Karin Fischer: Die FAZ ist wirklich nicht verdächtig, geschichtsvergessenen Ideologien oder Schlussstrich-Fantasien anzuhängen. Wenn dort im Feuilleton heute vor einer "Geschichtsfolklore" gewarnt wird, muss das Gründe haben. Es geht um die Forderung des Zentralrats der Juden in Deutschland, dem Nationalsozialismus ein eigenes Schulfach zu widmen. Deren Präsidentin, Charlotte Knobloch, hat das mit "großen Defiziten beim Thema Holocaust" begründet und gesagt, im Geschichtsunterricht käme der Nationalsozialismus viel zu kurz. Ich gehöre einer Generation von Schülerinnen und Schülern an, bei denen die "gefühlte" Verweildauer beim Thema Nationalsozialismus bei an die acht Schuljahren liegt, aber das mag heute ja anders aussehen. Deshalb die Frage an Falk Pingel, er ist NS-Historiker und Leiter des Braunschweiger Georg Eckert-Instituts für Schulbuchforschung, Herr Pingel, ist die Kritik von Frau Knobloch begründet?
Falk Pingel: Vordergründig sicherlich nicht. Es ist nach wie vor richtig, dass der Nationalsozialismus im normalen Lehrplan für Geschichte, aber auch für andere Fächer, wie Sozialkunde oder deutsche Literatur, einen sehr wichtigen Platz einnimmt und offiziell mit zu den am intensivsten unterrichteten Phasen der deutschen Geschichte gehört. Dass es immer wieder Schüler gibt, die behaupten, davon nichts zu wissen, steht auf einem anderen Blatt. Das behaupten sie aber auch über die Integralrechnung, die ihnen beigebracht worden ist.
Fischer: Charlotte Knobloch, Sie haben es gesagt, bezieht sich auf ein, wie sie meint, eklatantes Nichtwissen der Schülerinnen und Schüler, vor allem in Ostdeutschland, über den Holocaust. Und sie meint, darin auch eine Ursache für den zunehmenden Rechtsradikalismus zu finden. Welche Unterschiede zwischen Ost und West stellen Sie fest? Gibt es die überhaupt, von Seiten der Lehrenden und auch von Seiten der Aufnehmenden, also der Schülerinnen und Schüler?
Pingel: Natürlich gibt es überhaupt viele regionale Unterschiede, sowohl unter den Lehrern, auch als unter den Schülern, innerhalb Deutschlands. Und es gibt sicherlich auch einen besonderen Unterschied zwischen Ost und West, als die Lehrer oder die Mehrzahl der Lehrer, die in Ostdeutschland unterrichten, ihre Ausbildung unter anderen Bedingungen erhalten haben. Entweder noch in der DDR, oder in Fortbildungskursen nach der Wiedervereinigung. Viele von ihnen sind aber bereits an Universitäten nach der Wiedervereinigung in Ost oder West ausgebildet worden, so dass die Unterschiede sich mehr auf das allgemeine Lebensumfeld vielleicht beziehen, als noch in hohen Maße auf die Ausbildung. Also so viele Unterschiede kann es da auch nicht mehr geben. Zumal die Lehrpläne sich nicht stark unterscheiden und die Schulbücher ohnehin zwischen Ost und West kaum zu unterscheiden sind. Es gibt viele Schulbücher, die in östlichen wie in westlichen Bundesländern zugelassen sind.
Fischer: Ist der Schluss von mangelhaftem oder zu wenig geschichtlichem Wissen mit Neonazitum überhaupt, sozusagen, statthaft?
Pingel: Nein. Wir haben uns damit sehr ausführlich beschäftigt, in mehreren Seminaren und Forschungsprojekten mit Lehrern. Diejenigen, die sich für den Rechtsradikalismus entscheiden, tun das ja in bewusster Übernahme nationalsozialistischer Traditionen. Wenn die oft auch nur sehr oberflächlich sind. Und man kann mit einem zweistündigen Geschichtsunterricht, ob in einem eigenen Fach, oder in anderen Fächern integriert, dagegen nicht direkt angehen. Der Unterricht erreicht vielmehr solche, die noch offen sind, noch bereit sind, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Und da hat sich im Unterricht, gerade über den Nationalsozialismus, in den letzten 10, 20 Jahren ungeheuer viel getan. So dass es sicherlich ungerechtfertigt ist, so einen Pauschalvorwurf gegenüber dem Unterricht in den ostdeutschen Ländern auszusprechen. Und diese Direktpädagogik, die funktioniert sowieso nicht. Da wissen wir, dass sie eher Abwehrreaktionen hervorruft, so, indem, wie sie gesagt haben, ihr gefühltes Maß an Unterricht zu dem Thema ist schon fast übergroß.
Fischer: Die andere Frage ist, Sie haben das zu Beginn des Gespräches kurz angesprochen, ob man so etwas wie den Holocaust, der ja zwar an die Jahreszahl 1933 und die Machtergreifung Hitlers gebunden ist, nicht aber die Diskriminierung, die ihn letztlich möglich machte, ob man diesen Holocaust tatsächlich isoliert betrachten sollte.
Pingel: Bei uns wird der Holocaust sowieso nicht isoliert und sollte, kann eigentlich gar nicht, denn er ist Teil unserer Geschichte. Und wenn wir ihn herauslösen würden, würden wir uns eigentlich viel offener einer Kritik aussetzen, die sagt, wir lösen ihn aus unserer Geschichte heraus, tun so, als sei er etwas ganz besonderes gewesen. Nein, er ist aus der Geschichte, aus der Mitte unserer Gesellschaft heraus entstanden und so wird er in der Regel unterrichtet. Und das ist herausfordernd daran. Es passt gar nicht in unsere eigene Geschichtsbetrachtung, wenn wir dort etwa angelsächsischen Modellen folgen würden und so etwas wie gesonderte Holocaust-Kurse einrichten würden. Dann müssten wir ja den Nationalsozialismus im regulären Geschichtsunterricht überspringen, weil er ja im eigenen Kurs behandelt wird. Das ist unserer Geschichte nicht angemessen. Leider kann man sagen.
Falk Pingel: Vordergründig sicherlich nicht. Es ist nach wie vor richtig, dass der Nationalsozialismus im normalen Lehrplan für Geschichte, aber auch für andere Fächer, wie Sozialkunde oder deutsche Literatur, einen sehr wichtigen Platz einnimmt und offiziell mit zu den am intensivsten unterrichteten Phasen der deutschen Geschichte gehört. Dass es immer wieder Schüler gibt, die behaupten, davon nichts zu wissen, steht auf einem anderen Blatt. Das behaupten sie aber auch über die Integralrechnung, die ihnen beigebracht worden ist.
Fischer: Charlotte Knobloch, Sie haben es gesagt, bezieht sich auf ein, wie sie meint, eklatantes Nichtwissen der Schülerinnen und Schüler, vor allem in Ostdeutschland, über den Holocaust. Und sie meint, darin auch eine Ursache für den zunehmenden Rechtsradikalismus zu finden. Welche Unterschiede zwischen Ost und West stellen Sie fest? Gibt es die überhaupt, von Seiten der Lehrenden und auch von Seiten der Aufnehmenden, also der Schülerinnen und Schüler?
Pingel: Natürlich gibt es überhaupt viele regionale Unterschiede, sowohl unter den Lehrern, auch als unter den Schülern, innerhalb Deutschlands. Und es gibt sicherlich auch einen besonderen Unterschied zwischen Ost und West, als die Lehrer oder die Mehrzahl der Lehrer, die in Ostdeutschland unterrichten, ihre Ausbildung unter anderen Bedingungen erhalten haben. Entweder noch in der DDR, oder in Fortbildungskursen nach der Wiedervereinigung. Viele von ihnen sind aber bereits an Universitäten nach der Wiedervereinigung in Ost oder West ausgebildet worden, so dass die Unterschiede sich mehr auf das allgemeine Lebensumfeld vielleicht beziehen, als noch in hohen Maße auf die Ausbildung. Also so viele Unterschiede kann es da auch nicht mehr geben. Zumal die Lehrpläne sich nicht stark unterscheiden und die Schulbücher ohnehin zwischen Ost und West kaum zu unterscheiden sind. Es gibt viele Schulbücher, die in östlichen wie in westlichen Bundesländern zugelassen sind.
Fischer: Ist der Schluss von mangelhaftem oder zu wenig geschichtlichem Wissen mit Neonazitum überhaupt, sozusagen, statthaft?
Pingel: Nein. Wir haben uns damit sehr ausführlich beschäftigt, in mehreren Seminaren und Forschungsprojekten mit Lehrern. Diejenigen, die sich für den Rechtsradikalismus entscheiden, tun das ja in bewusster Übernahme nationalsozialistischer Traditionen. Wenn die oft auch nur sehr oberflächlich sind. Und man kann mit einem zweistündigen Geschichtsunterricht, ob in einem eigenen Fach, oder in anderen Fächern integriert, dagegen nicht direkt angehen. Der Unterricht erreicht vielmehr solche, die noch offen sind, noch bereit sind, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Und da hat sich im Unterricht, gerade über den Nationalsozialismus, in den letzten 10, 20 Jahren ungeheuer viel getan. So dass es sicherlich ungerechtfertigt ist, so einen Pauschalvorwurf gegenüber dem Unterricht in den ostdeutschen Ländern auszusprechen. Und diese Direktpädagogik, die funktioniert sowieso nicht. Da wissen wir, dass sie eher Abwehrreaktionen hervorruft, so, indem, wie sie gesagt haben, ihr gefühltes Maß an Unterricht zu dem Thema ist schon fast übergroß.
Fischer: Die andere Frage ist, Sie haben das zu Beginn des Gespräches kurz angesprochen, ob man so etwas wie den Holocaust, der ja zwar an die Jahreszahl 1933 und die Machtergreifung Hitlers gebunden ist, nicht aber die Diskriminierung, die ihn letztlich möglich machte, ob man diesen Holocaust tatsächlich isoliert betrachten sollte.
Pingel: Bei uns wird der Holocaust sowieso nicht isoliert und sollte, kann eigentlich gar nicht, denn er ist Teil unserer Geschichte. Und wenn wir ihn herauslösen würden, würden wir uns eigentlich viel offener einer Kritik aussetzen, die sagt, wir lösen ihn aus unserer Geschichte heraus, tun so, als sei er etwas ganz besonderes gewesen. Nein, er ist aus der Geschichte, aus der Mitte unserer Gesellschaft heraus entstanden und so wird er in der Regel unterrichtet. Und das ist herausfordernd daran. Es passt gar nicht in unsere eigene Geschichtsbetrachtung, wenn wir dort etwa angelsächsischen Modellen folgen würden und so etwas wie gesonderte Holocaust-Kurse einrichten würden. Dann müssten wir ja den Nationalsozialismus im regulären Geschichtsunterricht überspringen, weil er ja im eigenen Kurs behandelt wird. Das ist unserer Geschichte nicht angemessen. Leider kann man sagen.