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Natur, fast pur

Botho Strauß verließ, vor einigen Jahren schon, die deutsche Hauptstadt Berlin und zog in den äußersten Nordosten Deutschlands, fernab von allem sozialen Getümmel, in die Uckermark, diese seenreiche, nur dünn besiedelte Heide- und Hügellandschaft mit ihren ausgedehnten Kiefernwäldern. Es ist eine windige und regenträchtige Gegend. Und es war ein folgenreicher Umzug. Das lässt seinem neuen Buch mit dem aparten Titel "Der Untenstehende auf Zehenspitzen" nur unschwer ablesen.

Martin Lüdcke |
    Botho Strauß scheint nun endgültig auf dem Weg in die von Peter Handke, seinem fernen Nachbarn aus den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, entdeckte Niemandsbucht. Weg von den Partys. Hin zu den Pilzen. Nicht länger lauscht Strauß dem Geschwätz der Zeitgenossen ihre Befindlichkeiten ab, er horcht auch auf das Rauschen der Wälder, das Brausen des Windes. Er belauscht keine Kneipengespräche mehr und lässt keine Art Direktoren auftreten, er beschreibt keine Kabelhilfen und beobachtet nicht mehr die Beziehungstrottel. Er orientiert sich nicht länger an den Technologen des Fortschritts, sondern an der Beschaffenheit des Waldbodens, den Formationen der Wolken, er beschreibt keine Sprachdesigner, dafür "Rotbuchen" und "Bachstelzen" und abends, allein mit der Katze, zur Belohnung, genehmigt sich der Solipsist in der Heide, nicht zu üppig, noch "ein bisschen Wein". Ansonsten: viel Natur, fast pur.

    Es gibt für ihn also viel zu sehen, aber wenig zu erleben. Trotzdem bietet auch sein neues Buch durchaus wieder Neuigkeiten, vor allem für ein städtisches Publikum, dem die Sensationen ländlichen Lebens, ein Natternnest, eine Spatzenschar, ein Hausrotschwänzchen, so fremd geworden sind wie dem emsig reflektierenden Erzähler die verschwitzten Benutzer des öffentlichen Nahverkehrs.

    Wer diesen Autor kennt, die Theaterstücke, die Romane und Erzählungen, die essayistisch-aphoristischen Zeitdiagnosen, wird ihn sofort wiedererkennen und sich dennoch verwundert die Augen reiben. "Papiertaschentücher dürfen niemals neben dem Küchenkrepp liegen."
    Die Apodiktik solcher Forderungen erinnert vielleicht noch an den alten Berliner Befindlichkeits-Seismographen, der aber keineswegs mit unserem äthiopischen "Manieren"-Prinz Asfa-Wossen Asserate konkurrieren will. Es geht ihm nicht ums Benehmen oder richtiges Handeln, sondern, grundsätzlicher, um ontologische Prinzipien. Er legitimiert seine ersichtlich seltsame Behauptung mit dem Hinweis, dass auch "Diverses", gemeint ist hier der kunterbunte Inhalt einer "weiten" Einkaufstasche, "seine Binnenspannung und Kontaktverbote" brauche. Selbst in solchen diskreten Zusammenhängen zeigt sich: Botho Strauß ist tatsächlich auf dem Land angekommen.

    Für sich genommen mag diese Tatsache eher unerheblich scheinen.
    Frage ist, was daraus folgt.

    Strauß galt, in den achtziger Jahren noch, als einer der bedeutendsten deutschen Autoren. Nicht nur als Dramatiker. Er ist einen eigenen Weg gegangen. Spätestens durch seine politischen Pamphlete hat er sich an den Rand geschrieben. Möglicherweise kann sich jetzt die – nicht nur räumliche - Distanz, die er zu dem hauptstädtischen Getriebe gewonnen hat, positiv auswirken. Ganz offensichtlich bestärkt vom Rückenwind, der von der See her weht, hat sich Strauß jetzt von seinen Zeitgenossen verabschiedet, und das um seiner "Zeitgenossenschaft" willen.

    Es gibt eine Kraft der Abwehr von Gegenwart, die einer Zeitgenossenschaft überhaupt erst Gewicht verleiht. Und es gibt eine Zeitgenossenschaft, die an sich selbst so verfallen ist und so an sich selbst vergeht, dass eine Flucht daraus wahrhaftig alles andere als Bequemlichkeit ist, dass sie vielmehr einem Akt der Befreiung und der Auflehnung gleichkommt.

    Der Künstler ist nicht allein der Rezipient, sondern auch der Rivale seiner Zeit.

    Starke Worte, gewiss. Botho Strauß hat die Natur - auch als ein Kraftreservoir - entdeckt und er nähert sich ihr, wie doch viele, meist kurze Passagen dieses Buches zeigen, auch sprachlich, noch etwas scheu, zögerlich, zaghaft an. Das Buch beginnt, kaum zufällig, mit einer Naturbeschreibung.

    Der alte Schnee trägt noch die Maske der großen Wehe, die vor kurzem die Türen und Wege zufegte. Auf dem weißen See sitzen die Angler vor ihren Eislöchern wie Gaukler, die ihre Kunststücke vergaßen. Es wird auf nichts hinauslaufen. Wie die starren Krusten und Skulpturen des Frostes. All diese Seiten, Einsprengsel eines nie erzählten Romans, werden auf nichts hinauslaufen, wie das Leben selbst, Abschnitt und Stückwerk vom Endlosen. Wie der Lichtregen der Leoniden in einer kalten Novembernacht. Wie die Briefe eines jungen Mädchens, das dem einen wie dem anderen seine Liebe gesteht. Das im Anblick des einen den anderen vergisst. Und im Anblick des anderen den einen wiedersieht. Bis nichts Festes mehr zu erkennen ist.

    Vielleicht wird das alles tatsächlich auf "Nichts" hinauslaufen. Nur die Vorgeschichte dieses Autors macht eine solche Annahme eher unwahrscheinlich, obwohl sich unser Einsiedler, allein in seinem Hügel-Haus, auch auf seine neue Umgebung ebenso sinn- wie sorgenvoll einlässt. Vielleicht liegt hier gar seine neue Botschaft.

    Gang am Nachmittag über die starren Felder über den verharrschten Schnee. Dort Büschel von Raps, hier angefrorene Weizen. Die Vögel turnen und eilen zwischen den Ästen und Zäunen, als entzöge sich morgen die Welt und Eiswülste verschlössen ihnen jeden Baum. Am Rand des Sees stand ich in doppelter Sonne. Vom Eis strahlte sie schlierig weiß, oben schmolz sie hinter knöcheren Bäumen. Als sie nun sank, überschwemmte die Hügelkuppe, auf denen fünf Rehe ihren Schattenriß zeigten, ein blaugraues Rosenlicht.

    Was wie ein Tagebucheintrag beginnt, "Gang am Nachmittag", endet ersichtlich in einem sprachlichen Tiefdruckgebiet. Die den Vögeln unterstellte Eile, mit der sie zwischen Ästen und Zäunen turnen, mag ja noch angehen, die ihnen angedichtete Befürchtung, es "entzöge sich morgen die Welt und Eiswülste verschlössen ihnen jeden Baum" erinnert eher an eine Fernseh-Wetterfee, der angesichts der heranströmenden Kaltluftmassen die Worte ausgegangen sind.

    Strauß gewinnt aber sofort an Sicherheit, wenn er auf seine bewährten Mittel zurückgreifen kann, sei auch nur die vorsichtige Deutung klimatischer Daten.

    Welch teilnahmslose Stille, welch ein Schweigen strömt aus dem Ostwind! Der Ostwind macht die Landschaft stumm und dass sich nichts mehr rührt in der Ebene. Eigentlich ist es der reine Ost ohne Wind. Keine Last legt er auf, kein Anwehen ist zu spüren, nur dieser reglos harrende Ost.

    Erst dann, wenn er die Stärke seines Schreibens überhaupt ausspielen kann, eine auf genauer Bobachtung basierende phänomenologische, gleichsam "dichte" Beschreibung, dann gewinnen seine Bilder wieder die gewohnte Prägnanz:

    Der warme Atem der Weide am Abend. Die heitere Dünung am Himmel, das rotgoldene Wolkenvlies, am Boden schon die Nachtskulpturen der Bäume und Sträucher. Ein Turmfalke jagt eine Handvoll Spatzen, die im Gebüsch verschwinden. Er hockt zur Erde, seine Fänge, als hielten sie Beute, greifen und krallen, das ganze Programm des Schlagens läuft leer in den Muskeln ab.

    Hier verschränkt sich die Beobachtung, das Verhalten des Falken, mit der erkennenden Deutung: "das Programm des Schlagens". Und wenn er dann noch, wie es sich im ersten Abschnitt des Buches bereits angedeutet hatte, aus der Naturbeschreibung die Metaphorik seiner diagnostischen Analyse gewinnt, erweist sich der Umzug aufs Land überhaupt als Gewinn.

    Die Stimmungen im Land ziehen dahin wie Wolkenschatten über unsere Weide. Befindlichkeiten sondieren, das ist, als wollte einer Badeschaum an die Wand nageln.
    Aber die Gestimmtheit des Menschen, mit der er der Welt begegnet, wie steht es um sie? Vor dreißig, vierzig Jahren war verbreitet die Gestimmtheit der Angst. (Schrecken der Kernspaltung, Ölschock etc.) Inzwischen überwiegt allgemein eine Gestimmtheit, die einerseits von Funktionsverlust, von großer Weltbeholfenheit geprägt ist, andererseits von großer Enttäuschung. Denn das meiste ward nicht, wie es versprach zu werden.
    Allerdings geschah das Weltbewegende in letzter Zeit unverheißen und überraschend. Darauf kann man sich aber nicht einstellen. Die Ahnungslosigkeit des Menschen bleibt die letzte Unschuldsressource dieses Bewusstseinssauriers.
    Windstille und Sturm, ihr Wechsel verändert den Raum einschneidender als Tag und Nacht. Den brüllenden Böen ausgesetzt, hier auf dem Hügel, wird man fast taub. Aber wenn kein Lüftchen sich regt, auch wiederum sehr hellhörig.


    Dieser überraschend deutliche Bezug auf Natur erinnert naturgemäß an die erbitterten Diskussionen um Handke und Strauß, in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, den sogenannten " neudeutschen Literaturstreit". Die Politisierung der Literatur hatte sich damals langsam totgelaufen. Der Fortschrittsglaube der Moderne war zerbrochen. Auch das Progressionsmodell, von dem die Literatur zwar heute noch zehrt, getreu dem Schema: neue Verfahrensweisen etablieren neue Sehweisen, und im Ergebnis: etwas Neues, war an seine natürliche Grenze gestoßen. Die Moderne war klassisch geworden. Handke entdeckte damals zuerst Stifter und den sanften Übergang und dann die Natur. Und Strauß verabschiedete sich, politisch wie literarisch, vom "Fortschritt", griff auf romantische Motive zurück. Erzählend noch dort, wo er auf Reflexion zielte.

    Von Paare. Passanten bis hin zu der "Nacht mit Alice, als Julia ums Haus schlich", immer hat Strauß auch erzählt, Geschichten erfunden. Er hat seine Diagnosen und Einsichten an Figuren entwickelt, die oft, im verblüffenden Gegensatz zur Kürze ihres Auftritts, sich lange in der Erinnerung des Lesers gehalten haben. Die dichte Beschreibung wurde episch erst entfaltet. Erzählung im eigentlichen Sinne kommt jetzt nicht mehr vor. Bis auf eine, kaum konturierte Figur, "Digging Billie", treten auch keine Personen mehr auf. Die Beschreibung, einst seine große Stärke, setzt jetzt allenfalls noch an natürlich/naturhaften Geschehen an. Es dominiert die Reflexion, der, zuweilen auch selbstkritische, Blick aus der Distanz, nicht nur auf den lebensfrohen Zeitgenossen. Zorn, vor allem Verachtung, mit der Strauß die Agenten des Zeitgeistes ebenso wie die Getriebenen der Verhältnisse strafte, sind einer neuen Gelassenheit gewichen. Der überlegen überlegende Beobachter muss sich nicht mehr abheben, er steht vorneherein weit genug außerhalb, so weit, dass er sich selbst noch einbeziehen kann:

    Nicht nur ein stilistisches Laster ist es, ein ‚Wir’ zu setzen als Pathospronomen der kulturkritischen Selbstbezichtigung. Das Wir wird sogar zum moralischen Trickbetrug, sobald man sich selbst eigentlich nicht dazu zählt. Hier finde ich den Balken im eigenen Auge. Ich benutze häufig ein kulturelles Wir, um mich aus suggestiven Gründen einzugemeinden, wo ich mich in Wahrheit abzusetzen trachte. Dabei ist meine Geschichte seit langem die eines Bedürfnislosen, der mit ein bisschen Wein und seiner Katze den Abend allein verbringt, von Herzen unzuständig für kollektives Unbehagen. Dem es wohl ansteht, freundlich zu sein und niemals zu grimassieren, da er unentwegt einen freien Ausblick genießt und sich nicht hetzen muß. (…)
    Und auch die Übung, wider den Stachel zu löcken, gegen den Strom zu schwimmen, gehört nun nicht mehr zur täglichen Ertüchtigung. Der eigne Wille (oder nur: der Eigensinn) scheint endlich unabhängig von Stachel und Strom.

    Im direkten Anschluss an diese bemerkenswerte Rückzugserklärung aus den täglichen Kämpfen heißt es bemerkenswerter Weise weiter:

    Eine Spatzenschar jagt aufs breite Fenster zu und knapp vor der Scheibe hebt sie sich wie eine Tieffliegerstaffel über das Dach hinaus. Aber die Bachstelze allein, ohne Tuchfühlung, empört über die versperrte Luft, klopft mit dem Schnabel gegen das Glas. Probiert es mehrere Male. Soll sie denn ihren Augen nicht mehr trauen?

    Die proklamierte Unabhängigkeit auf der einen, die "Spatzenschar" auf der anderen Seite sind in einen direkten Zusammenhang gebracht. Nur ist die forsche Diagnostik und Kulturkritik gelassener Betrachtung gewichen, wohl auch aufgrund von Zweifeln an der Tauglichkeit des bislang verwendeten Werkszeugs.

    Vor dem undeutlich Neuen und beim endgültigen Abschied sind anzeigende Vorgänge und Zwischenfälle bedeutsamer als zeitdiagnostische Stenogramme. Was geschieht, ohne sich zu fügen, und doch zusammenhängend, gibt weitaus mehr zu verstehen, als zum gleichen Zeitpunkt politische und sozialkritische Befunde erwischen können. Auch sind es nicht mehr die Subjekte, ‚Autoren’, die etwas früher und empfindlicher erfahren als andere, sondern die Gebilde selbst, Ereignisse samt ihren Reaktionen, Stimmungen und Übereinstimmungen, erzählen und deuten die Zeit. Freilich kennen sie nur Gegenwartsschichten und Zukunftswitterung.

    Die Motive, die Botho Strauß umtreiben, sind auch bei dem "Untenstehenden auf Zehenspitzen" wieder nahezu vollständig versammelt. Nur eben seltsam abgedämpft. Noch immer kann er zwar beklagen, dass das "Tiefste" schon "seit langem" geschrieben sei. "Das Unterhaltsamste" dagegen "sicher noch nicht." Ganz offen kann er sich auf das Rechte und die "Rechte" berufen, ja sogar den "Reaktionär" als den "letzten Phantast in einer nahezu kompletten Fantasy-Welt" feiern. Der alte Zorn auf "die Trottel des Wohlergehens", all diese "Kleinstdarsteller des Menschen", denen alle "Ehrfurcht vor höheren Mächten" restlos abgeht, ist ebenso selten geworden wie die Denunziation des Mittelmäßigen. Vom "Anschwellenden Bocksgesang" samt seinem, durchaus beachtlichen Erregungspotential, das dieses SPIEGEL-Pamphlet seinerzeit noch entfalten konnte, ist jetzt nur der zaghafte Hinweis auf das "Geheime Deutschland" eines Stefan George (dem dann auch noch Thomas Mann zur Seite gestellt wird) übriggeblieben. Strauß ist zahm geworden, ästhetisch, politisch und leider auch stilistisch.

    Er wünscht sich jetzt auf Kosten der "Konferenz-Intelligenz" etwas mehr "Sinnier-Intelligenz" und beklagt den "großen Mangel an Stubenhockern". Aber auch solche gelegentlichen Ausschläge ändern nichts an der moderaten Grundstimmung.
    Sein Bekenntnis:

    Die kompromisslose Inanspruchnahme durch einen Autor, so wie kein Mensch im persönlichen Umgang sie mir abverlangt, ist für mich der ausschlaggebende Lesegrund. Gebt mir einen Stilisten – und ich verstehe die Welt!

    Dieses Bekenntnis wird jedenfalls von seinem eigenen Stil kaum mehr gedeckt. Seine Sprache ist nicht nur karger, schmuckloser und spröder geworden. Ganz offenbar sucht er noch, angesichts veränderter Bedingungen, noch einem Stil. Im Moment, scheint, treiben ihn, erkennbar, andere Sorgen um:

    Die geschädigten Rotbuchen haben mit den Jahren ihre Kronen zurückgesetzt, sie bilden jetzt eine Etage tiefer aus, der kahle tote Wipfel bleibt für Taube, Busard und Turmfalken frei. Ich sorge mich bei jedem einzelnen meiner hundertjährigen Recken, dass sie mich überleben.

    Das könnte von Handke kommen. Die einstige Differenz zwischen dem naturseligen Handke
    und dem urbanen Strauß war nicht ästhetisch, auch nicht politisch begründet, sondern lag in einem unterschiedlichen Verständnis von Natur. Dieser Unterschied scheint jetzt aufgehoben.
    Natürlich hängt das nicht nur mit dem Umzug aufs Land zusammen.
    Strauß selbst gibt in einer Reflexion den vielleicht entscheidenden Hinweis:

    Authentisch war ein Künstler oft nur für kurze Zeit. Vielleicht sind es nur wenige Jahre, in denen sich entscheidet, was man für immer von ihm hält. Er selbst empfindet, dass er mit dieser Periode der Authentizität, die man ihm begrenzt und die nicht zu leugnen ist, ebenso lächerlich aussieht wie der Goldring im Ohrläppchen eines glatzköpfigen Finanzbeamten, der noch aus seinen Kälbertagen stammt, als der Schopf noch üppig war und die erste Piercingwelle übers Land rollte.

    Das meint auch, etwas schlichter gesagt: Alles hat seine Zeit. Und die ist irgendwann abgelaufen. Was dann passiert, lässt sich schwer vorhersagen.
    Nicht nur für die "Generation Golf", die heute dreißig- bis vierzigjährigen Zeitgenossen, erscheint Botho Strauß als Relikt einer fernen Vergangenheit. Ihm ist, anders als zum Beispiel Thomas Bernhard, keine neue Aktualität zugewachsen. Bernhards einstiger Deutungshorizont, die Negativität, enthüllt heute ihre komischen Seiten. Strauß hat damals schon die komischen Seiten beschrieben. Er ist heute Vergangenheit. Literaturgeschichte.
    "Der Untenstehende auf Zehenspitzen" bietet noch immer viele, auch aufschlussreiche Einsichten. Und trotzdem nur trübe Aussichten.

    Dein Beruf? Kaum mehr, als deine Kindheit gegen ein würdeloses Erwachsenenleben zu verteidigen. Nur ein fleißiger Adnoten-Schreiber, der Menschen, Büchern, zeitgeschehen, Bäumen sein Zeilchen anhängt, der Untenstehende auf Zehenspitzen.

    Botho Strauß
    Der Untenstehende auf Zehenspitzen
    Hanser, 171 S., EUR 17,90