Archiv


Natürliche Klimakühler

Ist die gegenwärtige Klimaerwärmung komplett auf den Menschen und die Industrie zurückzuführen oder spielen auch natürliche Faktoren eine Rolle? Um das zu ergründen, will ein internationales Forschungsprogramm die klimatischen Bedingungen der zurückliegenden 2000 Jahre rekonstruieren.

Von Volker Mrasek | 22.04.2013
    Politisch und kulturell waren sie äußerst wechselhaft, die letzten beiden Jahrtausende nach Christi Geburt. Doch aus klimatologischer Sicht bestanden sie womöglich gerade mal aus zwei Epochen. Die jüngere von beiden setzte erst vor kurzem ein: Es ist die globale Erwärmung seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Davor machte die Welt offenbar eine permanente Abkühlungsphase durch, die fast zwei Jahrtausende währte.

    Das ergibt sich jedenfalls aus der neuen Studie des internationalen PAGES-Forschungsnetzwerks. Sein Ziel ist es, die Klimaentwicklung der letzten 2000 Jahre zu rekonstruieren. Unter den 78 Autoren der Studie ist auch Darrell Kaufman, Professor für Geologie und Umweltwissenschaften an der Northern Arizona University in den USA:

    "Der allumfassende Abkühlungstrend ist ein überraschendes Ergebnis unserer Studie. Er zeigt sich in den Temperatur-Rekonstruktionen für alle Kontinente. Manche von ihnen reichen 1000 Jahre zurück, manche 2000. Jedes dieser Klimaarchive zeigt, dass die Temperaturen über einen sehr langen Zeitraum abnahmen. Es ist das Klimasignal, das in allen Weltregionen dominiert."

    Frühere Studien waren vorwiegend regionale Rekonstruktionen über kürzere historische Zeitabschnitte. Die neue geht darüber hinaus. Sie fasst Paläodaten der verschiedenen Kontinente zusammen und liefert ein Gesamtbild aller Weltregionen seit Christi Geburt – die Südhalbkugel mit einbezogen. Sie wurde bisher vernachlässigt. Nur Afrika fehlt - weil es dort zu wenige geeignete Klimaarchive gebe, wie die Autoren sagen.

    "Dieser lange Abkühlungstrend war relativ schwach ausgeprägt. Je nach Weltregion betrug er lediglich ein Zehntel bis ein Drittel Grad Celsius in 1000 Jahren. Darin eingebettet waren dann gelegentliche wärmere oder kühlere Phasen, die kürzer anhielten, wie etwa das mittelalterliche Klimaoptimum. Es stimmt! Es ist ein schwacher Trend, aber wir haben Vertrauen in unser Ergebnis. Eine unserer Forschergruppen hat inzwischen Ablagerungen im Meer untersucht. Nach der vorläufigen Auswertung zeigt auch der Ozean den langen Abkühlungstrend. Wir haben also eine Bestätigung durch verschiedene Datensätze."

    Ein besonderer Fall ist die Antarktis. Die eisige Landmasse am Südpol scheint von der jüngsten Erwärmung im 20. Jahrhundert nicht viel mitbekommen zu haben. Auch Hinweise auf wärmere Episoden im Mittelalter finden sich nicht in den Eisbohrkernen aus dem tiefen Süden. Nichts überlagert den Abkühlungstrend, wie es aussieht.

    Dass die Antarktis ein gewisses klimatisches Eigenleben führt - für Geowissenschaftler Kaufman ist das nicht verwunderlich:

    "Die Antarktis ist der Kontinent, der sich anders verhält als der Rest der Welt. Dafür gibt es gute klimatologische Gründe. Die Antarktis ist sowohl in der Atmosphäre wie auch im Ozean von starken Strömungen umgeben. Sie schotten den Südkontinent vom Rest des Globus ab."

    Was sich aus den Klimaarchiven nicht herauslesen lässt, das sind die Ursachen für die lang währende Abkühlung. Hier haben sich die Paläoforscher mit einem Computermodell beholfen. Und simuliert, welche Klimafaktoren hinter dem Abkühlungstrend gesteckt haben könnten.

    "Scheinbar trugen zwei Dinge etwa gleichermaßen zu dem langfristigen Abkühlungstrend bei: eine Zunahme der vulkanischen und eine Abnahme der solaren Aktivität. Aber auch die Umlaufbahn der Erde um die Sonne veränderte sich, und die Landnutzung durch den Menschen nahm zu. Auch das spielte eine Rolle, jedenfalls nach den vorläufigen Ergebnissen unseres Klimamodells."

    Die klimatischen Bedingungen während der letzten beiden Jahrtausende waren offenbar ganz anders als heute. Natürliche Klimafaktoren wirkten lange Zeit kühlend; inzwischen erwärmt sich das Treibhaus Erde nachhaltig.

    Das ist eine große Herausforderung für heutige Klimamodelle. Denn sie müssen auch die Vergangenheit realistisch abbilden können; daran werden sie praktisch geeicht. Im allgemeinen blicken die Modelle dabei einige Jahrhunderte zurück. Jetzt wartet eine neue Bewährungsprobe auf ihre Anwender: Kriegen sie es hin, auch die historisch lange Abkühlung der Kontinente in ihren Rechnern zu simulieren? Wenn ja, darf man auch ihren Prognosen für die Zukunft stärker vertrauen.