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Ne kölsche Jung wird 100

Zum Image von Köln - lebensfroh, tolerant bis saumselig, trinkfest - gehörte Willy Millowitsch unbedingt dazu. Millowitsch starb 1999, sein Volkstheater lebt weiter, geführt von seinem Sohn Peter. Dass der sich unter dem Regiment seines Vaters nie nach vorn hatte spielen können, das gehörte zu den vielen Geschichten, über die man sich in Köln das Maul zerriss.

Von Beatrix Novy | 08.01.2009
    "Es geht ein Ruf wie Donnerhall, bei Millowitsch zuhaus ist Ball"

    1945 sagte im bombenzerstörten Köln der Oberbürgermeister Konrad Adenauer zu Willy Millowitsch: "Fangen Sie bloß wieder an zu spielen, die Leute brauchen was zum Lachen." Das ließ sich der Theaterprinzipal Millowitsch nicht zweimal sagen.

    "Die Leute schrien ja nach irgend etwas Lustigem. Sie wollten nach diesem Krieg doch irgend etwas Nettes und etwas Unterhaltendes haben. Und vor allen Dingen vergessen. Und das hatten sie dann ja bei uns, nicht. Bei uns gibt's Lachen, Lachen und noch mal Lachen."

    Millowitsch und seine Familie schufteten, um das nur teilweise zerstörte Theater wieder aufzubauen; und so nahm mitten in den Trümmern von Köln eine Volksbühne den Betrieb wieder auf, die vor dem Krieg ein geachtetes Etablissement, ein Werk mehrerer Generationen gewesen war. Mit einer Puppenbühne hatten die Millowitschs begonnen; aber als Willy am 8. Januar 1909 zur Welt kam, war man schon auf die echte Schauspielerei umgestiegen. Und weil dies ein Familienbetrieb war, wuchs der kleine Willy hinein in das Repertoire des Theaters, in die burlesken Lachstücke, die sein Großvater geschrieben oder bearbeitet hatte.

    "Ich hab gedacht, du bist ein armer Kerl, du bist ein Unglücksrabe. Du hast ein Päckchen nach dem anderen, aber nein! Ein raffinierter Hund bist du! Sie hat ja ganz recht, wenn sie sich von dir scheiden lässt. Dich kann man ja in eine Blechbüchse einlöten, da gehst Du ja immer noch fremd! Jawohl!"

    "Et fussig Julche", "Nachtjackenviertel", "Schneider Wibbel", "Der Etappenhase". Erfolge, die alles überdauerten. Die Versuche der Nazis, ein Stück mit dem Titel "Horst Wessel" bei Millowitschs aufführen zu lassen, gingen daneben, aber eine Kraft durch Freude-Posse mit dem Titel "Petermann geht nach Madeira" diente als Ersatz und begeisterte durchaus.

    Fünf Jahre nach Kriegsende kam die Zeitenwende: Das Fernsehen übertrug 1953 live eine Vorstellung aus dem kölschen Theater. Mit Millowitsch kam erstmals das Volkstheater in die Wohnzimmer. Anfangs waren es ganze 5000. Aber das änderte sich bekanntlich schnell, folgerichtig wurde er, wie kurz darauf auch Heidi Kabel aus Hamburg, ein Volksschauspieler der ganzen Nation

    "Wissen se, dat wat ich morgen abend brauch, dat wird nur in Heimarbeit hergestellt. Jemütlichkeit, verstehens se? Ruhe! La rue im jardin-garten. Verstehen se?"

    So war und so blieb Willy Millowitsch: unverbrüchlich er selbst, die kölschen Humor-Eigenschaften der Unverbindlichkeit, des Laissez-faire und einer gutmütigen Unschärfe kultivierend, fest verankert in seiner Popularität. Im Alter schließlich von allen verehrt, auch von den Jungen, den Alternativen und Kulturprogressiven, die, ohne jemals das Millowitsch-Theater von innen zu sehen, in 70er und 80er Jahren das Lokale und Heimatliche sozusagen von links her entdeckt hatten. Doch Millowitsch brauchte das Volkstheater nicht zu reformieren, so wie seine Kollegin Trude Herr es versuchte – er wurde einfach so geliebt. Respektvoll schaute man seinen Ausflügen ins ernsthafte Theatermetier zu, oder wie er noch in hohem Alter den Kommissar Klefisch gab. Und alle gönnten ihm von Herzen das Bundesverdienstkreuz, das Johannes Rau ihm 1994 anheftete.

    "Volksschauspieler, das ist keine Herabsetzung. Und wir wünschten uns viele Künstler wären so nah am Volk wie Willy Millowitsch das ist."

    "Soll er nun zuhause hängen oder soll ich en ins Theater hängen? Im Theater sehen ihn viele, viele Menschen. Ich glaub ich häng ihn ins Theater."

    Auch das Denkmal, schon zu seinen Lebzeiten aufgestellt, gönnte man ihm: Wo es ihn doch so freute! Jeden seiner im Alter unsicherer werdenden Schritte beobachtete liebevoll die Tageszeitung, sorgsam wurde sein Gesundheitszustand rapportiert, gern verzieh man ihm die drei Autounfälle, die er brauchte, eh er den Führerschein abgab. Der jederzeit überbordende Kölner Lokalpatriotismus hatte ihn zum Schutzheiligen erkoren, und so durfte auf dem großen Konzert gegen Ausländerfeindlichkeit, das Kölner Musikgruppen nach Rostock und Hoyerswerda organisiert hatten, Willy Millowitsch, der Ur-Urenkel osteuropäischer Einwanderer, der Erbträger kölscher Toleranz nicht fehlen.

    "Ich danke Euch! Und wenn ich das hier sehe, gibt's nur einen Satz: su jet jiddet nur bei uns in Kölle!"