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Nationaler Ausverkauf?

In gut einem Monat wird in der National Gallery in London eine Ausstellung eröffnet, die die Arbeit des National Heritage Memorial Fund würdigt – jener Organisation, die sich dafür einsetzt, nationale Kulturgüter vor dem Verkauf ins Ausland zu retten. Dieser Nationalfonds hat unter anderem Werke von Holbein und Altdorfer, von Poussin und Terbrugghen angekauft. Zwei andere weltberühmte Gemälde hingegen werden in Kürze das Land verlassen - in Richtung USA.

Jürgen Krönig im Gespräch | 17.08.2005
    Koldehoff: Jürgen Krönig in London, bislang galten die britischen Adligen doch als die treuesten Hüter der Kunstschätze ihres Landes. Jeder Verkauf wäre noch vor Jahren ein unpatriotischer Akt gewesen. Was hat sich da geändert?

    Krönig: Man kann es auf einen simplen Nenner bringen, Herr Koldehoff Mammon, Geld. Die Summen die da im Gespräch sind, sind inflationär, sind atemberaubend. Aber es steht fest, dass der Herzog von Northhumberland 35 Millionen Pfund - das sind ungefähr 50, 55 Millionen Euro - für die Nelkenmadonna erhält. Und nun will auch jemand anders sehr viel Geld haben. Der Earl of Halifax, den Sie erwähnten, der verlangt 50 Millionen Pfund, das sind ungefähr 75 Millionen Euro, für Tizians Porträt eines jungen Mannes. Und das ist eben einfach ein Preis, bei dem dann auch die von Ihnen erwähnte Institution, die sich darum bemüht, diese Kunstwerke im Lande zu halten, einfach passen muss, trotz der Lotteriegelder, die zum Teil auch darein fließen, trotz der Anstrengungen, trotz des Appells an den Katholizismus, ist das einfach zu viel. Und wenn private Auktionshäuser oder private Sammler oder Museen wie das Getty Museum zulangen wollen unbedingt und solche Preise zahlen, dann hält sie nichts auf.

    Koldehoff: Und das Getty Museum ist in diesem Fall der Konkurrent, gegen den Großbritannien verliert?

    Krönig: In diesem Fall ja, ganz eindeutig jedenfalls, was die Nelkenmadonna betrifft. Bei dem anderen Bild weiß man es noch nicht, da hat der Earl of Halifax vielleicht zu hochgepokert, das sagen jedenfalls Kritiker, sagen einfach, er ist gierig. Und Sie erwähnten am Anfang die Rolle der Adligen, nun gab es natürlich immer wieder Versuche, das Erbe zu verscherbeln zu hohen Preisen, aber insgesamt ist es richtig, dass die Aristokratie in Großbritannien sich eine Nische geschaffen hat als Bewahrer der Kunst. Sie öffneten ihre Häuser, sie öffneten ihre Schlösser, sie zeigten ihre Sammlungen, sie gaben an die National Gallery, wie in dem Fall der beiden Gemälde, die wir erwähnten. Und was besonders verärgert natürlich, ist, dass sie dafür sehr viele Steuervergünstigungen eingeheimst haben, dass man sie lobte dafür. Natürlich muss man sagen, geht es auch weiter, es gibt unheimlich viele Besucher, die immer in diese Häuser strömen, nicht zuletzt auch aus Deutschland, in die Gärten, in die Gemäldegalerien. Aber jetzt sagt man eben, sie sind zu gierig geworden, und wenn es wirklich hart auf hart kommt, dann ziehen sie den Mammon allemal der eigenen Nation vor.

    KOLDEHOFF: Wie waren denn die Reaktionen in der Öffentlichkeit, als bekannt wurde, dass beide Bilder das Land verlassen sollen? Hat es so etwas wie Spendenaufrufe gegeben? Hat man versucht, die Bilder im Lande zu halten?

    Krönig: Ja, man hat es versucht, aber es ist schon ausgeschlossen, beide Gemälde werden weggehen, es gibt keine Chance, sie zu halten. Angesichts der Preise muss auch der National Heritage Memorial Fund, dessen Ausstellung im September beginnt in der National Gallery, passen. Und insgesamt ist es so, dass natürlich die Linken und Linksliberalen, die sowieso sich immer am Einfluss der Aristokratie gestoßen und gerieben haben, dass die jetzt sagen: Seht her, die Aristokratie ist korrupt und geldgierig und sie verdient es nicht, so unterstützt zu werden. Ich glaube, das ist vielleicht ein etwas zu pauschaler, klassenkämpferischer Vorwurf. Aber natürlich, der Ärger ist da, insbesondere wenn man weiß, dass es keinen Weg gibt, hier einzugreifen und die Aristokraten zur Umkehr zu bewegen. Und was natürlich auch besonders ärgerlich für die National Gallery in London ist, dass man sie noch nicht einmal informiert hat darüber, dass die Absicht des Verkaufes besteht. Man hat einfach die National Gallery vor vollendete Tatsachen gestellt.

    Koldehoff: Nun könnte man ja trotz aller Verärgerung so einen Verkauf auch positiv sehen, oder ihm zumindest positive Aspekte abgewinnen, wenn man weiß, dass in vielen, vielen Landhäusern und Landschlössern in Großbritannien noch sehr, sehr wertvolle Werke aufbewahrt werden und dass es da auch immer wieder zu Diebstählen kommt. Vor zwei Jahren - ganz spektakulär - wurde ein Madonnenbildnis von Leonardo da Vinci aus Schloss Drumlanrig Castle gestohlen. Und der ehemalige Leiter der Kunstabteilung bei Schotlandyard Charles Hill sagt, ihm sei bekannt, dass inzwischen systematisch Banden - vor allem aus Osteuropa - über die Insel ziehen, um solche Schatzkästlein zu plündern. Kann man nicht auch sagen, die Bilder, die jetzt nach Amerika gehen, sind dort wenigsten in Sicherheit?

    Krönig: Also die Aristokraten, die hier verkaufen, haben noch nicht einmal dieses wunderbare Argument, dass Sie nun da aufbereitet haben, benutzt. Zu Recht nicht benutzt, weil ja beide Bilder als Leihgaben in der National Gallery hingen, also man sich um die Sicherheit nicht sorgen musste. Aber das Problem Sicherheit ist sicherlich ein reales. Aber es hat, glaube ich, in diesem Fall keine Rolle gespielt, sondern hier ging es einfach um Geld.

    Koldehoff: Jürgen Krönig über den Kunstsupermarkt Großbritannien.