um sie fester an sich heranziehen zu können, sie anzufassen. Ganz eingetaucht in ein poröses, feinkörnig sprödes Licht, die Gesichter in dem elektrischen Licht halb weggerutscht bis auf einige angedeutete Linien. Lippen, Wangenknochen, das Kinn, die Stirn, sich fortsetzend immer so weiter in einem imaginären Raum, ausgedehnt im Kopf und dort, in dem randlosen Raum flackernd, das Flackern der Bilder, selbst auch imaginär, immer weiter, so, eins ins andere geronnen, seine, Geralds Voraussetzung.

    Sendezeichen aus 50 Jahren DLF
    50 Jahre Deutschlandfunk