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Nationalisten im Aufwind
Korsikas Künstler wollen mehr Eigenständigkeit

Viele Korsen wollen sich nicht aus Paris vorschreiben lassen, was für sie gut und richtig ist. Seit dem Wahlerfolg im vergangenen Dezember sind die Nationalisten im Aufwind. Vor allem die Jugend und die Künstler haben die Nase voll von der alten Clanpolitik, die der französischen Regierung eher wohlgesonnen war.

Von Birgit Kasper | 05.08.2016
    Eine korsische Flagge: Der schwarze Kopf mit weißer Stirnbinde gilt als Symbol korsischer Freiheit.
    Eine korsische Flagge: Der schwarze Kopf mit weißer Stirnbinde gilt als Symbol korsischer Freiheit. (imago/blickwinkel)
    Ganz entspannt stehen Daniel Vicensini und José Oliva in Jeans und T-Shirt mit ihren Gitarren auf der kleinen Bühne des Korsika-Museums in Corte. I Mantini sind bekannt für ihre macagna. So nennt man die traditionelle korsische Art und Weise, Dinge, Begebenheiten oder Personen ins Lächerliche zu ziehen. Während des Soundchecks und der kurzen Probe vor dem Konzert erklärt Daniel, dass I Mantini mit diesen Chanson-Karikaturen selbst Dinge aufs Korn nehmen, die ihnen wichtig sind. Zum Beispiel die Korsisch-Lehrer. Und das, obwohl Daniel und José die Forderung der nationalistischen Regionalregierung teilen: Korsisch sollte neben Französisch zweite Amtssprache auf der Insel werden. José erinnert sich, dass es in seiner Jugend offiziell verboten war, Korsisch zu sprechen:
    "Man schlug mir in der Schule mit dem Lineal auf die Finger. Auch meine Eltern sagten, ich müsse Französisch sprechen, um mich besser zu integrieren und später einen Job zu finden. Korsisch galt zu der Zeit als tote Sprache der Landbevölkerung. Es wurde komplett unterdrückt."
    Korsisch ist eine lebendige Sprache
    Inzwischen kann man an vielen Schulen Korsisch lernen, die Universität bietet ebenfalls einen Studiengang an. Korsisch ist eine lebendige Sprache, die man auf der Insel häufig hört. Aber die Regierung in Paris will sie keinesfalls als zweite offizielle Sprache zulassen. Daniel hält das für einen Fehler:
    "Man könnte doch auch sagen, wir warten gar nicht mehr auf den französischen Staat. Warum sollten wir nicht unsere Schulen in unserer Sprache öffnen. Das wäre nur fair!"
    Daniel zupft an seiner Gitarre, bis der Klang stimmt. Dann nimmt er seinen Gedanken wieder auf. Viele Korsen dächten so wie er. Sie wollten sich nicht aus Paris vorschreiben lassen, was für sie im Alltag gut und richtig sei.
    "Die Korsen wollen als Volk anerkannt werden. Wir wissen, dass wir ein Volk sind, dazu brauchen wir den französischen Staat nicht. Aber wir wollen, dass die Dinge geregelt werden. Paris sollte das einsehen. Sicher, wenn das geschieht, dann befinden wir uns auf dem Weg in die Unabhängigkeit. Daran führt nichts vorbei. Ich bin sicher, dass das langsam so kommt. Die Mentalitäten ändern sich, vor allem bei der Jugend. Es wird noch dauern, aber ich möchte daran glauben!"
    Nationalisten sind im Aufwind
    Seit dem Wahlerfolg im vergangenen Dezember sind die Nationalisten im Aufwind. Vor allem die korsische Jugend hat die Nase voll von der alten Clanpolitik, die der Regierung in Paris eher wohlgesonnen war. Daniel sieht noch einen anderen Grund für diese Umwälzung:
    "Wir bekommen immer weniger finanzielle Hilfen aus Paris. Es wird Zeit, dass wir die Ärmel hochkrempeln und unsere Zukunft selbst gestalten. Viele Unternehmen werden derzeit gegründet, die Leute bewegen sich, statt wie früher auf Verwaltungsjobs zu warten."
    Es sei ganz ähnlich wie in den 60er-Jahren, als der korsische Nationalismus wieder erwachte, erklärt Philippe Pesteil, Anthropologe an der Universität Corte:
    "Als Frankreich keine Kolonien mehr hatte, gab es eine ideologische Krise, einen Vertrauensverlust gegenüber Paris. Frankreich erschien nicht mehr als dominante Nation, als Nation, die viele Jobs anbot, von denen die Korsen stark profitierten."
    Das Konzert der macagna in Corte beginnt. Das Publikum kennt die Lieder von I Mantini. Die Menschen singen mit, sie klatschen und sie lachen viel. Besonders ausgelassen wird die Stimmung, als Daniel und José das Lied "Papa, où t'es" anstimmen: Zur Melodie des gleichnamigen französischen Sommerhits liefern sie eine Spottversion über einen Bürgermeisterposten, der vom Vater an den Sohn vererbt wird. Inzwischen merken auch die Clanpolitiker, dass dies nicht mehr überall so leicht ist.