Freitag, 19. April 2024

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Nationalismus im französischen Wahlkampf
"Es ist eine Art Asterix-Komplex"

Ganz Frankreich sei belagert von der bösen Globalisierung, vom bösen Europa: Dieses Bild versuchten sowohl Marine Le Pen vom Front National als auch der Links-außen-Kandidat Jean-Luc Mélenchon zu vermitteln, sagte Jürgen Ritte, Professor an der Pariser Sorbonne, im DLF. Das sei wie bei Asterix, nur, dass dieser lustiger sei.

Jürgen Ritte im Gespräch mit Julian Ignatowitsch | 13.04.2017
    Marine Le Pen bei einem Wahlkampfauftritt.
    Frankreich als Nation: Dieses zentrale Motiv bemühen sowohl rechte als auch linke Präsidentschaftskandidaten in Frankreich. (dpa / picture-alliance / Marc Ollivier)
    Jürgen Ritte: Alle Themen werden diesem Thema untergeordnet, und die nationale Frage ist natürlich die ... eine defensive. Dieses Land faltet sich immer mehr auf sich zurück, es ist im Grunde genommen eine Art Asterix-Komplex, obwohl Asterix viel lustiger ist als das, was wir im Moment erleben. Aber es ist eine Art Asterix-Komplex, das heißt, ganz Frankreich ist belagert von der bösen Globalisierung, von dem bösen Europa, die ganze Welt ist davon belagert, und es gibt einen Widerstandshort und der ist dann eben Frankreich.
    So in etwa könnte man es humoristisch sehen. Leider ist das eine Vision der Dinge und eine Sicht der Dinge, ein politischer Diskurs, der offenbar in der Bevölkerung immer weiter ankommt, die gleichzeitig doch von dieser Globalisierung sehr profitiert hat in Frankreich, aber die Ängste, die vor der großen, weiten Welt in Frankreich geschürt werden, scheinen offenbar auf fruchtbaren Boden zu treffen. Leider auch, und in ganz starkem Maße, bei jungen Wählern, die sowohl vom Front National sich angesprochen fühlen, bei den letzten Regionalwahlen haben 30 Prozent der jungen Wähler Front National gewählt, das ist sehr bedenklich, und Jean-Luc Mélenchon hat traditionell sehr starken Rückhalt bei den Jungen, vor allen Dingen bei den etwas besser ausgebildeten Jungen, das sehe ich an meiner Universität.
    "Jean-Luc Mélenchon ist auf jeden Fall eine Gefahr"
    Julian Ignatowitsch: Nun ist der Links-außen-Kandidat, der ja gerade in den Umfragen stark zulegt, von seiner Rhetorik – widersprechen Sie mir, wenn Sie das anders sehen –, würde ich sagen, einer Marine Le Pen nicht ganz unähnlich. Ist der jetzt eher eine Gefahr für Le Pen oder hilft er ihr dann vielleicht in möglichen Stichwahlen?
    Ritte: Na, das werden wir sehen. Er ist auf jeden Fall eine Gefahr, und was Sie sagen, ist richtig, das ist sehr, sehr bedenklich: Der Diskurs gegen die Eliten, der ja überall in der Welt inzwischen einen ziemlichen Erfolg hat, ausgerechnet geführt wird von Leuten, die ja selbst zu einer Elite gehören ... Aber das ist ähnlich wie in Amerika, das ist ähnlich wie in anderen Ländern. Der Diskurs gegen die Elite ist ein populistischer Diskurs, der funktioniert und der unterscheidet sich leider bei Mélenchon nicht sehr von dem, was Le Pen sagt. Da ist die gleiche Utopie eines alles versorgenden, sich um alles kümmernden sozialen Staates dahinter. Und das ist etwas, was in Frankreich offenbar noch immer sehr gut ankommt, wo das Wort "liberal" ein Wort ist, das Sie immer nur in Anführungszeichen benutzen dürfen, denn es ist ein böses Wort.
    Und wenn Sie die Diskurse, die Wahlreden von Le Pen und von Mélenchon sich anhören, aber selbst von Benoit Hamon, dann werden Sie immer wieder auf dieses Wort kommen: "libéral", "Europe", "globalisation", "mondialisation", das sind alles die No-go-Wörter für diese Leute. Und damit haben die offenbar einen großen Erfolg.
    "Die Nation ist in Frankreich ganz anders verankert als in Deutschland"
    Ignatowitsch: Ich habe das Gefühl, bei manchen dieser Sätze schwingt auch eine Mystik mit.
    Ritte: Ja, das Nationale ist in Frankreich natürlich ganz anders verankert als in Deutschland. Ich will jetzt nicht unbedingt sagen "unschuldiger", aber in Deutschland ist es eben geradezu obsolet geworden nach dem Missbrauch dessen, was Nation und was national ist und was nationalistisch ist und so weiter. Das hat in Frankreich eine etwas andere Geschichte, die Nation ist das – das gilt für Jean-Luc Mélenchon vor allen Dingen –, das ist das Volk. Die Nation ist das, was sich in der Französischen Revolution erst gebildet hat. Bis dahin verkörperte sich der Staat, die Nation im König, jetzt verkörpert sich die Nation im Volk. Das ist der positive Begriff der Nation. Und an den knüpft in gewisser Weise, mit einigem Pathos, Jean-Luc Mélenchon an, den viele auch mit einem neuen Robespierre vergleichen, also einem, der nicht zögert, auch mit relativ brachialer Gewalt gegen Andersdenkende vorzugehen.
    Bei Le Pen ist es ein bisschen anders. Die extreme Rechte kann sich in Frankreich ja nicht auf die Revolution berufen, tut das auch nicht. Aber sie beruft sich auf das Bild eines ewigen Frankreichs, das ist dann mal die älteste Tochter der Kirche, la fille ainée de l'église, wie es heißt, dann wird dann Jeanne d'Arc bemüht, sie berufen sich auf dieses katholische noch ältere Frankreich als das revolutionäre Frankreich – das ja ein sehr reaktionäres Frankreich ist, das ein sehr antisemitisches Frankreich ist, wie wir jetzt wieder letzte Woche gehört haben. Auch Marine Le Pen, die sich sehr bemüht hat, nicht antisemitisch zu sein, und lieber auf die Einwanderer aus dem Maghreb prügelt, auch ihr rutscht es dann ja doch immer wieder heraus, sie ist eine Antisemitin, ich glaube, da gibt es gar keinen Zweifel.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.