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"Natürlich habe ich Angst"

Heute ist der 20. April, der Geburtstag von Adolf Hitler. Für die Studierenden der RUDN, der Völkerfreundschaftsuniversität in Moskau, ist das kein gewöhnlicher Tag. Denn jeder Dritte kommt hier aus dem Ausland. Das macht diesen Ort jedes Jahr zu einer möglichen Zielscheibe für rassistische Übergriffe.

Von Viktoria Morasch |
    Luisa Quiroga aus Bolivien studiert seit zwei Jahren an der RUDN:
    "An diesem Tag sollen wir entweder nicht rausgehen oder in Gruppen bleiben, weil sich viele Skinheads organisieren. Hier gibt es viele Ausländer. Deswegen ist es ein wirklich geeigneter Ort für diese Leute, die denken wir sind nur Dreck."

    Den rassistischen Tendenzen in der Gesellschaft will die RUDN entgegenwirken. Und das schon seit 1960. Aus dem kommunistischen Ideal der Völkerfreundschaft heraus gegründet, soll sie auch heute noch ein Ort sein, an dem verschiedene Kulturen aufeinandertreffen. Neben den vielen verschiedenen Ethnien, die Russland selbst beheimatet, sind hier rund 140 weitere Länder vertreten. Damit zählt die RUDN zu einer der internationalsten Universitäten weltweit. Bileng Marius kommt aus Kamerun und studiert an der RUDN Kommunikationswissenschaft:
    "Ich lebe hier als ob es keine Unterschiede gäbe. Die meisten Leute sehen mich einfach als Menschen, nicht als Kameruner oder Afrikaner. Noch vor dem, was wir in den Kursen lernen, lehrt man uns hier tolerant zu sein. Und so leben wir auch."

    Der Campus der Universität heißt auch "studentisches Dorf". Auf ihm gibt es Cafés, Restaurants, ein eigenes Krankenhaus, man kann hier sogar seinen Führerschein machen. Eigentlich gibt es fast keinen Grund, diesen internationalen Mikrokosmos zu verlassen – und viele Studenten fürchten sich sogar davor. Denn außerhalb ihres Dorfes stoßen sie auf fest verankerte Vorurteile.

    "Natürlich habe ich Angst. Man trifft am Wochenende auch auf viele betrunkene Leute in der U-Bahn. Man kann nie wissen. Du sitzt in der U-Bahn und wirst angegriffen und die anderen tun nichts dagegen. Leider machen die Leute hier einen Unterschied zwischen Schwarzen und Weißen. Wenn du weiß bist, passiert nichts, wenn du schwarz bist, läufst du Gefahr, angegriffen zu werden."

    Die Nichtregierungsorganisation Sova untersucht seit 2002 Rassismus in Russland. Laut ihrem Bericht wurden allein in diesem Jahr in Moskau 32 Personen Opfer von rassistisch motivierter Gewalt. Zwei davon wurden getötet. Zahlen für weniger drastische Taten liegen nicht vor. Vieles gilt hier nicht einmal als Rassismus, erklärt Alexander Verkhovsky, der Leiter der Organisation.

    "Wir müssen hier zwischen Randerscheinungen wie organisierter Gewalt und allgegenwärtigem Rassismus unterscheiden. Dieser ist vielleicht nicht besonders radikal, dafür aber überall präsent. Zu behaupten, dass alle Immigranten aus dem Kaukasus, Räuber und Banditen wären, ist hier ganz normal. Interessanterweise haben Umfragen ergeben, dass Fremdenfeindlichkeit unter Schülern und Studenten viel stärker ausgeprägt ist als bei älteren Leuten. Das war in den 90er-Jahren nicht so."
    Für die Studenten der RUDN bedeutet das, dass sie Rassismus sogar unter Gleichaltrigen begegnen können. So wie heute an Hitlers Geburtstag, wenn sie fürchten müssen, dass sich junge Neonazis zu ihnen auf den Weg machen. Die Gefahr kommt vor allem von außen. Die Universitätsleitung versucht, die Studenten mit klaren Anweisungen zu schützen.

    "An Universitäten, wo es viele ausländische Studenten gibt, gibt es offizielle Richtlinien, wie sich Ausländer zu verhalten haben. Wo es diese Anweisungen nicht offiziell gibt, gibt es sie de facto. Auch auf dem Campus der RUDN selbst gibt es Probleme, gegen die die Universitätsleitung nichts tun kann. Es ist eine große Universität mit vielen Menschen, die sich ja nicht immer nur einschließen wollen."

    Auch Bileng Marius lässt sich nicht einschließen. Obwohl das Leben als Afrikaner in Russland viele Schwierigkeiten birgt, glaubt er an die Idee der Völkerfreundschaftsuniversität:

    "Studenten, die an der RUDN studiert haben und jetzt in Moskau arbeiten, tragen die Toleranz von hier weiter. Sie sind zu Verfechtern der Toleranz geworden und wir werden das Gleiche tun, wenn wir unser Studium beendet haben."

    In 16 Tagen durch Russland - Campus-Reihe: Zweite Nachwuchsjournalisten-Rallye zum Studium im Ausland