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NATO-Ambitionen spalten die Ukraine

Die ukrainische Premierministerin Julia Timoschenko reist heute nach Moskau. Kein einfacher Gang für sie: Der jüngste Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine ist zwar vorerst beigelegt, aber die Pläne der Regierung in Kiew, das Land in die NATO zu führen, sorgen in Moskau für höchste Beunruhigung. Es berichtet Florian Kellermann.

    Die Ukraine ist ein gespaltenes Land. Der Westen spricht ukrainisch und möchte sich Europa annähern, der Osten spricht russisch und will die engen Beziehung zu Russland beibehalten.
    Keine Frage bringt diese Gegensätze so zum Vorschein wie die nach einem Nato-Beitritt des Landes.
    Zurzeit sind es vor allem die Gegner, die in der Hauptstadt Kiew protestieren. So der 28-jährige Wadim Petrowitsch, ein Maschinenschlosser.

    "Unsere ganze Industrie liegt im Osten der Ukraine, deshalb sollten die Menschen dort auch mehr zu sagen haben. Im Übrigen ist eine pro-russische Politik das einzig Richtige. Viele Russen wohnen in der Ukraine und viele Ukrainer in Russland. Diese beiden Länder lassen sich nicht trennen. Die Nato und Amerika können uns gestohlen bleiben."

    Dass Wadim so aufgebracht ist, hat einen Grund: Der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko hat der Nato einen Brief geschrieben, zusammen mit der Premierministerin Julia Timoschenko und dem Parlamentspräsidenten. Darin bitten die drei, ihrem Land den Weg für eine Mitgliedschaft frei zu machen. Die Ukraine müsste dafür dem so genannten Aktionsplan der Nato beitreten und verschiedene Aufgaben erfüllen. Sie müsste zum Beispiel die ukrainische Armee weiter reduzieren und beweisen, dass sie ein demokratisches Land ist.

    Für viele Ukrainer ist dieser Aktions-Plan sogar das Hauptargument für einen Nato-Beitritt. Schließlich würde er ihr Land zwingen, endlich etwas gegen die Korruption zu tun und für unabhängige Gerichte zu sorgen.

    So sieht es zumindest eine 69-jährige Rentnerin, die zufällig an den Protesten der Nato-Gegner in Kiew vorbeikam.

    "Wir haben es satt, die fünfte Kolonne Moskaus zu sein. Schließlich haben wir gesehen, wohin das führt: in Sklaverei und Diktatur nämlich. Nur Tränen und Leid hat uns die Bindung an Russland gebracht. Wir wollen endlich Demokratie und Unabhängigkeit."

    Noch erbitterter als die Menschen auf der Straße streitet das ukrainische Parlament über den Nato-Beitritt. Seit mehreren Wochen besetzt die Opposition die Rednerbühne und blockiert Abgeordnetenbüros. Die Opposition besteht aus der Partei der Regionen und den Kommunisten, die vor allem im Osten gewählt werden.

    Diese Parteien fordern, dass der Parlamentspräsident seine Unterschrift unter den Brief an die Nato zurückzieht. Kaum ein Gesetz wird wegen der Blockade zurzeit verabschiedet. Wenn die ukrainische Volksvertretung weiter handlungsunfähig bleibt, dann drohen dem Land schon wieder Neuwahlen, wie im Jahr 2006 und 2007.

    Eine verfahrene Situation, sagt der Kiewer Soziologe Walerij Chmelko.

    "Unser Land braucht eine einigende Idee - und die liegt weder in einem Nato-Beitritt, noch in der Bindung an Moskau. Der einzige außenpolitische Weg, den eine Mehrheit befürworten könnte, liegt in der Mitte. Die Ukraine als Brücke zwischen Ost und West. Dafür müssten die Ukrainer aber erst einmal lernen, die Interessen der jeweils anderen Seite zu achten. "

    Aber erst einmal muss sich die Nato zu dem Brief aus Kiew äußern - und zwar bei ihrem nächsten Gipfel im April in Bukarest. Ein klares "Ja" zu einem Beitritt wird es kaum geben - schon wegen der politischen Turbulenzen in der Ukraine.

    Weniger Skrupel, eine eindeutige Meinung zu formulieren, hat da die russische Regierung. Für Moskau wäre ein Nato-Beitritt der Ukraine ein Alptraum. Schließlich wird ja schon die Stationierung einer US-Raketenbasis in Polen als bedrohlich empfunden. Der russische Präsident Vladimir Putin warnte seinen Amtskollegen Juschtschenko bei dessen jüngstem Besuch ganz ungeschminkt.

    "Wenn die Ukraine ihre Souveränität einschränken will, ist das ihre Sache. Aber keine Frage, dass das Folgen hat. Nehmen wir einmal an, die Ukraine würde sich an dem Anti-Raketen-System der USA beteiligen. Dann müssten wir reagieren. Wie furchtbar ist doch allein der Gedanke, dass Russland seine Mittelstreckenraketen auf die Ukraine richten muss. "

    Selbst Premierministerin Julia Timoschenko räumt ein, dass ihr Land frühestens in zehn Jahren der Nato beitreten kann. Ihre Kollegen in Moskau wird sie mit dieser Enschätzung heute kaum beruhigen können.