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Nebelkerzen und offene Fragen

Das Scharmützel zwischen Claudia Pechstein und dem Eislauf-Weltverband ISU, der die deutsche Rekord-Olympionikin zwei Jahre gesperrt hat, spitzt sich kurz vorm Prozess am Sportgerichtshof CAS ab Donnerstag zu.

Von Thomas Kistner | 19.10.2009
    Die ISU hatte geurteilt, dass die hohe Anzahl junger Blutkörperchen in drei Pechstein-Proben von der WM im Februar nur mit Doping zu erklären seien, sie stützt den Vorwurf auf weitere Werte aus früheren Jahren. Pechstein, die Doping bestreitet, konnte bisher weder eine Blutanomalie vorweisen noch sonst eine schlüssige Erklärung, die die unabhängige Fachwelt überzeugt.

    Nun ist Pechsteins Team - nach einer Fernseh-Offensive im August - erneut mit Materialien an die Öffentlichkeit gegangen, die es für entlastend hält. Es will aus anderen Blutparameter eine "handfeste medizinische Entlastung” ableiten. Experten rätseln vorläufig, wie das gemeint sei, Retikulozyten allein gelten als sehr belastbarer Wert.

    Zugleich präsentierte Pechstein eigene, in einem Berliner Labor erhobene Blutanalysen, die teils eklatante Messdifferenzen mit zwei unterschiedlichen Analysegeräten, Sysmex und Advia, ergeben hätten.

    Das Gerät vom Typus Advia, den die ISU seit Beginn ihrer Bluttestreihen 2000 einsetzt, lieferte die höheren Werte. Mit Hilfe des anderen Gerätetypus' Sysmex, so Pechsteins These, wäre die ISU auf normale Werte gekommen. Bei einer der Messungen im August habe Pechsteins Retikulozytenwert sogar laut Advia 2,9 betragen, laut Sysmex nur 1,4.

    Experten wie Fritz Sörgel schütteln da den Kopf. Der Nürnberger Pharmakologe sagt, jeder bessere Laborant wisse, dass Advia höhere Werte misst als Sysmex. Jedes Geräte habe daher seinen eigenen Normalbereich. Darauf weisen auch die Labore in Köln und Kreischa hin: Für einen anderen Gerätetypus brauche es auch andere Grenzwerte - Blutmessgeräte, die unterschiedliche Werte produzieren, ohne dass sich diese zum jeweiligen Gerätetyp interpretieren ließen, machen keinen Sinn. Daher, so Sörgel, schaffe eine vergleichende Messung an beiden Geräten nur Verwirrung.

    Es gibt mehr heikle Fragen für unabhängige Beobachter. Etwa die, "warum offenbar nur bei Pechstein immer wieder Falschmessungen aufgetreten sein sollen”, wie Sörgel wissen will. Auch wurden die Bedingungen der neuen Pechstein-Studie bisher nicht näher beschrieben. Sörgel sagt, schon die Nationale Anti-Doping-Agentur habe ja eine solche Studie abgelehnt, "weil eine Rundumüberwachung der Athletin über den erforderlichen mehrwöchigen Zeitraum” nicht zu garantieren war.
    ISU-Chefarzt Harm Kuipers hat schon vor Monaten zu seiner Advia-Messmethodik erklärt, dass eine neue Studie von 2008 belege, dass Retikulozytenwerte, die über 2,4 schießen, abnormal seien - egal, ob auf Advia oder auf Sysmex gemessen. Auch David Howman, Chef der Weltantidopingagentur Wada, liefert eine erhellende Einschätzung zum Fall. Ihn erinnere die heftige Einbindung der Medien durch die Athletin sehr an die Fälle Floyd Landis und Tyler Hamilton. Auch den Radprofis habe ihre Öffentlichkeitsarbeit beim Prozess vor dem CAS nicht viel genutzt.

    Wie es bei Pechstein läuft, bleibt abzuwarten. Derzeit ist wohl noch zu klären, ob die ziemlich spät vorgelegte, neue Flut an Beweismitteln rechtzeitig bis Donnerstag von CAS-Richtern und der ISU konsumiert werden kann. Da droht womöglich das nächste Scharmützel - noch vor dem Prozess.