Soviel Lieblichkeit kann gar nicht genug besungen werden. In diese Landschaft der blühenden Wiesen und tiefen Wälder, der Klöster und heiteren Weingärten zog es schon im 18. Jahrhundert die Städter; sie hatten es ja auch nicht besonders weit. Der Wienerwald ist nicht nur lieblich. Der Wienerwald ist eine große Region im Land Niederösterreich. Ein Alpenausläufer, aber von unverwechselbarer Eigenart. Deshalb steht er seit 2006 unter dem Schutz der UNESCO.
"Der Biosphärepark Wienerwald ist einer von zweien, der an und sogar in einer Großstadt liegt."
Hermine Hackl, Leiterin des Biosphäre-Zentrums in Tullnerbach bei Wien. (*)
"Er umfasst 51 Gemeinden im Bundesland Niederösterreich und dann ungefähr die Hälfte von Wien, die sieben westlichen Bezirke von Wien."
Mitten in Wien, gegenüber der Staatsoper, steht die blaue Bahn, die Lokalbahn ins südlich gelegene Baden, die hier seit über 100 Jahren abfährt. Sie braucht ihre Zeit, um die Stadt zu durchqueren, an deren südlichem Rand erstmal Gewerbe und Industrie das Bild prägen, bevor die ersten Weinberge auftauchen. Die Endhaltestelle: mitten in Baden. Gleich gegenüber, im klassizistischen Gehäuse eines alten Thermalbads, aufgeputzt wie das ganze Städtchen, das Museum für den österreichischen Maler Arnulf Rainer. Baden ist seine Geburtsstadt.
Bis hierher schaffen es noch viele Wienbesucher. Ziehen durch die barocken Straßen, lesen an den Fassaden die Namen der vielen Berühmtheiten, die hier Heilwasser und mildes Klima genossen. Einen Katzensprung entfernt, in Mödling, kann es auch eine Tafel sein zur Erinnerung der Bevölkerung, die hier bei der "Türkenbelagerung" 1683 zu Hunderten ihr Leben ließ.
Und noch einen Katzensprung entfernt liegt in den sanften Weinhügeln der Thermenregion Bad Vöslau. Richtig, das Mineralwasser. Johann Redl ist Vöslauer :
"Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, 1904, sind wir Kurort geworden. Da wurde es händisch abgefüllt. Richtig begonnen hat das alles erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute ist Vöslauer ja der Marktführer."
Aber das Schönste an Bad Vöslau ist doch seine fulminante Badeanstalt. Für die reichen Familien, die im 19. Jahrhundert die großen Mietvillen bezogen, musste etwas getan werden. Schließlich ließen die reichen Wienerinnen, deren Gatten unter der Woche in die Stadt zurückfuhren zum Arbeiten, von Mai bis September viel von diesem Geld in Vöslau.
"Vöslau, eigentümlicher Ort, einzige wirkliche Sentimentalität, die ich habe."
Erinnerte sich 1911 der Literat Peter Altenberg an seine Kindheit. Die Lindenblüten rochen wunderbar. Und das sonnengedörrte Holz der Kabinen und die Wäsche der triefenden Schwimmanzüge.
Käme Altenberg heute nach Vöslau, er hätte - außer am Wetter - nicht viel auszusetzen. Heute ist das Kurbad ein Beispiel für eine aufwendig gestaltete und doch volkstümliche Freizeitkultur. Immer noch tritt das 15.000 Jahre alte Wasser aus der Quelle ins dunkelgrüne, geschwungene Becken, fließt unter ein efeubewachsenes Säulenhalbrund, um dann, pathetisch angekündigt von einer steinernen Nymphe und zwei Meeresgöttern, auf die nächste Terrasse des Hangs zu stürzen, in ein weiteres, etwas moderneres Schwimmbecken. Immer noch umstehen die kaisergelben Gebäude, die Restaurants und die Holzbauten mit den Umkleidekabinen die Schwimmbecken, obenauf die zweistöckigen Galerien mit den Terrassen der schlichten Sommerwohnungen. Über Säulen und Giebeldächern erhebt sich der Park mit seiner schon südlich anmutenden Flora. Das pannonische Klima der ungarischen Ebene macht sich bemerkbar.
Hier in der Thermenregion ist der Wein Zuhause und mit ihm die Heurigen.
"Das beruht auf dem Gesetz seit Maria Theresia, dass man den eigenen Wein in der eigenen Wohnung anbieten konnte. Und die Leute kamen mit ihrem eigenen Essen. Das war die Heurigenkultur, die ist ganz ganz wichtig."
Auch, wenn der kleine Winzer, der für ein paar Wochen die gute Stube ausräumte und seinen heurigen Wein anbot, heute selten geworden ist: Äußerlich ist die hübsch-anspruchslose Heurigenkultur an den langen Tischen der Winzerhöfe erhalten geblieben. Hinter dem allgemein unprätentiösen Charme des Wienerwaldtourismus steht eine lange Geschichte harter Arbeit und bescheidener Lebensmöglichkeiten.
"Wir waren eine arme, eine kleinstrukturierte Bevölkerung, leben konnten die Leute vom Weinbau kaum. Jetzt war der Nebenerwerb bei den Bauern wichtig, Pecherei, Holzschlägerei oder im Lohnverhältnis in einer Fabrik. Es hat viele kleine Fabriken im Triestingtal gegeben, die sind nicht mehr lebensfähig."
Südwestlich von Bad Vöslau, auf der schmalen Route alter Industrie, wartet eine Überraschung. Der Wienerwald, diese immens grüne, traditionell von Duckhütten und Sommerfrischevillen geprägte Landschaft, ist so ziemlich das genaue Gegenbild zum Ruhrgebiet - aber eins haben die beiden Regionen gemeinsam: Krupp.
1843 gründete ein Spross der Krupp-Familie in Berndorf eine Schneidwarenfabrik: das Solingen von Österreich. Geblieben ist neben einer nach wie vor bekannten Besteckmarke eine vorbildliche Gartenstadtsiedlung für die Beschäftigten. Assoziationen an die Margarethenhöhe in Essen sind nicht abwegig, sogar der Name der Patronin stimmt: Die österreichische Margarethe Krupp ließ sich als Stifterfigur in der täuschend echt wirkenden barocken Kirche der Siedlung verewigen - und in einer Schule, deren Ausstattung schon zu den Lehrmitteln gehörte. Jede Schulklasse im Stil einer anderen Epoche. Hier hat auch ein berühmter historistischer Architekt Hand angelegt.
"Und die Decke ist von Theophil Hansen."
Weiter geht es Richtung Norden, der Wienerwald ist groß. Noch ein kleiner Abstecher zum Ausflugslokal oberhalb von Berndorf, das wienerwaldtypische Idyll mit Terrasse, Hofhund und Aussichtsturm. Einem von mehreren, die auf den höchsten Wienerwaldbergen den Wanderern Weg und Ziel vorgeben.
"Bis ins 19. Jahrhundert hinein fast verboten, in den Wald zu gehen. Die Jäger fürchteten, dass jeder ein Wilddieb ist, die Besitzer ließen die Leute nicht gerne hinein. Und die Lust, zu wandern, kam erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf. Dann gab es die Wandervereine, die ihren Kampf kämpfen mussten, dass sie eine Hütte bauen könnten, etwas markieren konnten."
Schutzhütten und Ausflugslokale für die wanderfreudigen Wiener, Wege, vom Alpenverein geebnet und markiert. Über ein Jahrhundert hin wurde aus dem Wienerwald, dem feudalen Jagdgebiet und Holzreservoir, die Sommerfrische der Großstadt.
"Das hat mit der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg drastisch abgenommen."
Silke Ebster, Leiterin des Stadtmuseums Bad Vöslau
"Ich habe das Gefühl, in den letzten Jahren ist der Begriff Sommerfrische wieder aufgekommen, die Leute nehmen das wieder an."
Die schönen alten Ausflugslokale des Wienerwalds: Viele mussten in den letzten 20 Jahren schließen. Aber sie haben nicht ausgespielt, im Gegenteil, mit dem Aufschwung der Beisl-Kultur werden neue eröffnet, die alt aussehen, also den bewährten ländlichen Charme erhalten. Aber die Kochkunst hat Fortschritte in Richtung Edelbeisl gemacht. Und die Gäste sind anders.
"Mit fallt auf, dass eine Generation von Leuten in bestimmten Positionen dem mehr Gewichtung schenken."
Statt zünftig gekleideter Wandersleute, die den Weg von Wien per Bahn und per pedes gemacht haben, steigen stöckelnde Damen aus großformatigen Schlitten.
"Das Auto bringt die Leute viel weiter irgendwohin, wir haben einen Dornröschenschlaf von den Wanderern her, aber nicht von den Sportlern. Radfahren ist in, dann die Läufer, Langlauf, Jogger, das hat sich auf die Jugend gewendet. Das machen die heute. Oder fahren zu einer hoch gelegenen Hütte und essen dort."
Mit dem Auto, zugegeben, geht es weiter Richtung Norden: Das wunderbar in die Natur gebettete Zisterzienserstift Heiligenkreuz liegt jetzt nah am Weg, das, wie es sich heute gern nennt, "spirituelle Zentrum seit 1133". Und wirklich strahlt das romanisch-barocke Ensemble seine friedsame Atmosphäre mit, trotz vieler Touristenbusse und Weinverkauf - das Kloster hat sein Weingut weiter südlich bei Baden.
Auf dem Weg in den nördlichen Wienerwald verschwinden Karst, Dolomit und Schwarzföhre, Buche und Eiche bestimmen das Bild. Und dazwischen: Wiesen, Wiesen, Wiesen. Nicht einfach grüne Wiesen. Grüne Wiesen kann jeder. Beim Anblick einer sirrenden, flirrenden, farbenreichen Wienerwald-Frühsommerwiese wird einem klar, wie trostlos die homogenen Grünflächen landläufiger Bodenbewirtschaftung eigentlich sind.
"Ja, grüß Gott."
Der Bürgermeister von Maria Anzbach im westlichen Wienerwald.
"Ich habe selbst zum Beispiel bei der Wiesenwanderung mitgemacht, das war sehr aufschlussreich. Ich liege ja gern da. Aber dass es Rispengräser gibt. Und auf 4 Quadratmetern oft 50 verschiedene Sorten wachsen, das war doch eine schöne Erfahrung."
In Maria Anzbach wird der Tag der Artenvielfalt gefeiert. Wie immer in Wien und um Wien herum wird die Artenvielfalt erst einmal in Gestalt diverser bio-kulinarischer Erzeugnisse von umliegenden Bauernhöfen präsentiert. Schinken, Würste, Käse, Marmeladen, Kuchen. Keiner muss sich ungestärkt den weiteren Aspekten der Nachhaltigkeit widmen, die hier präsentiert werden.
"Der Habichtkauz ist im 19. Jahrhundert ausgestorben, wegen der Abholzung. Und er wurde gewildert. Wir haben 2007 ein Projekt gestartet. Haben schon 28 Jungtiere freigelassen. Wir hatten Glück: 2011 hat das erste Paar gebrütet, 2012 noch mal vier Jungtiere. Wenn man die Donau hinaufgeht, wie das vor 150 Jahren aussah, da war das eine Wüste! Alles niedergeholzt, die schiffbare Donau entlang, weil man Wien mit Holz versorgen musste","
sagt Hermine Hackl vom Wienerwald-Biosphärepark, um allfälliges Klagen über Zersiedlung und Verkehr, überhaupt den befürchteten Niedergang des Wienerwalds zu relativieren. (*)
""Wenn man heute die Donau hinauffährt, hat man eine grüne Wüste. Es hat sich alles zum Besseren verändert, nicht zum Schlechteren. Es gibt heute ein Bewusstsein."
Das Bewusstsein hatte schon im 19. Jahrhundert einmal Konjunktur: Als große Teile des Wienerwalds abgeholzt werden sollten, um das Holz zu Geld zu machen. Das verhinderte damals der Philanthrop und Politiker Josef Schöffel mit einer großen Kampagne, weswegen es heute keine Wienerwald-Gemeinde ohne eine Schöffel-Straße oder ein Denkmal gibt. Heute ist es die UNESCO, die den Wienerwald durch die Einstufung als Biosphäre-Park erhalten will. Heute nagen aber nicht mehr geldgierige Holzbarone an der Substanz, sondern das boomende Wien und die vielen, denen ein Sonntagsausflug in die schönste Umgebung, die eine Zwei-Millionen-Stadt haben kann, nicht mehr genügt. Sie wollen hier wohnen.
"Jeder möchte hierherkommen, aber jeder ist auch der letzte, der hier noch bauen darf. Ich bin der letzte, nach mir soll möglichst keiner mehr hierherkommen."
Hermine Hackl sieht eine ihrer Aufgaben im geduldigen Vermitteln zwischen den vielen widerstreitenden Interessen der individualisierten Gesellschaft. Dabei ist die strikte UNESCO-Einteilung in drei Zonen hilfreich, wenn auch nie unumstritten. (*)
"Das eine die Kernzone: bedeutet Außernutzungsstellung. Man überlässt die Natur sich selbst und schaut, was passiert, wenn nichts passiert. Das sind fünf Prozent. Das Zweite ist die Pflegezone, circa 19 Prozent, das sind wertvolle Flächen, Wiesen, im Wienerwald besonders artenreiche Wiesen und Weinbauflächen, das sind 21 Prozent. Der überwiegende Teil, 79 Prozent, ist Entwicklungszone. Da soll entwickelt werden nach Nachhaltigkeit, also ökonomisch, ökologisch und sozial."
Wien boomt und wächst, wächst in den Wienerwald hinein. Pendlertum und Osterweiterung haben den Verkehr vermehrfacht, besonders die Südautobahn dröhnt vom LKW-Aufkommen. Ganz arm dran ist das Städtchen Pressbaum, das lärmgeplagt im Tal zwischen Bahn und Westautobahn liegt - die letzte Abfahrt vor Wien. Eine der ältesten Sommerfrischen, aber weil die lokale Politik gestalterische und verkehrsberuhigende Möglichkeiten ignoriert und verschlafen hat, ist nicht soviel übrig vom Charme des Fleckens, dessen Aufstieg mit dem Bau der Westbahn 1860 begann. Allenfalls die Sommerfrischevillen am Hang erinnern an die berühmten Gäste von einst, den Opernsänger Leo Slezak oder Johann Strauss, der hier Konzerte gab - das Haus ist längst abgerissen. Ein Trost: Konzerte gibt es immer noch.
Für Kontinuität sorgt eine muntere Musik- und Kabarettszene, sorgen Namen von Zuzüglern wie der des Liedermacher Wolfgang Ambros. Und eine unbesungene Perle des Wienerwalds ist das alte Strandbad von Pressbaum, entstanden 1893 aus einem Wannenbad für die vielen Sommerfrischler, für die es in ihren Unterkünften nur die übliche Waschkommode gab.
Die große Wiese mit den umlaufenden Kabinen, das Beisl mit den Tischen davor, an denen die Stammgäste Karten spielen, das Schwimmbecken ohne Rutsche und sogar ohne Sprungbrett. Für Unterhaltung sorgt eine Tischtennisplatte. Hinter dem Eingang die einstöckige, geraniengeschmückte Wienerwaldhütte, davor der Tisch, an dem der Bademeister gesellig den Sommer unter dem Sonnenschirm verbringt.
Ein kleines Paradies. Das ist sie: die Sommerfrische. Nächstes Jahr soll das Bad renoviert werden. Hoffentlich geht das gut.
(*) Das gesendete Manuskript weicht in dieser Passage aufgrund einer Autorenkorrektur von der Sendefassung ab.
"Der Biosphärepark Wienerwald ist einer von zweien, der an und sogar in einer Großstadt liegt."
Hermine Hackl, Leiterin des Biosphäre-Zentrums in Tullnerbach bei Wien. (*)
"Er umfasst 51 Gemeinden im Bundesland Niederösterreich und dann ungefähr die Hälfte von Wien, die sieben westlichen Bezirke von Wien."
Mitten in Wien, gegenüber der Staatsoper, steht die blaue Bahn, die Lokalbahn ins südlich gelegene Baden, die hier seit über 100 Jahren abfährt. Sie braucht ihre Zeit, um die Stadt zu durchqueren, an deren südlichem Rand erstmal Gewerbe und Industrie das Bild prägen, bevor die ersten Weinberge auftauchen. Die Endhaltestelle: mitten in Baden. Gleich gegenüber, im klassizistischen Gehäuse eines alten Thermalbads, aufgeputzt wie das ganze Städtchen, das Museum für den österreichischen Maler Arnulf Rainer. Baden ist seine Geburtsstadt.
Bis hierher schaffen es noch viele Wienbesucher. Ziehen durch die barocken Straßen, lesen an den Fassaden die Namen der vielen Berühmtheiten, die hier Heilwasser und mildes Klima genossen. Einen Katzensprung entfernt, in Mödling, kann es auch eine Tafel sein zur Erinnerung der Bevölkerung, die hier bei der "Türkenbelagerung" 1683 zu Hunderten ihr Leben ließ.
Und noch einen Katzensprung entfernt liegt in den sanften Weinhügeln der Thermenregion Bad Vöslau. Richtig, das Mineralwasser. Johann Redl ist Vöslauer :
"Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, 1904, sind wir Kurort geworden. Da wurde es händisch abgefüllt. Richtig begonnen hat das alles erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute ist Vöslauer ja der Marktführer."
Aber das Schönste an Bad Vöslau ist doch seine fulminante Badeanstalt. Für die reichen Familien, die im 19. Jahrhundert die großen Mietvillen bezogen, musste etwas getan werden. Schließlich ließen die reichen Wienerinnen, deren Gatten unter der Woche in die Stadt zurückfuhren zum Arbeiten, von Mai bis September viel von diesem Geld in Vöslau.
"Vöslau, eigentümlicher Ort, einzige wirkliche Sentimentalität, die ich habe."
Erinnerte sich 1911 der Literat Peter Altenberg an seine Kindheit. Die Lindenblüten rochen wunderbar. Und das sonnengedörrte Holz der Kabinen und die Wäsche der triefenden Schwimmanzüge.
Käme Altenberg heute nach Vöslau, er hätte - außer am Wetter - nicht viel auszusetzen. Heute ist das Kurbad ein Beispiel für eine aufwendig gestaltete und doch volkstümliche Freizeitkultur. Immer noch tritt das 15.000 Jahre alte Wasser aus der Quelle ins dunkelgrüne, geschwungene Becken, fließt unter ein efeubewachsenes Säulenhalbrund, um dann, pathetisch angekündigt von einer steinernen Nymphe und zwei Meeresgöttern, auf die nächste Terrasse des Hangs zu stürzen, in ein weiteres, etwas moderneres Schwimmbecken. Immer noch umstehen die kaisergelben Gebäude, die Restaurants und die Holzbauten mit den Umkleidekabinen die Schwimmbecken, obenauf die zweistöckigen Galerien mit den Terrassen der schlichten Sommerwohnungen. Über Säulen und Giebeldächern erhebt sich der Park mit seiner schon südlich anmutenden Flora. Das pannonische Klima der ungarischen Ebene macht sich bemerkbar.
Hier in der Thermenregion ist der Wein Zuhause und mit ihm die Heurigen.
"Das beruht auf dem Gesetz seit Maria Theresia, dass man den eigenen Wein in der eigenen Wohnung anbieten konnte. Und die Leute kamen mit ihrem eigenen Essen. Das war die Heurigenkultur, die ist ganz ganz wichtig."
Auch, wenn der kleine Winzer, der für ein paar Wochen die gute Stube ausräumte und seinen heurigen Wein anbot, heute selten geworden ist: Äußerlich ist die hübsch-anspruchslose Heurigenkultur an den langen Tischen der Winzerhöfe erhalten geblieben. Hinter dem allgemein unprätentiösen Charme des Wienerwaldtourismus steht eine lange Geschichte harter Arbeit und bescheidener Lebensmöglichkeiten.
"Wir waren eine arme, eine kleinstrukturierte Bevölkerung, leben konnten die Leute vom Weinbau kaum. Jetzt war der Nebenerwerb bei den Bauern wichtig, Pecherei, Holzschlägerei oder im Lohnverhältnis in einer Fabrik. Es hat viele kleine Fabriken im Triestingtal gegeben, die sind nicht mehr lebensfähig."
Südwestlich von Bad Vöslau, auf der schmalen Route alter Industrie, wartet eine Überraschung. Der Wienerwald, diese immens grüne, traditionell von Duckhütten und Sommerfrischevillen geprägte Landschaft, ist so ziemlich das genaue Gegenbild zum Ruhrgebiet - aber eins haben die beiden Regionen gemeinsam: Krupp.
1843 gründete ein Spross der Krupp-Familie in Berndorf eine Schneidwarenfabrik: das Solingen von Österreich. Geblieben ist neben einer nach wie vor bekannten Besteckmarke eine vorbildliche Gartenstadtsiedlung für die Beschäftigten. Assoziationen an die Margarethenhöhe in Essen sind nicht abwegig, sogar der Name der Patronin stimmt: Die österreichische Margarethe Krupp ließ sich als Stifterfigur in der täuschend echt wirkenden barocken Kirche der Siedlung verewigen - und in einer Schule, deren Ausstattung schon zu den Lehrmitteln gehörte. Jede Schulklasse im Stil einer anderen Epoche. Hier hat auch ein berühmter historistischer Architekt Hand angelegt.
"Und die Decke ist von Theophil Hansen."
Weiter geht es Richtung Norden, der Wienerwald ist groß. Noch ein kleiner Abstecher zum Ausflugslokal oberhalb von Berndorf, das wienerwaldtypische Idyll mit Terrasse, Hofhund und Aussichtsturm. Einem von mehreren, die auf den höchsten Wienerwaldbergen den Wanderern Weg und Ziel vorgeben.
"Bis ins 19. Jahrhundert hinein fast verboten, in den Wald zu gehen. Die Jäger fürchteten, dass jeder ein Wilddieb ist, die Besitzer ließen die Leute nicht gerne hinein. Und die Lust, zu wandern, kam erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf. Dann gab es die Wandervereine, die ihren Kampf kämpfen mussten, dass sie eine Hütte bauen könnten, etwas markieren konnten."
Schutzhütten und Ausflugslokale für die wanderfreudigen Wiener, Wege, vom Alpenverein geebnet und markiert. Über ein Jahrhundert hin wurde aus dem Wienerwald, dem feudalen Jagdgebiet und Holzreservoir, die Sommerfrische der Großstadt.
"Das hat mit der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg drastisch abgenommen."
Silke Ebster, Leiterin des Stadtmuseums Bad Vöslau
"Ich habe das Gefühl, in den letzten Jahren ist der Begriff Sommerfrische wieder aufgekommen, die Leute nehmen das wieder an."
Die schönen alten Ausflugslokale des Wienerwalds: Viele mussten in den letzten 20 Jahren schließen. Aber sie haben nicht ausgespielt, im Gegenteil, mit dem Aufschwung der Beisl-Kultur werden neue eröffnet, die alt aussehen, also den bewährten ländlichen Charme erhalten. Aber die Kochkunst hat Fortschritte in Richtung Edelbeisl gemacht. Und die Gäste sind anders.
"Mit fallt auf, dass eine Generation von Leuten in bestimmten Positionen dem mehr Gewichtung schenken."
Statt zünftig gekleideter Wandersleute, die den Weg von Wien per Bahn und per pedes gemacht haben, steigen stöckelnde Damen aus großformatigen Schlitten.
"Das Auto bringt die Leute viel weiter irgendwohin, wir haben einen Dornröschenschlaf von den Wanderern her, aber nicht von den Sportlern. Radfahren ist in, dann die Läufer, Langlauf, Jogger, das hat sich auf die Jugend gewendet. Das machen die heute. Oder fahren zu einer hoch gelegenen Hütte und essen dort."
Mit dem Auto, zugegeben, geht es weiter Richtung Norden: Das wunderbar in die Natur gebettete Zisterzienserstift Heiligenkreuz liegt jetzt nah am Weg, das, wie es sich heute gern nennt, "spirituelle Zentrum seit 1133". Und wirklich strahlt das romanisch-barocke Ensemble seine friedsame Atmosphäre mit, trotz vieler Touristenbusse und Weinverkauf - das Kloster hat sein Weingut weiter südlich bei Baden.
Auf dem Weg in den nördlichen Wienerwald verschwinden Karst, Dolomit und Schwarzföhre, Buche und Eiche bestimmen das Bild. Und dazwischen: Wiesen, Wiesen, Wiesen. Nicht einfach grüne Wiesen. Grüne Wiesen kann jeder. Beim Anblick einer sirrenden, flirrenden, farbenreichen Wienerwald-Frühsommerwiese wird einem klar, wie trostlos die homogenen Grünflächen landläufiger Bodenbewirtschaftung eigentlich sind.
"Ja, grüß Gott."
Der Bürgermeister von Maria Anzbach im westlichen Wienerwald.
"Ich habe selbst zum Beispiel bei der Wiesenwanderung mitgemacht, das war sehr aufschlussreich. Ich liege ja gern da. Aber dass es Rispengräser gibt. Und auf 4 Quadratmetern oft 50 verschiedene Sorten wachsen, das war doch eine schöne Erfahrung."
In Maria Anzbach wird der Tag der Artenvielfalt gefeiert. Wie immer in Wien und um Wien herum wird die Artenvielfalt erst einmal in Gestalt diverser bio-kulinarischer Erzeugnisse von umliegenden Bauernhöfen präsentiert. Schinken, Würste, Käse, Marmeladen, Kuchen. Keiner muss sich ungestärkt den weiteren Aspekten der Nachhaltigkeit widmen, die hier präsentiert werden.
"Der Habichtkauz ist im 19. Jahrhundert ausgestorben, wegen der Abholzung. Und er wurde gewildert. Wir haben 2007 ein Projekt gestartet. Haben schon 28 Jungtiere freigelassen. Wir hatten Glück: 2011 hat das erste Paar gebrütet, 2012 noch mal vier Jungtiere. Wenn man die Donau hinaufgeht, wie das vor 150 Jahren aussah, da war das eine Wüste! Alles niedergeholzt, die schiffbare Donau entlang, weil man Wien mit Holz versorgen musste","
sagt Hermine Hackl vom Wienerwald-Biosphärepark, um allfälliges Klagen über Zersiedlung und Verkehr, überhaupt den befürchteten Niedergang des Wienerwalds zu relativieren. (*)
""Wenn man heute die Donau hinauffährt, hat man eine grüne Wüste. Es hat sich alles zum Besseren verändert, nicht zum Schlechteren. Es gibt heute ein Bewusstsein."
Das Bewusstsein hatte schon im 19. Jahrhundert einmal Konjunktur: Als große Teile des Wienerwalds abgeholzt werden sollten, um das Holz zu Geld zu machen. Das verhinderte damals der Philanthrop und Politiker Josef Schöffel mit einer großen Kampagne, weswegen es heute keine Wienerwald-Gemeinde ohne eine Schöffel-Straße oder ein Denkmal gibt. Heute ist es die UNESCO, die den Wienerwald durch die Einstufung als Biosphäre-Park erhalten will. Heute nagen aber nicht mehr geldgierige Holzbarone an der Substanz, sondern das boomende Wien und die vielen, denen ein Sonntagsausflug in die schönste Umgebung, die eine Zwei-Millionen-Stadt haben kann, nicht mehr genügt. Sie wollen hier wohnen.
"Jeder möchte hierherkommen, aber jeder ist auch der letzte, der hier noch bauen darf. Ich bin der letzte, nach mir soll möglichst keiner mehr hierherkommen."
Hermine Hackl sieht eine ihrer Aufgaben im geduldigen Vermitteln zwischen den vielen widerstreitenden Interessen der individualisierten Gesellschaft. Dabei ist die strikte UNESCO-Einteilung in drei Zonen hilfreich, wenn auch nie unumstritten. (*)
"Das eine die Kernzone: bedeutet Außernutzungsstellung. Man überlässt die Natur sich selbst und schaut, was passiert, wenn nichts passiert. Das sind fünf Prozent. Das Zweite ist die Pflegezone, circa 19 Prozent, das sind wertvolle Flächen, Wiesen, im Wienerwald besonders artenreiche Wiesen und Weinbauflächen, das sind 21 Prozent. Der überwiegende Teil, 79 Prozent, ist Entwicklungszone. Da soll entwickelt werden nach Nachhaltigkeit, also ökonomisch, ökologisch und sozial."
Wien boomt und wächst, wächst in den Wienerwald hinein. Pendlertum und Osterweiterung haben den Verkehr vermehrfacht, besonders die Südautobahn dröhnt vom LKW-Aufkommen. Ganz arm dran ist das Städtchen Pressbaum, das lärmgeplagt im Tal zwischen Bahn und Westautobahn liegt - die letzte Abfahrt vor Wien. Eine der ältesten Sommerfrischen, aber weil die lokale Politik gestalterische und verkehrsberuhigende Möglichkeiten ignoriert und verschlafen hat, ist nicht soviel übrig vom Charme des Fleckens, dessen Aufstieg mit dem Bau der Westbahn 1860 begann. Allenfalls die Sommerfrischevillen am Hang erinnern an die berühmten Gäste von einst, den Opernsänger Leo Slezak oder Johann Strauss, der hier Konzerte gab - das Haus ist längst abgerissen. Ein Trost: Konzerte gibt es immer noch.
Für Kontinuität sorgt eine muntere Musik- und Kabarettszene, sorgen Namen von Zuzüglern wie der des Liedermacher Wolfgang Ambros. Und eine unbesungene Perle des Wienerwalds ist das alte Strandbad von Pressbaum, entstanden 1893 aus einem Wannenbad für die vielen Sommerfrischler, für die es in ihren Unterkünften nur die übliche Waschkommode gab.
Die große Wiese mit den umlaufenden Kabinen, das Beisl mit den Tischen davor, an denen die Stammgäste Karten spielen, das Schwimmbecken ohne Rutsche und sogar ohne Sprungbrett. Für Unterhaltung sorgt eine Tischtennisplatte. Hinter dem Eingang die einstöckige, geraniengeschmückte Wienerwaldhütte, davor der Tisch, an dem der Bademeister gesellig den Sommer unter dem Sonnenschirm verbringt.
Ein kleines Paradies. Das ist sie: die Sommerfrische. Nächstes Jahr soll das Bad renoviert werden. Hoffentlich geht das gut.
(*) Das gesendete Manuskript weicht in dieser Passage aufgrund einer Autorenkorrektur von der Sendefassung ab.