Sprache, Schrift, symbolische Systeme - seit der Mensch denken kann, hat er eine ganze Reihe beachtlicher Dinge geleistet. Dafür klopft er sich gelegentlich gern auf die Schulter und beglückwünscht sich, wie weit er sich doch von Mutter Natur entfernt hat. Diesen Zustand beschreibt man in der Regel als "Freiheit": Ja, der Mensch ist frei, er lässt sich von der Natur immer weniger vorschreiben. Nur: Ist das wirklich so? Was, wenn gerade diese Emanzipation im Menschen von jeher angelegt wäre? Wenn er gerade mit seinem großen Freiheitsprogramm einer anthropologischen Konstante entspricht? Gar nicht ausgeschlossen, dass auch die Kultur Teil eines biologisch vorbestimmten Programms ist, meint der Germanist Ludwig Jäger.
" Wenn man die neueren Forschungen vor allem in der Evolutionsbiologie, in der Primatenforschung, in der Neurologie zur Kenntnis nimmt, in denen sich zeigt, dass wir ein hochkomplexes genetisches Programm haben als Gattung, in die Kulturalität in einer sehr raffinierten Weise schon eingeschrieben ist. Also die so genannte Other-Mind-Problematik. Also wir können in der Bewegung eines anderen, in der Mimik eines anderen, im Verhalten eines anderen schon sehr früh erkennen, worauf es hinausläuft. Weil wir dazu eine ganz spezifische neuronale Ausstattung haben. Und natürlich bedarf es dann vieler kultureller sozusagen Zwischenwelten , um solche Fähigkeiten dann auf die Niveaus zu bringen, auf denen dann Kulturen stattfinden. "
Absolute Freiheit gibt es demnach ebenso wenig wie absolute Erkenntnis. Denn was wir wie lernen, hängt gar nicht von uns selbst ab. Immer haben wir ja schon was im Kopf, können darum neue Dinge gar nicht unbefangen zur Kenntnis nehmen. Die Zwischenwelten schalten sich auch in den Erkenntnisprozess ein - und das, was die Hermeneutik, die Wissenschaft vom Verstehen, von der Entstehung unserer Weltbilder immer schon wusste, das, so der Marburger Germanist Thomas Anz, Leiter des Germanistentags, wird jetzt auch durch die Naturwissenschaft bestätigt.
" Ein verbreiteter Begriff in der Hermeneutik zum Beispiel ist, dass man mit einem Vorwissen liest. Das meint nichts anderes, als dass, wenn man Texte liest, dass man das Wissen, was man vorher schon hat, ständig den Informationen, die man durch den Text gewinnt, hinzufügt. So wird eine klassische hermeneutische Einsicht kann sozusagen abgeglichen werden mit kognitionswissenschaftlichen Einsichten. "
Wie aber entsteht Erkenntnis? Vor allem im Spiel. Wenn Kinder spielen, machen sie sich mit der Welt vertraut. Im Spiel erwerben Kinder Weltwissen, und alle menschlichen Kulturen räumen ihnen dazu entsprechend geschützte Räume ein. Auf solch geschützte Räume sind auch Literatur und Kunst angewiesen. Denn auch sie dienen der Variation und Erweiterung des Weltwissens - und sind damit, so der Germanist Karl Eibl, auch in genetischer Hinsicht durchaus sinnvoll.
" Gerade was die sozusagen zweckfreien Tätigkeiten des menschlichen Geistes anbelangt, bestehen die natürlich ganz wesentlich darin, dass die natürliche Ausstattung bewegt wird, ohne dass sie unmittelbaren Zwecken unterworfen wird. Die vielgenannte Zweckfreiheit der Kunst findet auf diese Art und Weise auch eine neue, naturwissenschaftlich zu stützende Begründung, das ist kein bloßes philosophisches Schemen, sondern hat Ursachen anthropologischer Art, bioanthropologischer Art. "
Die Bio- und Neurowissenschaften präsentieren Forschungsergebnisse, durch die die Geisteswissenschaften sich eminent herausgefordert fühlen müssen. In Frage steht schließlich nichts Geringeres als der menschliche Wille, die menschliche Freiheit, die bislang auf kultureller Grundlage zu stehen schien. Wenn sie stattdessen aber auch biologisch bedingt ist - dann meint Thomas Anz, stehen die Geisteswissenschaften vor ganz neuen Deutungsaufgaben.
" Wenn Naturwissenschaftler sich über Phänomene äußern, die neurologisch zu lokalisieren sind, wie zum Beispiel Phänomene der Empathie, des Mitleids, dann können eventuell auch Literaturwissenschaftler solche Erkenntnisse in der Neurologie präzisieren, differenzieren, noch andere Fragen stellen dazu, die wiederum Neurologen auch herausfordern können. "
Aus sich selbst werden Menschen oft nicht klug. Wie sehe ich den anderen? Was kann ich verstehen, was nicht, und warum ist das so? Das sind Fragen, die derzeit neue Antworten finden. Hier haben die Naturwissenschaften den Geisteswissenschaften enorme Anstöße gegeben. Vielleicht sind die gar in der Defensive geraten, riskieren, sich ihre zentrale Domäne, die Deutung des Menschenbildes, von den Naturwissenschaften aus der Hand nehmen zu lassen. Zeit also, dass nun ein ernsthafter Dialog entsteht, meint Ludwig Jäger.
" Die Spiegelneuronenforschung, die ja sozusagen auf die Other-mind-Problematik anspielt, eine klassische philosophische Problematik hat diese bisher überhaupt noch nicht zur Kenntnis genommen, also natürlich ist es wichtig, einerseits, solche neuen Entwicklungen der Neurologie für die Sprachtheorie, für die Philosophie sozusagen einzusehen, sich ernsthaft damit zu beschäftigen. Aber man muss die Kollegen auch dazu bringen, dass sie den Forschungsstand in den Kulturwissenschaften zur Kenntnis nehmen, die viel besser sind ihr Ruf. "
Die Naturwissenschaften könnten die Beobachtungen der Geisteswissenschaften stützen, sie aus einer anderen Perspektive beleuchten und so plausibler erscheinen lassen. Doch Geisteswissenschaften sind und bleiben in erster Linie Deutungswissenschaften. Darum, so Karl Eibl, werden sie absolute Erkenntnisse auch weiterhin nicht erzielen.
" Aber im Augenblick ist es wohl so, dass der ganze anthropologische Komplex in ein Stadium gekommen ist, wo diese Fenster aufgehen, und wo man zu wechselseitigen Kontrollen auch kommen kann, und solche wechselseitigen Kontrollen, die helfen natürlich wieder, dass man nicht nur in den eigenen Zirkeln herumschwirrt, und das könnte zu größerer Validität führen. Aber diese Validität ist ein kommunikativer Prozess. "
Die Naturwissenschaften werden die Geisteswissenschaften also kaum überflüssig werden lassen. Geisteswissenschaften wird es immer geben. Einfach darum, weil der Mensch mit dem Deuten beschäftigt ist - und zwar seit und weil er auf der Welt ist.
" Wenn man die neueren Forschungen vor allem in der Evolutionsbiologie, in der Primatenforschung, in der Neurologie zur Kenntnis nimmt, in denen sich zeigt, dass wir ein hochkomplexes genetisches Programm haben als Gattung, in die Kulturalität in einer sehr raffinierten Weise schon eingeschrieben ist. Also die so genannte Other-Mind-Problematik. Also wir können in der Bewegung eines anderen, in der Mimik eines anderen, im Verhalten eines anderen schon sehr früh erkennen, worauf es hinausläuft. Weil wir dazu eine ganz spezifische neuronale Ausstattung haben. Und natürlich bedarf es dann vieler kultureller sozusagen Zwischenwelten , um solche Fähigkeiten dann auf die Niveaus zu bringen, auf denen dann Kulturen stattfinden. "
Absolute Freiheit gibt es demnach ebenso wenig wie absolute Erkenntnis. Denn was wir wie lernen, hängt gar nicht von uns selbst ab. Immer haben wir ja schon was im Kopf, können darum neue Dinge gar nicht unbefangen zur Kenntnis nehmen. Die Zwischenwelten schalten sich auch in den Erkenntnisprozess ein - und das, was die Hermeneutik, die Wissenschaft vom Verstehen, von der Entstehung unserer Weltbilder immer schon wusste, das, so der Marburger Germanist Thomas Anz, Leiter des Germanistentags, wird jetzt auch durch die Naturwissenschaft bestätigt.
" Ein verbreiteter Begriff in der Hermeneutik zum Beispiel ist, dass man mit einem Vorwissen liest. Das meint nichts anderes, als dass, wenn man Texte liest, dass man das Wissen, was man vorher schon hat, ständig den Informationen, die man durch den Text gewinnt, hinzufügt. So wird eine klassische hermeneutische Einsicht kann sozusagen abgeglichen werden mit kognitionswissenschaftlichen Einsichten. "
Wie aber entsteht Erkenntnis? Vor allem im Spiel. Wenn Kinder spielen, machen sie sich mit der Welt vertraut. Im Spiel erwerben Kinder Weltwissen, und alle menschlichen Kulturen räumen ihnen dazu entsprechend geschützte Räume ein. Auf solch geschützte Räume sind auch Literatur und Kunst angewiesen. Denn auch sie dienen der Variation und Erweiterung des Weltwissens - und sind damit, so der Germanist Karl Eibl, auch in genetischer Hinsicht durchaus sinnvoll.
" Gerade was die sozusagen zweckfreien Tätigkeiten des menschlichen Geistes anbelangt, bestehen die natürlich ganz wesentlich darin, dass die natürliche Ausstattung bewegt wird, ohne dass sie unmittelbaren Zwecken unterworfen wird. Die vielgenannte Zweckfreiheit der Kunst findet auf diese Art und Weise auch eine neue, naturwissenschaftlich zu stützende Begründung, das ist kein bloßes philosophisches Schemen, sondern hat Ursachen anthropologischer Art, bioanthropologischer Art. "
Die Bio- und Neurowissenschaften präsentieren Forschungsergebnisse, durch die die Geisteswissenschaften sich eminent herausgefordert fühlen müssen. In Frage steht schließlich nichts Geringeres als der menschliche Wille, die menschliche Freiheit, die bislang auf kultureller Grundlage zu stehen schien. Wenn sie stattdessen aber auch biologisch bedingt ist - dann meint Thomas Anz, stehen die Geisteswissenschaften vor ganz neuen Deutungsaufgaben.
" Wenn Naturwissenschaftler sich über Phänomene äußern, die neurologisch zu lokalisieren sind, wie zum Beispiel Phänomene der Empathie, des Mitleids, dann können eventuell auch Literaturwissenschaftler solche Erkenntnisse in der Neurologie präzisieren, differenzieren, noch andere Fragen stellen dazu, die wiederum Neurologen auch herausfordern können. "
Aus sich selbst werden Menschen oft nicht klug. Wie sehe ich den anderen? Was kann ich verstehen, was nicht, und warum ist das so? Das sind Fragen, die derzeit neue Antworten finden. Hier haben die Naturwissenschaften den Geisteswissenschaften enorme Anstöße gegeben. Vielleicht sind die gar in der Defensive geraten, riskieren, sich ihre zentrale Domäne, die Deutung des Menschenbildes, von den Naturwissenschaften aus der Hand nehmen zu lassen. Zeit also, dass nun ein ernsthafter Dialog entsteht, meint Ludwig Jäger.
" Die Spiegelneuronenforschung, die ja sozusagen auf die Other-mind-Problematik anspielt, eine klassische philosophische Problematik hat diese bisher überhaupt noch nicht zur Kenntnis genommen, also natürlich ist es wichtig, einerseits, solche neuen Entwicklungen der Neurologie für die Sprachtheorie, für die Philosophie sozusagen einzusehen, sich ernsthaft damit zu beschäftigen. Aber man muss die Kollegen auch dazu bringen, dass sie den Forschungsstand in den Kulturwissenschaften zur Kenntnis nehmen, die viel besser sind ihr Ruf. "
Die Naturwissenschaften könnten die Beobachtungen der Geisteswissenschaften stützen, sie aus einer anderen Perspektive beleuchten und so plausibler erscheinen lassen. Doch Geisteswissenschaften sind und bleiben in erster Linie Deutungswissenschaften. Darum, so Karl Eibl, werden sie absolute Erkenntnisse auch weiterhin nicht erzielen.
" Aber im Augenblick ist es wohl so, dass der ganze anthropologische Komplex in ein Stadium gekommen ist, wo diese Fenster aufgehen, und wo man zu wechselseitigen Kontrollen auch kommen kann, und solche wechselseitigen Kontrollen, die helfen natürlich wieder, dass man nicht nur in den eigenen Zirkeln herumschwirrt, und das könnte zu größerer Validität führen. Aber diese Validität ist ein kommunikativer Prozess. "
Die Naturwissenschaften werden die Geisteswissenschaften also kaum überflüssig werden lassen. Geisteswissenschaften wird es immer geben. Einfach darum, weil der Mensch mit dem Deuten beschäftigt ist - und zwar seit und weil er auf der Welt ist.