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"Natürlich haben die Großen auch davon profitiert"

Das Kurzarbeitergeld soll bis März 2012 verlängert werden. 800 Millionen Euro zusätzlich wird das den Staat kosten. Klaus Wiesehügel, Vorsitzender der Gewerkschaft Bauen, Agrar und Umwelt, sagt, Kurzarbeit zu finanzieren sei wesentlich besser, als Arbeitslosigkeit zu finanzieren.

Klaus Wiesehügel im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Vor allem die FDP hatte Bedenken, nun kommt sie aber doch, wenn auch in etwas abgespeckter Form. Das Bundeskabinett wird heute beschließen, das Kurzarbeitergeld bis zum März 2012 zu verlängern. Ein kostspieliges Unterfangen, das mit mindestens 800 Millionen Euro zusätzlich zu Buche schlägt, weil die Unternehmer die Sozialabgaben auf das Kurzarbeitergeld vom siebten Monat an voll erstattet bekommen. Das sind glasklare Unternehmenssubventionen, die der Steuerzahler aufbringen muss. Insgesamt hat der Staat für die Kurzarbeit mehr als vier Milliarden Euro alleine für dieses Jahr eingestellt, ganz zum Verdruss zahlreicher Wirtschaftsexperten. Der Vorwurf: Die Betriebe könnten sich somit sparen, sich zu flexibilisieren und an die Markterfordernisse anzupassen. Darüber sprechen wollen wir nun mit Klaus Wiesehügel, Vorsitzender der Gewerkschaft Bauen, Agrar und Umwelt, oder auch kurz IG Bau. Guten Morgen!

    Klaus Wiesehügel: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Wiesehügel, sind Sie immer noch Wächter der Subventionspolitik?

    Wiesehügel: Ich habe ja gerade gehört, was Sie gesagt haben. Das bezieht sich auf das Kurzarbeitergeld. Ich halte das nach wie vor für gut. Ein bisschen bin ich ja Erfinder der Angelegenheit. Wir haben das für das Baugewerbe schon noch in den letzten Zügen mit der rot-grünen Regierung angedacht, dann umgesetzt in der Großen Koalition, weil wir auch festgestellt haben, dass eine enorme Arbeitslosigkeit im Baugewerbe im Winter entsteht, und deswegen haben wir die Kurzarbeit allerdings über einen Tarifvertrag geregelt, und siehe da: die Arbeitslosigkeit wandelte sich um in Kurzarbeit mit enormen Einsparungen für die Bundesanstalt, was wir auch nachweisen konnten. Diese Idee hat Olaf Scholz dann aufgegriffen, als die Krise kam, und von daher wäre ich ja nun der falsche Mann, der das kritisieren würde, was hier getan wird.

    Müller: Demnach ist die schwarz-gelbe Koalition genauso gut wie die SPD?

    Wiesehügel: Ja! Interessanterweise habe ich dieses Gesetz damals gegen den erbitterten Widerstand der Wirtschafts-CDU nur durchgekriegt, und heute sind diejenigen, die das übelst kritisiert haben, davon überzeugt, dass das richtig ist, weil ganz einfach nachweisbar ist, dass es für uns einfach günstiger ist, die Betriebe mit den Belegschaften aufrecht zu erhalten. Kurzarbeit zu finanzieren ist wesentlich besser, als Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Wenn man jetzt sagt, 800 Millionen wird das kosten, muss man sehen, dass die Betriebe wahrscheinlich die Belegschaften abbauen würden, und das würde uns wesentlich teuerer zu stehen kommen.

    Müller: Das sind die Zusatzkosten. Vier Milliarden alleine sind eingestellt, um insgesamt in diesem Jahr das Kurzarbeitergeld zu finanzieren. Das ist ja kein Pappenstiel.

    Wiesehügel: Nein! Arbeitsmarktpolitik ist natürlich kein Pappenstiel. Aber wenn ich das mal überlege, mit wie vielen Milliarden zum Beispiel Banken gestützt worden sind, finde ich es völlig korrekt, dass mit einem erheblich kleineren Betrag hier Hunderttausende von Arbeitnehmern und Betriebe entsprechend dabei unterstützt werden, Arbeitsverhältnisse aufrecht zu erhalten.

    Müller: Haben Sie sich denn, Herr Wiesehügel, schon beim Steuerzahler, den Sie auch gelegentlich auf der Straße treffen, schon bedankt dafür?

    Wiesehügel: Der Steuerzahler ist ja doch nicht die eine Person, die immer der Zwillingsbruder von Herrn Westerwelle ist, sondern der Steuerzahler sind alle Menschen in diesem Land, das sind auch ganz viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und die halten das für richtig, dass ein Teil ihrer Steuern auch dafür benutzt wird, ihren Arbeitsplatz zu schützen und dafür zu sorgen, dass sie nicht ins wirtschaftliche Abseits geraten.

    Müller: Und die Unternehmer, die nicht gut gewirtschaftet haben, lachen sich ins Fäustchen?

    Wiesehügel: Die Unternehmer, die nicht gut gewirtschaftet haben, sind ja zum Teil und zum überwiegenden Teil kleine Handwerksbetriebe, sind kleine mittelständische Betriebe, sind nicht unbedingt Schuld an der Krise, und diese Krise ist die Ursache, bitte das nicht zu vergessen. Ursache und Wirkung nicht vergessen, wer hier die Verantwortung dafür trägt, dass wir in dieser Situation sind, dass wir die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen überhaupt machen müssen.

    Müller: Aber die Großen haben doch auch davon profitiert, beispielsweise VW?

    Wiesehügel: Ja, natürlich haben die Großen auch davon profitiert. Aber wir sehen ja, jetzt gibt es hier auch schon erste Änderungen. Die sogenannte Konzernklausel, die wird gestrichen, und das macht schon mal deutlich, dass man den Fokus natürlich jetzt wieder verstärkt auf kleine und mittelständische Unternehmen legt.

    Müller: Herr Wiesehügel, Konzernklausel, das hört sich kompliziert an. Was ist das?

    Wiesehügel: Das ist einfach. Das bedeutet, dass ein Unternehmen in einem Konzern nicht diese Kurzarbeiterregel schon in den ersten sechs Monaten regelt, nur weil irgendwo in einer Niederlassung des Unternehmens bereits schon Kurzarbeit gewährt wurde.

    Müller: Das hat die FDP offenbar durchgesetzt jetzt in der neuen Regelung. Finden Sie das richtig?

    Wiesehügel: Ich weiß nicht, ob die FDP das durchgesetzt hat. Ich glaube, es gibt auch vernünftige Menschen in dem größeren Teil der Regierung. Der FDP traue ich nicht viel Vernünftiges zu.

    Müller: Aber das finden Sie dennoch richtig?

    Wiesehügel: Ja. Zumindest ist das hier ein Zeichen, dass wir gerade auch mittelständische Betriebe und kleinere Betriebe stärker in den Fokus nehmen wollen. Das halte ich auch für in Ordnung.

    Müller: Inwieweit stimmt die Kritik der Wirtschaftsexperten denn, dass die Unternehmen sich aufgrund des Kurzarbeitergeldes erst mal zurücklehnen können, ohne sich zu reformieren, beziehungsweise ohne sich zu modernisieren?

    Wiesehügel: Diese Modernisierung, die da von einigen sogenannten Wirtschaftsweisen eingefordert ist, ist im Grunde der Ruf danach, Arbeitsplätze zu vernichten und Arbeitsplätze abzuschaffen. Das kann ich nicht für richtig halten und das stimmt auch nicht. Die Unternehmen werden doch nicht aufgrund der jetzigen Situation sagen, wir modernisieren uns dahingehend, dass wir Arbeitsplätze völlig abschaffen. Da sind wir doch schon längst! Wir haben doch gerade in unseren Hochleistungsunternehmen, die im internationalen Wettbewerb tätig sind, die gesamten Wellen, wo wir Automatisierung und Rationalisierung durchgeführt haben, schon alle hinter uns. Es ist ja nicht so, dass wir hier noch hausbackene Betriebe hätten. Wir sind ja nun schließlich eine der leistungsstärksten Nationen, die es in der Welt gibt.

    Müller: Und was sagen Sie zu den Unternehmen, die einerseits vom Kurzarbeitergeld profitieren, hinterher aber neue Verträge über Leih- und Zeitarbeit abschließen?

    Wiesehügel: Das ist ja nun eine Frage, was die Regierung da macht. Das muss man denen ja nicht genehmigen. Man kann sich die Frage der Leiharbeit ja mal vornehmen. Ich wäre sehr, sehr dafür, wenn wir uns die Leiharbeit stärker anschauen, dass wir nicht sagen, jeder Arbeitsplatz kann umgesetzt werden in einen Leiharbeits-Arbeitsplatz. Da muss einfach mal eine Einschränkung sein, über die Dauer von Leiharbeit und auch über den Umfang, den ein Unternehmen in Leiharbeit dann umschichten kann.

    Müller: Die Hälfte aller Neueinstellungen sind befristet, wenn wir den Zahlen aus Wiesbaden glauben dürfen. Die Politik hat bis jetzt da nicht viel unternommen. Andererseits gibt es Kurzarbeitergeld. Ist das nicht ein Widerspruch?

    Wiesehügel: Ich bedauere das außerordentlich, dass viele Unternehmen nur befristet einstellen. Das ist aber auch eine Geschichte, die die Unternehmen im Grunde der Politik nachfolgen. Die Politik hat das ermöglicht. Die Politik sollte sich überlegen, ob sie diesen Missstand nicht wieder verändert.

    Müller: Das ist andererseits eine Zahl, die zunächst einmal viele jedenfalls schockiert. Auf der anderen Seite gibt es auch Zahlen, dass hinterher aus diesen Leih- und Zeitarbeitsverträgen durchaus auch feste Anstellungen erwachsen können, und das mehr als früher.

    Wiesehügel: Das kann ich nicht bestätigen. Das mag sein, aber ich traue den Zahlen, die man so insgesamt immer als Argumentation für seine seltsamen sozialpolitischen Maßnahmen vorführt, nicht an jeder Stelle. Ich weiß, dass solche Zahlen auch oft gegriffen sind.

    Müller: Herr Wiesehügel, wir haben noch eine knappe Minute, dann wartet der Zug auf Sie. Dennoch noch einmal eine andere Frage. Die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hat gesagt, keine Sonderregelung bei der Rente mit 67. Das muss Ihnen doch Bauchschmerzen bereiten?

    Wiesehügel: Das halte ich für eine Katastrophe, was sie gesagt hat. Sie hat ja nicht nur gesagt "keine Sonderzahlungen", sondern sie hat gesagt, alle die Leute, die älter geworden sind, sollen dann ins Büro kommen. Das zeigt aber mal sehr deutlich, dass Ursula von der Leyen von der Wirklichkeit nicht viel Ahnung hat. Wir haben ja nun sehr viel mit dem Baugewerbe zu tun und da fordere ich das ja auch ein. Ein normales kleines Bauunternehmen hat zehn Beschäftigte und eine Halbtagskraft im Büro. Sollen dann die zehn älteren Arbeitnehmer jetzt die Halbtagskraft alle besetzen? Das ist ein völliger Unsinn, und so sieht das in den meisten handwerklichen und mittelständischen Betrieben aus. Gerade da, wo harte körperliche Arbeit gemacht wird, ist der Fokus im Grunde auf diese Arbeit und nicht auf die Büroarbeit. Es gibt nicht wirklich diese Büroarbeitsplätze, die das ersetzen können. Da sollte sie mal ein bisschen ihre Wirklichkeit schärfen, sollte nicht nur gucken, wie sieht das in Großbetrieben aus, sondern wie sieht es für den überwiegenden Teil aus. Der überwiegende Teil, 80 Prozent der Menschen arbeiten in Kleinbetrieben.

    Müller: Jetzt wartet der Zug auf Sie, Sie sollten sich beeilen. Vielen Dank!

    Wiesehügel: Danke, Herr Müller. Auf Wiederhören!

    Müller: Klaus Wiesehügel, Vorsitzender der Gewerkschaft Bauen, Agrar und Umwelt.