Donnerstag, 25. April 2024

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Natur und Macht - Eine Weltgeschichte der Umwelt

An Mythen fehlt es der jüngeren Umweltgeschichte nicht. Da erscheinen die Naturvölker als weise Hüter der Schöpfung, die antiken Imperien werden für die Karstlandschaft des Mittelmeers verantwortlich gemacht, die Kolonialmächte als rücksichtslose Umweltzerstörer entlarvt, Deutschlands Förster zu Erfindern der Nachhaltigkeit stilisiert. Solche schlichten Weltbilder erlauben zwar bequeme Schuldzuweisungen und nützliche Heroisierungen, entsprechen der Wirklichkeit aber kaum. Die Geschichte der Umwelt ist erheblich komplizierter und widersprüchlicher, wie jetzt der Bielefelder Geschichtswissenschaftler Joachim Radkau nach jahrelangen Recherchen in Archiven und alten Dokumenten in seiner materialreichen 'Weltgeschichte der Umwelt' anhand zahlreicher Beispiele belegt. Der Autor:

Johannes Kaiser | 02.10.2000
    "Die Ausnutzung, die Ausbeutung der Natur für menschliche Zwecke ist alt. Wir finden sie, so weit historische Quellen zurückreichen. So die Vorstellung, daß der Urmensch sich ehrfürchtig harmonisch in die Natur einfügt und erst der moderne Mensch die Natur als Objekt behandelt und ausbeutet - die Vorstellung ist sicherlich nicht richtig."

    So verehrten die alten Jäger- und Sammlergemeinschaften oftmals die Tiere als gottähnliche Wesen, dem Menschen brüderlich verbunden. Das hinderte sie aber nicht an Massentötungen, die weit über das Maß der notwendigen Nahrungsbeschaffung hinausgingen. Die Ausrottung oder starke Dezimierung bestimmten Arten fällt auffällig oft mit dem ersten Auftauchen des Menschen zusammen. Andererseits schützten Jagdrituale oftmals trächtige oder junge Tiere. Ähnlich ambivalent standen auch die Bauernvölker ihrer Natur gegenüber. Abhängig von der Fruchtbarkeit des Bodens erkannten sie rasch, daß zu intensive Nutzung die Krume erschöpfte, ließen sie regelmäßig brach liegen oder trieben Mehrfelderwirtschaft, steigerten durch Dünger die Erträge, suchten also ein nachhaltige Bewirtschaftung ihres Landes. Doch wenn die Bevölkerung wuchs, die Herrschaftshäuser oder die Bürokratie zu hohe Abgaben verlangten, vergaß man alle Vorsicht und holte aus den Äcker heraus, was sie hergaben. Die Not zwang zum Raubbau, bisweilen auch die reine Gier. Auch zeigten neue Bewässerungstechniken, intensivere Bearbeitungs- oder Anbaumethoden fatale Folgen. Erstaunlich ist eher, wie gut man bisweilen über zahlreiche Generationen hinweg eine Umweltbalance zu erhalten vermochte. Für Joachim Radkau ist hier das alte China ein faszinierendes Beispiel für jahrtausendealte ökologische Stabilität:

    "Das beste Bespiel sind die Bewässerungssysteme in den bergigen Regionen Südchinas, die Bewässerungssysteme für den Reisanbau. In einer Weise kann da so eine Optimierung des Stoffkreislaufs erreicht werden, wie das in anderen Weltregionen gar nicht möglich war. Der Reis beansprucht kaum Dünger. Das bisschen Dünger, was er braucht, können die Fische produzieren, die in den bewässerten Reisfeldern schwimmen. Die Fische haben zugleich den Vorteil, daß sie Mücken wegschnappen, die sonst Träger des Malariaerregers hätten sein können, ein Vorteil, den die Chinesen natürlich in älterer Zeit noch nicht durchschauen konnte Allerdings sind diese Bewässerungssysteme auf Terrassen sehr fragil. Wenn sie vernachlässigt werden oder wenn schwere Monsunwolkenbrüche kommen, kann vieles ins Rutschen kommen und eine gewaltige Bodenerosion die Folge sein. Wenn außerdem durch die Bewässerungssysteme die Berge hochgetrieben werden, werden zugleich die Wälder immer mehr reduziert; genau sie sind aber auch wichtig, um Wasser festzuhalten. So ist am Ende ein System entstanden, das keine ökologische Reserven hat."

    In vielen Fällen zerbrach das ausbalancierte ökologische Gleichgewicht durch äußeren Druck, durch Kriege, fremde Eroberer, unersättliche Herrscher. Vor allen den europäischen Kolonialmächten wird von ihren ehemaligen Kolonien vorgeworfen, sie hätten sie schamlos ausgeraubt, ihre Umwelt rücksichtslos ausgebeutet. Wie Joachim Radkau zeigt, ist das nur die halbe Wahrheit. Die empfindlichen Öko-Systeme der Tropen zeigten z.B.als Folgen großflächiger Kahlschlagpolitik so massive Erosionsschäden, daß europäische Plantagenbesitzer rasch begriffen, daß sie ihr Hab und Gut aufs Spiel setzten, ging die Entwaldung ungehemmt weiter.

    "Die Kolonisation hatte vermutlich die nachhaltigsten Folgen nicht durch die Einführung neuer Nutztiere und Nutzpflanzen und Gewerbezweige in den neuen Welten, sondern durch unabsichtliche Wirkungen, dadurch daß die Konquistadoren Bakterien mitschleppten, die unter den altamerikanischen Völkern fürchterliche Verheerungen anrichteten, aber auch durch Unkräuter, durch Rattten, durch Schädlinge. Dadurch haben sie vermutlich die Ökologie der neuen Welt an nachhaltigsten durcheinandergebracht."

    Joachim Radkau wagt hier zudem die These, daß die Kolonien ihre Heimatländer oftmals zu leichtsinniger Verschwendung natürlicher Ressourcen verleiteten. Gab es genügend Nachschub, mußte man sich zuhause nicht mäßigen. Die deutsche Aufforstungspolitik, so glaubt der Bielefelder Gesichtswissenschaftler, findet hierin eine ihrer Ursachen, denn Deutschland besaß keine Kolonien, aus denen man Holz importieren konnte. Es galt die eigenen Bestände zu sichern und auszubauen. Und die Not war im 18. Jahrhundert groß, denn Ackerbau, Erzbergwerke und Schiffsbau verschlagen mehr Holz, als die Wälder nachlieferten. Man verabschiedete strenge Regeln für den Holzeinschlag, legte Wälder neu an. Allerdings pflanzte man oftmals Monokulturen schnellwachsender Nadelgehölze an. Der Wald wurde gerettet, die alte Vielfalt schwand, eine Vielfalt, die sich nicht seiten der bäuerlichen Waldnutzung verdankte - eine, so Radkau, oftmals übersehene Tatsache:

    "Es gibt traditionell von der Forstgeschichtsschreibung einen ganzen Schwall von Vorwürfen an die Bauern, sie seien die Holzwürmer des Waldes, sie zerstörten den Wald durch Waldweide, durch Streunutzug. Gerade moderne ökologische Gesichtspunkte führen dazu, daß eben auch die alten Bauernwälder ihre Vorzüge hatten. Sie waren gewiß erheblich artenreicher als die modernen Försterwälde. Auch die Schweinemast ist oft als waldschädlich hingestellt worden. In Wirklichkeit kann man das Schwein als einen Hauptfaktor hinstellen, das zu Erhaltung, auch zur Neuanlage von Eichenwäldern beigetragen hat, ja man kann sogar sagen, daß das Schwein, wenn es nach Eicheln sucht, auch Eicheln pflanzt, indem es Eicheln auch in die Erde tritt und den Boden lockert. Das hat im 18. Jahrhundert schon der berühmte Naturforscher Linn6 erkannt."

    Der Umweltschutz verdankte sich manchmal den merkwürdigsten Koalitionen. So half z.B.die romantische Naturverherrlichung des 19. Jahrhunderts der Aufforstungspolitik, obwohl die neuen Wälder der idealisierten Wildnis der Romantiker keineswegs entsprachen. Aber ihre Ideen führten dazu, daß die Deutschen ihren Wald als Spiegel der Seele, sogar als nationale Besonderheit entdeckten. So läßt sich für Radkau auch erklären, warum das Waldsterben in den siebziger Jahre in Deutschland eine viel größeres öffentliches Echo auslöste als z.B.in Frankreich.

    Ausführlich geht der Geschichtsforscher auf die Ursprünge der deutschen Umweltschutzbewegung ein, zeigt ihre Verbindungen z.B.zur Hygienebewegung Anfang des 19. Jahrhunderts. Als verunreinigtes Trinkwasser in Hamburg zum Choleraausbruch führte, begann eine Debatte über Abwässer und Wasserschutz. Brisant sind Radkaus Verweise auf die nationalsozialistische Naturideologie. Einige führende Nazis vertraten Naturschutzideen, die zwar spätestens mit der Aufrüstung zum Krieg Makulatur wurden, aber nach dem Krieg in wertkonservativen Umweltkreisen durchaus eine Wiedergeburt erlebten. Hier fehlt einfach noch viel Forschungsarbeit. Radkau reißt das Thema nur an. Überhaupt ist sein Überblick über die jüngste Umweltgeschichte etwas mager ausgefallen. So wirken seine Thesen über den Zwiespalt der Umweltbewegung zwischen Basisbewegung und Staatsaufgabe, der sich aus einer zunehmenden Institutionalisierung des Umweltschutzes ergibt, etwas blaß. Zu Recht warnt er allerdings vor den Gefahren einer ungehemmten Weltwirtschaft im Gefolge der Globalisierung: Niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte war eine so rasche, allumfassende, unumkehrbare Umweltzerstörung möglich. Heute gibt es kaum noch einen Winkel der Welt, der nicht dem unmittelbaren Ansturm der Marktkräfte ausgesetzt ist. Wie man sich dagegen am besten wehrt, ist heftig umstritten.Joachim Radkau plädiert für internationale Abkommen und lokal angepaßte Lösungsmodelle.