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Naturheilmittel mit Risiko

Medizin. - Radon strömt eigentlich überall aus dem Boden. Dort, wo es besonders reich vorkommt, entstanden jene so beliebten wie umstrittenen Kurorte, die Linderung bei chronischen Leiden durch das radioaktive Gas verheißen. Das Radionuklid soll aber nicht nur Gelenkkrankheiten bessern, sondern birgt auch die Gefahr, selbst Strahlenkrankheiten zu verursachen, darunter auch Lungenkrebs. Nach Jahren heftigen Streits um das Thema, verspricht eine neue Studie jetzt mehr Klarheit in der Frage.

    "Radon ist mit Abstand das größte unter den Umweltrisiken. Darüber wird aber relativ wenig gesprochen, vielleicht aus der Sicht, dass es eben etwas Natürliches ist. Aber nicht alles Natürliche ist gut", erklärt Erich Wichmann, Chef des GSF-Instituts für Epidemiologie in München-Neuherberg. Denn immerhin ist das landläufig als Therapeutikum bekannte Edelgas schlichtweg radioaktiv. "Radon wird eingeatmet, aber es reagiert nicht selbst mit dem Gewebe, weil es ein Edelgas ist. So gelangt es ungehindert bis in die Lungenbläschen. Wenn Radonteilchen dort zerfallen, wird Alphastrahlung frei und kann das Lungengewebe schädigen." Um das Risiko, dass die allgegenwärtige Strahlungsquelle Krebs verursacht, besser abschätzen zu können, untersuchten die Strahlenmediziner in deutschen Radongebieten rund 3500 Lungenkrebspatienten sowie eine noch größere Gruppe gesunder Vergleichspersonen. Dabei wurde auch ein Jahr lang in allen Wohnungen der Radongehalt in der Raumluft ermittelt, dem Erkrankte wie auch Gesunde bis zu 35 Jahre ausgesetzt waren. Auch der Risikofaktor Tabak wurde ebenso in die Studie mit einbezogen wie etwaiger Kontakt mit krebsauslösenden Substanzen am Arbeitsplatz.

    "Das Ergebnis zeigt, dass mit jedem Anstieg von Radon um 100 Becquerel pro Kubikmeter das Lungenkrebsrisiko um zehn Prozent zunimmt", konstatiert Wichmann. Durchschnittlich liegt in Deutschland die Radonbelastung in Wohnräumen bei 50 Becquerel pro Kubikmeter. Dies bedeutet, dass in jeder Sekunde pro Kubikmeter Luft 50 Radonatome zerfallen und dabei Strahlung freisetzen. In den Untersuchungsgebieten der Studie, also in Eifel, Hunsrück, im südlichen Nordrhein-Westfalen, Ostbayern, Thüringen und Sachsen, liegt der Wert jedoch deutlich darüber: zwischen 100 und 1000 Becquerel in der Spitze lagen die gemessenen Werte. "Die Statistik zeigt, dass es keinen Schwellenwert für ein Erkrankungsrisiko gibt, sondern dass die Gefahr linear mit dem Radongehalt ansteigt. Bei mittleren und erst recht bei höheren Belastungen besteht ein nachweisbares, statistisch abgesichertes Erkrankungsrisiko", so der Wissenschaftler. Laut Untersuchung lassen sich rund sieben Prozent aller Lungenkrebsfälle auf Radon zurückführen. Besonders wichtig scheint der Radongehalt im Schlafzimmer zu sein, denn immerhin hält man sich hier vergleichsweise lange auf.

    Allerdings, so unterstreicht Erich Wichmann, gehe das größte Risiko für Lungenkrebs nach wie vor vom Tabak aus. Für durchschnittliche Raucher steigt demnach das Lungenkrebsrisiko um das 15fache, bei starken Rauchern sogar um das 40- bis 50fache. Komme dazu noch eine überdurchschnittliche Radonbelastung, vervielfachte sich die Krebsgefahr: "Die Risiken multiplizieren sich dann. Bei einem durchschnittlichen Raucher mit einem 15fach erhöhten Lungenkrebsrisiko, und einer Radonbelastung, die das Krebsrisiko verdoppelt, ergibt sich also eine insgesamt 30fach erhöhte Wahrscheinlichkeit, Lungenkrebs zu entwickeln." Wer in einer belasteten Regionen lebt, dem empfiehlt der Epidemiologe durchaus einmal den Radongehalt in der Raumluft messen zu lassen. Sie lasse sich nötigenfalls mit einfachen Maßnahmen reduzieren, so Wichmann: "Einerseits kann mit Isolationsmaßnahmen das Eindringen von Radon aus dem Boden vermindert werden. Überdies verhindert eine ausreichende Ventilation eine weitere Anreicherung des Gases." Bei Neubauten sei dies noch einfacher - hier kann eine geeignete Folie das Haus radonsicher machen. Zumindest aber sollten die Räume regelmäßig gelüftet werden, denn riskante Konzentrationen bauen sich nur in geschlossenen Räumen auf. Als nächstes wollen die Forscher in den kommenden zwei Jahren eine Karte der gesamten Bundesrepublik erstellen, um für jeden Ort eine Gefährdung durch Radon anzugeben.

    [Quelle: Dagmar Röhrlich]