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Nazifolterknechte wechselten einfach zu den Stalinisten

Auf einer Konferenz in Berlin diskutierten Forscher den Zusammenfang zwischen Naziverbrechen und denen der stalinistischen Diktatur in der Sowjetunion. Doch viele Projekte sind ins Stocken geraten.

Von Frank Hessenland | 30.10.2010
    Wären neben den 40 Referenten mehr als eine Handvoll Zuhörer gekommen, hätte es womöglich eine heiße Debatte in der Rotunde des Käthe-Kollwitz-Museums in Berlin-Charlottenburg gegeben. Denn im Mittelpunkt der dreitägigen internationalen Konferenz über die "Verbrechen der Diktaturen in Osteuropa” stand der international sehr umstrittene Dokumentarfilm "The soviet story”. Darin versucht der baltische Regisseur Edvins Snore nachzuweisen, dass zwischen Stalin und Hitler, zwischen SS und NKWD, zwischen Reichswehr und Roter Armee bis 1941 eine so enge und freundliche 'Arbeitsbeziehung' bestand, dass man von der Gleichwertigkeit der beiden Terrorregime reden kann, wie zum Beispiel der britische Historiker Norman Davies im Film ausführt.

    "Die ganze westliche Welt lebt seit über 60 Jahren mit der Annahme, dass die Verbrechen im 20. Jahrhundert im Wesentlichen Naziverbrechen waren. Und diese Annahme ist sehr schwer zu ändern. Aber Massenmorde sind doch Massenmorde.”"

    Der Film erinnert an die schon vergessene Tatsache, dass Stalin bereits 1932 sieben Millionen Ukrainer absichtlich verhungern ließ, so wie es Hitler 1942/43 mit drei Millionen Polen tat. Er zeigt Dokumente, nach denen Experten für Folter und Arbeitslager von Hitler-Deutschland und der Sowjetunion sich austauschten. Auch bezüglich des totalitären Anspruchs, der Schaffung eines 'neuen Menschen', des Designs der Propaganda ähnelten sich die Regime in den 30er/40er-Jahren. Nur ging der Terror in den sowjetisch besetzten Ländern nach dem Krieg eben weiter, wie die zur Konferenz "Verbrechen der Diktaturen” aus Osteuropa angereisten Historiker, Archivare und Journalisten berichteten. Aus Ungarn ging eine halbe Million in sibirische Arbeitslager, aus den baltischen Staaten oder aus Rumänien noch mehr, sagt Historiker und Bürgerrechtler Marius Oprea aus Bukarest.

    ""Während der kommunistischen Herrschaft sind über 600.000 Menschen aus politischen Gründen in Arbeitslager gekommen und viele sind deportiert worden. 200.000 starben während dieser Zeit und wir finden heute noch versteckte Massengräber von Menschen, die ohne Urteil erschossen wurden, in den Bergen und den Wäldern.”"

    Nicht selten, bestätigt der stellvertretende Leiter des Museums "Haus des Terrors” im ungarischen Budapest, wechselten die Folterknechte der Nazis nach dem verlorenen Krieg einfach die Seiten und machten für die Stalinisten weiter. Entsprechend fordern heute viele Bürgerrechtler in Mittel- und Osteuropa eine rechtliche Gleichstellung der Verbrechen der beiden großen Diktaturen, zum Beispiel Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen:

    " "Die gleichen Waggons, die gleiche Situation des Heimatverlustes und der großen Bevölkerungsverschiebungen. Diese im Grunde genommen extrem menschenfeindliche totalitäre Herangehensweise, die ist hier durchaus so universal, dass man dieses Thema nicht immer gegeneinander diskutieren muss, sondern eher darüber sprechen kann, wie diese Regime jeweils Millionen Opfer produziert haben."

    Erreicht haben die ehemaligen Bürgerrechtler im letzten Jahr auf europäischer Ebene die Ausrufung des Gedenktages für die Opfer des Kommunismus am 23. August, dem Tag der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes. Doch weitere Projekte sind ins Stocken geraten, etwa eine einheitliche europäische Regelung im Umgang mit den Tätern, einheitliche Forschungsinitiativen oder einheitliche Bildungsstandards im Umgang mit der kommunistischen Diktatur. Beträchtliche Widerstände erfahren solche Bestrebungen nicht nur von den sozialistischen Parteien in vielen Staaten Europas. Auch jüdische Organisationen fürchten die Relativierung der NS-Geschichte aus nachvollziehbaren Gründen. Und dann gibt es da noch den aus Sicht der Forschung vielleicht wichtigsten Punkt: Die russischen Archive bleiben für Historiker nur äußerst schwer zugänglich.