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Naturschutz in Italien in Gefahr

Wir stehen in Italien vor einer regelrechten Gegenreformation. Innerhalb von zehn Jahren hat Italien seine Rückständigkeit gegenüber den anderen europäischen Ländern in Sachen Naturschutz aufgeholt. Jetzt erleben wir eine Gegenbewegung, die das in den letzten Jahren Erreichte bedroht.

Von Anke Pieper |
    Wir stehen in Italien vor einer regelrechten Gegenreformation. Innerhalb von zehn Jahren hat Italien seine Rückständigkeit gegenüber den anderen europäischen Ländern in Sachen Naturschutz aufgeholt. Jetzt erleben wir eine Gegenbewegung, die das in den letzten Jahren Erreichte bedroht.

    Franco Ferroni ist Experte beim World Wildlife Fund Italien in Sachen Naturschutzpolitik und Vorstandsmitglied von FEDERPARCHI. Das ist ein Zusammenschluss von italienischen Nationalparks, regionalen Naturparks und Meeresreservaten. Ferroni sieht den Naturschutz in Italien durch den aktuellen Gesetzentwurf 1798 der Regierung Berlusconi akut gefährdet:

    Der Gesetzentwurf ist vom Abgeordnetenhaus bereits angenommen worden und wird jetzt im Senat diskutiert. Die Protestaktionen von WWF und anderen Umweltorganisationen haben allerdings dazu geführt, dass das Gesetzgebungsverfahren jetzt langsamer vorankommt.

    Besonders die geplante Wiederzulassung der Jagd in Schutzgebieten hat Proteste ausgelöst. Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, dass illegale Bauten innerhalb der Schutzzonen nachträglich genehmigt werden und sich die Schutzgebiete zukünftig selbst finanzieren. Das italienische Umweltministerium lehnte eine Stellungnahme zum umstrittenen Gesetzentwurf ab. Fabio Renzi von der Umweltorganisation Legambiente wirft der Regierung vor, sie wolle sich unter anderem eine kostspielige Staatsaufgabe vom Hals schaffen. Es sei völlig undenkbar, dass ein seriös betreutes Naturschutzgebiet selbsttragend arbeiten könne:

    Wie es die staatliche Gesundheitsversorgung und die öffentlichen Schulen gibt, so muss der Staat auch in angemessener Weise für die Erhaltung der Biodiversität sorgen."

    Bei WWF und Legambiente sorgen neben dem umweltpolitischen Kurswechsel der Regierung außerdem beinahe täglich schlechte Nachrichten für hektische Betriebsamkeit. Gerade wurden im Nationalpark Stelvio in Südtirol 2000 über hundert Jahre alte Bäume gefällt, um die dortigen Skipisten für die Abfahrtsski-Weltmeisterschaften 2005 zu verbreitern. Mitten in der Kernzone des Nationalparks Gran Sasso plant die Region Abruzzen sieben neue Wintersportanlagen. Dieses Projekt verstößt gegen nationales Recht und europäische Normen. Schon vor der möglichen Gesetzesnovelle nehmen in Italien die Umweltdelikte deutlich zu. In den Nationalparks wird gewildert wie seit Jahren nicht mehr, allein im letzten Jahr schossen Wilderer zwei Braunbären und etliche Steinböcke ab, sowie zahlreiche Kraniche und Störche. Auch mehrere Regionalregierungen wollen ihre Naturschutz-Bestimmungen lockern. In der autonomen Region Sizilien sind die Umweltaktivisten entsetzt angesichts der angekündigten nachträglichen Genehmigung illegaler Bauten. Schwarz gebaute Hotelbauten, Feriendörfer und Privatvillen haben dort ganze Küstenstriche auf Dauer verschandelt. Toto Livreri, der Direktor des Naturreservats Monte Pellegrino bei Palermo ist von dieser Entwicklung schockiert:

    Wir erholen uns noch von dem anfänglichen Schock. Wir haben nicht damit gerechnet, dass jemand wieder zu dem Zustand von vor 50 Jahren zurück will. Jetzt bereiten wir große Demonstrationen vor, um die Öffentlichkeit zu informieren. Und wir werden rechtliche Schritte einleiten, um das neue Gesetz abzublocken.

    In Sizilien nimmt jetzt auch das Jahrhundertprojekt der Brücke über die Meerenge von Messina konkrete Formen an. 2004 soll der Bau beginnen, der eine der Haupt-Routen der Vogelwanderung beeinträchtigen könnte. In Sizilien und Italien insgesamt wird sich zeigen, wie beliebt die noch jungen Nationalparks und regionalen Natur-Reservate bei der Bevölkerung sind. Möglicherweise mehr, als die rechtspopulistische Regierung annahm: Umweltminister Altero Matteoli von der Alleanza Nazionale informierte Gemeinden, die innerhalb von National- oder Regionalparks liegen, sie könnten aus dem Schutzgebiet herausgelöst werden und die Bewohner würden dadurch von allen geltenden Einschränkungen befreit – bisher hat sich noch kein Bürgermeister bei ihm gemeldet.