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Natürlich künstlich

Medizin. - Weltweit unterziehen sich jährlich 300.000 Patienten einer Herzklappen-Operation. Sie erhalten künstliche oder speziell behandelte tierische Organe. Danach sind die Patienten ein Leben lang von Medikamenten abhängig, um Thrombosen zu vermeiden. Rostocker Wissenschaftler wollen nun natürliches Herzklappen-Material mit Kunststoff beschichten und als Matrix für eine Besiedlung mit lebenden Gewebezellen nutzen, ein Beispiel für so genanntes Tissue-Engineering.

    Bislang waren bei Herzklappen, die im Labor gezüchtet werden, zwei Verfahren in der Erprobung. In Hannover wurde mit von lebenden Zellen befreiten Herzklappen vom Schwein experimentiert. Ein Lösung, die sich als zu instabil erwies. In Boston verwendeten Forscher Kunststoff als Basis einer Herzklappe. Nun will eine Forschungsgruppe in Rostock unter Leitung des Herzchirurgen Professor Gustav Steinhoff beide Verfahren miteinander verbinden. Eine von den lebenden Zellen befreite Herzklappe mit einem speziellen Kunststoff beschichtet werden, damit das so gewonnene Implantat besser bioverträglich ist und auch mechanisch ausreichend stabil ist.

    Der Kunststoff heißt Polyhydroxybuttersäure (PHB). Ursprünglich wurde er als Verpackungsmaterial entwickelt. Eine Folie die sich Kompost rasch auflöst. Dr. Thomas Freier, der Chemiker der Rostocker Forschungsgruppe: "Dieser Stoff baut sich im Lauf der Zeit ab und schafft dadurch Platz für körpereigene Zellen, die dann das eigene Gewebe in der Klappe schaffen sollen." Ziel ist eine höchstmögliche Bioverträglichkeit des Kunststoffs. Die körpereigenen Zellen, die sich auf dem Gerüst ansiedeln sollen, sollen möglichst den Zellen entsprechen, die in der Gefäßwand vorkommen.

    Zur Zeit wird die künstliche Herzklappe in einem Bioreaktor erprobt, der der rechten Herzkammer samt Aorta nachempfunden ist. Der Bioreaktor befindet sich in einer Art Inkubator, durch Pumpen wird ein künstlicher Kreislauf aufrecht erhalten. Der Bioreaktor ist nur die erste Stufe eines langen Erprobungsprozesses. Ziel ist eine mitwachsende Herzklappe, die bei sehr jungen Patienten nicht mehr regelmäßig ausgetauscht werden muss, wie dies heute der Fall ist. Bis zum endgültigen Einsatz der Herzklappe vergeht sicherlich noch einige Zeit. Die Marktreife der mechanischen Herzklappe hat rund zwanzig Jahre gebraucht. Die neuen Prothesen könnten noch länger brauchen. Quelle: Regine Halentz