Archiv


Nationales Forum für den Tanz

Zwölf Millionen Euro wird die Bundeskulturstiftung in den kommenden Jahren in den Tanz investieren, so sieht es der "Tanzplan Deutschland" vor. Den Anfang machte ein Kongress der Superlative nach dem Vorbild der deutschen Tänzerkongresse aus den 20er Jahren: Tänzer, Choreographen, Wissenschaftler, Kritiker, Produzenten und Politiker trafen am vergangenen Wochenende im Berliner Haus der Kulturen der Welt zum Mega-Kongress zusammen.

Von Gabriele Wittmann |
    Schade, das Thema war so schön - wäre es nicht untergegangen. Liegt in der Kunstform Tanz ein Wissen, das für unsere Gesellschaft heute wichtig sein könnte - und welches Wissen wäre das? Und ist dieses Wissen seinerseits in Bewegung - hinterfragt, verändert es sich, im Tanz ebenso wie in der Theorie über Tanz?

    Um diese klug gewählte, in eine doppelte Richtung geworfene Fragestellung sollte es gehen auf dem Tanzkongress Deutschland. Doch der Anlass wurde zum Problem: Veranstaltet und finanziert durch den von der Bundeskulturstiftung initiierten Tanzplan Deutschland musste der Kongress vor allem eines sein: Eine selbstbewusste Präsentation all dessen, was im Tanz inzwischen erreicht wurde. Eine Leistungsschau also aus über 40 Vorträgen und Podien, dargeboten überwiegend in klinischen Zeit-Vitrinen.

    Die Akademiker referierten über ihren Forschungszweig, die Tanzhochschulen stellten ihre tief greifenden Reformen vor, ein Gremium der neu gegründeten bundesweiten "Ständigen Konferenz Tanz" lauschte andächtig der Empfehlung von Wolfgang Schlumm vom Bundesministerium für Forschung und Bildung, man solle sich doch am geplanten Integrationsgipfel der Bundesregierung beteiligen; und niemand widersprach, als die geladenen lokalen Politiker sich die nach zwanzig Jahren Kampf durch die Tanzszene erwirkten Veränderungen selbst an die Brust hefteten.

    Nach dreieinhalb Tagen stillen Erduldens entlud sich auf dem Abschlusspodium eine aufgestaute Welle der Kritik: Dieser Kongress sei nicht - wie seine legendären Vorbilder - von einer künstlerischen Bewegung getragen, sondern von der Kulturpolitik, man fühle sich unerreicht, beklagten Choreografen. Zu akademisch, zu schlecht sei die Qualität der Kommunikation, und, so die langjährige Leiterin des Hebbel-Theaters, Nele Hertling: Die Präsentationen seien insgesamt zu friedlich verlaufen, zu wenig hinterfragt worden. Macht die neue Nähe zur Macht also stumm?

    Doch zurück zu unserem vernachlässigten Thema: Wissen in Bewegung. Es war eine kluge Entscheidung des Kongressteams, auch Positionen aus dem Ausland einzuladen - und damit der deutschen Nabelschau etwas entgegenzusetzen. Und hier kamen tatsächlich Impulse, das stabile Wissen ins Wanken zu bringen.

    Kontrovers geriet beispielsweise die Runde über Inter-Kulturalität. Wir haben den Jet-Lag des Post-Kolonialismus immer noch nicht überwunden, zitierte Andre Lepecki aus New York. Und hier regte sich Widerspruch aus dem Publikum. Aus Indien, aus Brasilien, aus dem Iran kamen Fragen, wie lange der Westen denn noch festhalten wolle an überholten Positionen in Bezug auf Inter-Kulturalität.

    Doch eine durch Lepecki zitierte Position bleibt interessant: Es sei ebenso ein kolonialer Akt, den Anderen de-kodieren, also verstehen, und damit übersetzen zu wollen in sein eigenes System, wie den anderen zu "respektieren" - da man ihn dann auch wieder nur als das "Andere" auf Abstand halte. Diese Feststellung ist interessant, gilt sie doch möglicherweise auch für den Tanz: Die Wissenschaft hält ihn sich vom Leibe, indem sie einerseits versucht, ihn in ihr eigenes System zu integrieren, in "geliehene" Theorie also. Oder sie respektiert den Tanz als das Andere - die unberührbare Kunst.

    Und so klagte auch der Kultursoziologe Rudi Laermans aus Belgien über die "sehr deutsche" Auffassung von Wissen, die sich aus einer Tradition der Theaterwissenschaft entlehnt, und Tanz "lesen" will, anstatt sich beispielsweise anthropologisch mit ihm zu beschäftigen. Und aus England fragte die Kunsthistorikerin Iris Rogoff, was man eigentlich vorhabe mit einer Definition von Wissen, die noch aus dem Zeitalter der Aufklärung stamme: Dass man Wissen nämlich anhäufen könne. Es sei doch aber so, dass der Prozess des Wissens immer auch ein Aufgeben von Wissen sei, eine Transformation nämlich. Eine wunderbare, sehr körperlich gedachte Position.

    Es gab sie also auch: Anregungen, die die Auseinandersetzung im und mit Tanz in Deutschland fruchtbarer machen könnte. Dass der zeitgenössische Tanz, der - wie Rudi Laermans es ausdrückte - den übersehenen Körper zum Thema hat, den alltäglichen, meist nicht wahrgenommenen Körper also, auch das zeigte zum Schluss das Stück "Go" der amerikanischen Choreografin Lisa Nelson. Hätte man ihr Stück auch einer theoretischen Reflektion unterzogen, oder auch die Tänzer von William Forsythe, die zum Auftakt das Stück "N.N.N.N." tanzten, selbst über das Denken in Bewegung referieren lassen - es wäre vermutlich viel mehr dabei herausgekommen über den Gegenstand, den man doch eigentlich hatte aufsuchen wollen.