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Naturschutz von oben

Das Ringen um den Schutz des Baikalsees wirft ein bezeichnendes Licht auf das politische System in Russland. Protest wird zunächst totgeschwiegen, bis sich schließlich Präsident Wladimir Putin als der gute Mann aus Moskau vermeintlich auf die Seite der Anwohner schlägt.

Von Sven Töniges |
    "Wenn ein Mensch im Baikalsee ertrinkt, lassen die Mikroorganismen nach kurzer Zeit nur noch abgefressene Knochen zurück. Zudem ist das Wasser des Sees ausgesprochen sauerstoffreich und aggressiv, so dass wiederum nach einiger Zeit auch die Skelette verschwunden sind. Zurück bleibt: nichts. Deswegen ist das Wasser so sauber und klar."

    Allenthalben hört man am Baikal von den enormen Selbstreinigungskräften des Sees. Aber auch die haben ihre Grenzen, erklärt Natalia, Führerin im Museum des Limnologischen Instituts in Listvyanka am südöstlichen Ufer des Baikalsees.


    "Die größte Gefahr ist die Baikal Zellstoff- und Papierfabrik auf der gegenüberliegenden Seite am Ostufer. Sie war über 40 Jahre der größte Verschmutzer am Baikalsee. Aber vor ein paar Jahren war der Präsident da, und man beschloss die Modernisierung: Jetzt wird auf Chlor verzichtet und abgelassenes Wasser gereinigt."

    Wo die Umwelt gefährdet ist, da muss der Präsident helfen. Diese Erzählung ist bezeichnend für das Russland dieser Tage. Einige Kilometer von Listvyanka entfernt, in der Lokalmetropole Irkutsk, hätte man es gern etwas differenzierter. Denn gerade am Baikalsee gibt es eine lange Tradition zivilgesellschaftlich organisierten Umweltschutzes. Yana Ogarkova ist Projektleiterin bei einer der ältesten und renommiertesten Umweltschutzorganisationen, der Baikalwelle.

    "Wegen des Baikalsees ist das Umweltbewusstsein in der Region Irkutsk und der Republik Burjatien seit jeher ausgeprägter als anderswo in Russland. Schon zu Sowjetzeiten gab es hier Widerstand gegen die Zellstoff- und Papierfabrik. Die Leute sind schon damals gegen die Verschmutzung des Sees auf die Straße gegangen, weil sie wussten, was der See für sie, für das Land und die Welt bedeutet."

    Vom Mobilisierungspotenzial in der Region konnten sich Yana Ogarkova und ihre Mitaktivisten im Frühjahr 2006 überzeugen. Der staatliche Pipelinemonopolist Transneft wollte die geplante Erdölpipeline von Ostsibirien an den Pazifik unmittelbar am Nordufer des Baikalsees entlangführen - ein immenses Risiko für das größte Süßwasserreservoir der Erde. Die Baikalwelle rief mit einem lokalen Bündnis in Irkutsk zum Protest, erinnert sich die Vorsitzende Natascha Podkovirova.

    "Im Antrag für die erste Demo haben wir angegeben, 1000 Teilnehmer zu erwarten. Aber in Wirklichkeit haben wir mit weit weniger Demonstranten gerechnet. Am Tag der Demo waren es dann 15.000! Wir waren den Tränen nahe."

    15.000 Demonstranten in Sachen Umwelt - für sibirische Verhältnisse eine unerhörte Zahl. In Moskau reagierte man, wie es die Aktivisten nicht anders kannten.

    "Man beachtete uns einfach nicht. Die lokale Presse unterstützte uns sehr, aber kein russlandweiter Fernsehsender, keine Zeitung erwähnte unsere Demonstration. Über die Studentenproteste in Frankreich berichteten sie, aber unsere Proteste zeigten sie nicht."

    Im Vorfeld hatte es bereits einzelne Festnahmen gegeben, der Geheimdienst FSB beschlagnahmte die Computer der Baikalwelle. Derweil warb Transneft in TV-Spots munter weiter für die geplante Pipelinetrasse.

    Also staunte man bei der Baikalwelle nicht schlecht, als Präsident Putin im April 2006 wie aus heiterem Himmel im Fernsehen eine andere Trassenführung verkündete. Zur besten Sendezeit malte Putin mit einem orangefarbenen Marker auf einer Landkarte die neue Route der Pipeline - gut 400 Kilometer vom Baikalsee entfernt. Eine saftige Watsche für Semon Wainshtok, den offenbar nicht eingeweihten Chef von Transneft.

    War Putin also über Nacht zum Anwalt der Umweltbewegung geworden? Das können die Aktivisten am Baikalsee bis heute kaum glauben. Vielmehr nutzte Putin offenbar einmal mehr die Gelegenheit, sich als guter Zar zu geben, der die Dinge von oben zum Besten lenkt.

    Der Zivilgesellschaft erschwert der Kreml dagegen weiter die Einflussnahme: Die Möglichkeit Referenden abzuhalten wurde unlängst weiter beschnitten, Nichtregierungsorganisationen wurden neue Fesseln angelegt. Das bekommt auch die Baikalwelle zu spüren:

    "Es wird schwieriger, nicht nur für uns sondern für alle möglichen Nichtregierungsorganisationen. Wir dürfen keine Gelder aus dem Ausland mehr bekommen, durch ein neues Vereinsrecht müssen wir hohe Steuern zahlen und so weiter. Ob sich das unter einem neuen Präsidenten ändern wird? Na ja, man gibt die Hoffnung nie auf.""