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Nationalität in der Kunst nicht mehr bedeutend

Der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler hat Kritik an der Auswahl für den deutschen Pavillon der Biennale in Venedig geübt. Die Kuratorin wählte vier ausländische Künstler aus, die aber mit Deutschland verbunden sind. Wichtig ist, wodurch Kunst geprägt werde und nicht wo sie entstehe, meint Stefan Koldehoff.

Mit Doris Schäfer-Noske | 25.09.2012
    Doris Schäfer-Noske: Um den deutschen Pavillon bei der Biennale in Venedig hat es immer wieder Diskussionen gegeben. Vor allem aus geschichtlichen Gründen, denn der Pavillon ist ja immer noch das Gebäude, das von den Nationalsozialisten für die Selbstdarstellung des Deutschen Reichs umgestaltet wurde. Die Auseinandersetzung mit dem Ort war denn auch immer wieder Thema der Beiträge im Pavillon. 2009 wählte dann Kurator Nicolaus Schafhausen überraschend einen Briten aus, um den deutschen Pavillon zu bespielen, Liam Gillick. Und vergangene Woche hat die Kuratorin Susanne Gaensheimer die vier Künstler für 2013 vorgestellt, darunter kein Deutscher. Der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler hat nun heute sein Befremden darüber geäußert, auf berühmte deutsche Repräsentanten der Vergangenheit verwiesen wie etwa Joseph Beuys oder Anselm Kiefer und gefordert, den Blick auch mal in den Teller zu werfen. - Stefan Koldehoff: Was halten Sie denn von dieser Forderung?

    Stefan Koldehoff: Das Beispiel Anselm Kiefer zeigt eigentlich schon, wie absurd eine solche Kritik ist, denn Anselm Kiefer hat lange Jahre in Frankreich zugebracht. Und wenn man dann mal ein paar weitere Jahre zurückguckt: 1950 Wassily Kandinski, ein Russe, 1954 Paul Klee, ein Schweizer, '93 Nam June Paik, ein Koreaner, Liam Gillick haben Sie gerade schon genannt, und selbst Christoph Schlingensief, der zwar Deutscher ist, aber den Goldenen Löwen 2011 ja nun nicht für eine typisch deutsche oder in Deutschland entstandene Kunst bekommen hat, sondern unter anderem für das Operndorf, das er in Afrika baut. Es gibt diese Nationalitäten in der Kunst nicht mehr. Es hat sie vielleicht mal gegeben, als 1895 die Biennale gegründet wurde und 1907 dann der erste deutsche Pavillon, der damals noch ein bayerischer Pavillon war, also schon wieder eine Unternationalität, gebaut wurde. Da waren die Zeiten, die berühmten Zeiten aber auch ganz anders. Da gab es keine anderen Möglichkeiten, wie wir sie heute haben, um Kunst global zu sehen. Flugverkehr war weit entfernt, das Internet gab es selbstverständlich noch nicht, Vergleichsmöglichkeiten bestanden nicht. Das heißt, da gab es durchaus so etwas wie eine Legitimität dafür, unterschiedliche Nationalitäten zu definieren in der Kunst. Es hat sich aber in diesen 100 Jahren so verflixt viel getan und auch so verflixt viel Positives, dass man Kunst einfach im Jahr 2012 beziehungsweise 2013, wenn die nächste Biennale stattfinden wird, nicht mehr national definieren kann. Insofern verstehe ich diese Kritik nicht. Ich verstehe übrigens auch nicht, dass da steht, die Entscheidung von Susanne Gaensheimer wirke auf viele Exponenten der deutschen Kulturszene befremdlich. Ich habe nicht mit einem gesprochen, der das irgendwie befremdlich gefunden hätte.

    Schäfer-Noske: Ist dann nicht auch das Konzept von Länderpavillons überhaupt veraltet?

    Koldehoff: Ja, darüber muss man nachdenken und das wird ja auch seit Jahren infrage gestellt. Wenn man sich erinnert, dass 2003 Santiago Sierra den spanischen Pavillon zugemauert hat und nur Menschen, die ihm einen spanischen Pass gezeigt haben, tatsächlich Eintritt bekamen, dann hat das das ja schon infrage gestellt. Man hört auch jetzt übrigens, dass Susanne Gaensheimer mit ihren französischen Kollegen in engen Gesprächen ist und darüber redet, ob man nicht einfach mal den Pavillon zeigt, also den deutschen Beitrag, der nun keine deutschen Künstler beinhaltet, im französischen Pavillon zeigt und umgekehrt. Ich fände das völlig in Ordnung, denn wie gesagt: Es geht überhaupt nicht mehr um die Frage, wo Kunst entsteht, sondern eigentlich nur noch, wovon sie geprägt ist, und das sind längst globale Themen.

    Schäfer-Noske: Nun wird aber auch immer gesagt, dass die Kuratoren ja doch die Künstler ihres Landes besonders gut kennen, und vielleicht können sie ja auch Entdeckungen vorstellen.

    Koldehoff: Das wäre sicherlich eine Möglichkeit. Nun glaube ich allerdings, dass die Biennale nicht unbedingt der Ort für die Newcomer ist oder für die Entdeckungen. Da zeigt man schon eher gesettled Kunst, denen man auch richtig kräftige Positionen zutraut. Und dann würde ich da vielleicht auch die Kuratoren nicht unterschätzen. Ich glaube, dass die sich inzwischen auch global orientieren. Und spätestens, seit Okwui Enwezor uns vor einigen Jahren auf der "documenta" in Kassel gezeigt hat, dass der Blick auf die Kunst ein viel zu westzentrierter ist und wir viel, viel zu viel außen vor lassen, ist damit ja schon die Forderung verbunden gewesen, schaut doch auch mal auf den Rest der Welt, es gibt eben nicht nur die europäische oder die US-amerikanische Kunst. Und wenn wir jetzt mit dieser Entscheidung von Susanne Gaensheimer, vier Künstler, die eine Verbindung zu Deutschland haben, aber weder hier geboren sind noch hier leben müssen zu zeigen, wenn wir damit einen Schritt weiter kommen, finde ich, dann ist der Kunstwelt durchaus Gutes damit getan.

    Schäfer-Noske: Stefan Koldehoff war das über die Kritik des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler an der Auswahl für den deutschen Pavillon der Biennale in Venedig.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.