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Nebeneinander statt gegeneinander

Seit Jahrzehnten zanken sich Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof um Kompetenzen. Es geht um die entscheidende Frage: Wer hat das letzte Wort? Und kann es dieses "letzte Wort" überhaupt geben im vereinten Europa? Eine neue Juristengeneration setzt verstärkt auf Dialog statt Konflikt.

Von Maximilian Steinbeis | 17.06.2012
    Stühlerücken im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe: Wenn die Richter in ihren roten Roben im Gerichtssaal Platz nehmen, ist stets ein Urteil zu erwarten, das Gehör findet. So wird das auch am kommenden Dienstag sein – die Verfassungshüter werden ihr Urteil über den europäischen Stabilitätsmechanismus verkünden. Dabei geht es auch um die Rolle des deutschen Bundestags und seine verfassungsmäßig verbrieften parlamentarischen Rechte – konkret um die Frage, ob die Volksvertreter genügend eingebunden wurden in den ESM und ob sie ihren Einfluss genügend geltend machen konnten. Die eigentliche Kernfrage jedoch, über die sich die Juristen seit Beginn der Euro-Krise streiten und die über Recht- oder Unrechtmäßigkeit des ganzen Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM entscheidet, wird das Bundesverfassungsgericht aller Voraussicht nach einmal mehr unbeantwortet lassen: Überschreiten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihre Kompetenzen, wenn sie die Bestimmungen des ESM umsetzen – oder anders gefragt: Dürfen die EU-Mitgliedsstaaten sich gegenseitig aus der Patsche helfen, wenn einer von ihnen in Haushaltsnöte gerät – oder ist das ein Verstoß gegen bestehende Regeln und Gesetze?

    Denn im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, genauer gesagt: In dessen Artikel 125 ist die sogenannte Bail-out-Regel verankert: Die Mitgliedsstaaten haften nicht füreinander und treten auch nicht für ihre jeweiligen Verbindlichkeiten ein. Was das konkret bedeutet, hat das Bundesverfassungsgericht aber nicht zu entscheiden - denn das Bundesverfassungsgericht prüft Verfassungsrecht und nicht Europarecht: Dafür ist der Europäische Gerichtshof in Luxemburg zuständig. Die Luxemburger Richter aber antworten nur, wenn sie zuvor angerufen und gefragt wurden: Auch in diesem Fall müsste ihnen also zunächst ein nationales Gericht die Bail-Out-Frage zur Entscheidung vorlegen. Theoretisch könnte das Bundesverfassungsgericht das tun. Tatsächlich hat es das bisher in keinem einzigen Fall getan. Und wird es wohl auch diesmal nicht tun.

    Viele Juristen würden eine solche Vorlage als Unterwerfungsgeste gegenüber dem europäischen Gericht in Luxemburg deuten – das Bundesverfassungsgericht würde damit dem EuGH das Letztentscheidungsrecht einräumen. Und das wäre nicht nur ein Novum – sondern auch eine Wende im ewigen Kompetenzstreit zwischen Bundesverfassungsgericht und EuGH. Er dreht sich um die entscheidende Frage: Wer hat das letzte Wort? Gibt es das, das "letzte Wort"? Und kann es das überhaupt geben im vereinten Europa?

    Luxemburg. 500.000 Einwohner, das zweitkleinste Land in der EU nach Malta. 20 Kilometer sind es von der Hauptstadt Luxemburg an die französische Grenze, 20 Kilometer nach Belgien und 20 Kilometer nach Deutschland. Hier in Luxemburg, in der Rue Konrad Adenauer auf dem Kirchberg-Plateau gegenüber der Altstadt, residiert in einem riesigen Gebäudekomplex aus Glas und Stahl der Europäische Gerichtshof.

    Thomas von Danwitz, ein hochgewachsener Herr von 50 Jahren mit grau-meliertem Haar, ist vom Scheitel bis zur Sohle Jurist, ein deutscher Jurist. Seit sechs Jahren sitzt er für Deutschland auf der Richterbank des EuGH. Im Zivilberuf lehrt er Europarecht an der Universität Köln. Von einem angeblichen Konflikt mit den nationalen Verfassungshütern will er nichts wissen:

    "Traditionell legen viele Verfassungsgerichte schon vor, das gilt etwa für den belgischen Cour Constitutionel, aber auch jüngst haben wir ein sehr wichtiges Verfahren vom spanischen Verfassungsgerichtshof zum europäischen Haftbefehl und dem Grundrechtsschutz in diesem Rahmen bekommen, sodass wir schon davon ausgehen, dass eine funktionierende Kooperation auch zu den Verfassungsgerichten in Europa besteht."

    Und auch, was Karlsruhe betrifft, kann der deutsche Europarichter keinen Grund zum Tadel erkennen:

    "Karlsruhe löst die Problematik durchaus auch im Sinne des Gerichtshofes über diese besondere Kontrolle des gesetzlichen Richters, sodass die Fachgerichte sehr stark dazu angehalten werden, Vorlagen zu machen, und das tun sie auch, sodass Karlsruhe schlicht und ergreifend nicht mehr in der Notwendigkeit ist, selber zu Klärung solcher Fragen, die das Europarecht betreffen, vorzulegen Also, das muss man im Zusammenhang sehen, daraus wird für mich jetzt kein Beleg einer abwehrenden Haltung. Ich glaube, das ist einfach mit dieser Besonderheit des deutschen Rechts zu erklären, andere Länder kennen diese zusätzliche Überwachung der Vorlageverpflichtung nicht, was dann für diese Länder es eher ermöglicht, dass ein Gericht sich zurückhält, obwohl es das nicht sollte."

    Dabei ist die Frage, ob und wann Karlsruhe in Luxemburg eine Vorabentscheidung einholt, nur ein Aspekt im spannungs- und facettenreichen Verhältnis zwischen Luxemburg und Karlsruhe. Seit den 1970er-Jahren hat das Bundesfassungsgericht immer wieder mit Urteilen für Aufsehen gesorgt, in denen es das letzte Wort für sich beanspruchte – also die Kompetenz, auch Europarecht am eigenen Maßstab, dem Maßstab des Grundgesetzes zu messen und notfalls für verfassungswidrig und damit in Deutschland für ungültig zu erklären.

    1993, im Urteil zum Maastricht-Vertrag, hatte Karlsruhe definiert, wo die rote Linie verläuft, die das Grundgesetz der europäischen Integration zieht, nämlich beim Demokratieprinzip: Das deutsche Volk, vertreten durch den Bundestag, müsse die Kontrolle darüber behalten, welche Kompetenzen es an die EU überträgt, was die EU tun darf und was nicht. Und darüber, dass die EU nicht zu viele Kompetenzen erhält, wache wiederum das Bundesverfassungsgericht. Im Lissabon-Urteil 2009 hatte es obendrein angekündigt, einschreiten zu wollen, wenn die europäische Integration die deutsche Verfassungsidentität aushöhlt: Wer einen europäischen Bundesstaat wolle, so das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil, müsse das Grundgesetz durch eine neue Verfassung ersetzen – und gegebenenfalls das Volk darüber abstimmen lassen.

    In derselben Etage wie Richter von Danwitz hat auch Sir Konrad Schiemann sein Büro im Luxemburger EuGH-Hochhaus. Sir Konrad ist der britische Richter beim Europäischen Gerichtshof. So sehr Thomas von Danwitz das Klischee des deutschen Juristen erfüllt, so sehr gleicht Konrad Schiemann dem Archetypen eines britischen Juristen: dunkler Blazer mit Weste, Paisley-Krawatte, gepflegtes Oxford-Englisch. Dabei ist er in Deutschland geboren, wie sein Name verrät. Als Berliner Kriegswaise kam er 1946 nach England, wo er bei Verwandten aufwuchs.

    "Sie können ja sehen, dass es das Leben unmöglich machen würde, wenn jedes Verfassungsgericht in jedem Land sagen würde, diesen erkennen wir an, diesen erkennen wir nicht an. Das ist nicht machbar, so weiterzuleben, wenn wir zusammenarbeiten müssen. Natürlich kann man der Meinung sein, dass irgendeine Entscheidung eine schlechte Entscheidung ist. Aber zu sagen, wir machen nicht mehr mit, das bedeutet gewissermaßen, wenn man das sehr ernst nimmt, dann muss das Land nicht mitmachen und ausscheiden."

    Das Europarecht ist dazu da, die nationalen Rechtsordnungen aufeinander abzustimmen und miteinander in Einklang zu bringen - zu harmonisieren, wie es im Brüsseler EU-Deutsch heißt. Das geht jedoch nur, wenn es Vorrang genießt vor dem nationalen Recht, und zwar einschließlich des Verfassungsrechts. Das wird im Prinzip auch überall in der EU anerkannt und praktiziert, selbst in Karlsruhe. Doch der Anspruch des Bundesverfassungsgerichts, im Zweifel EU-Recht für verfassungswidrig zu erklären, stößt in Luxemburg auf Widerstände – dort wird er als existenzielle Bedrohung für das Europarecht wahrgenommen.

    "Bis jetzt, ich glaube, haben wir alle verstanden, dass wir miteinander leben müssen, und von Zeit zu Zeit gibt es so Rechtsprechungen wie das erste Lissabon-Urteil, wo das deutsche Verfassungsgericht - ich habe das in England beschrieben als "not guilty, but don’t do it again!". Ungefähr das, nicht, man sagt, das geht schon, aber pass’ mal auf! Na, wir lesen das. Natürlich wollen wir nicht einen Krach haben mit dem deutschen Verfassungsgericht, das letzte, was wir wollen. Aber, man muss sich klar sein, es gibt auch andere Verfassungsgerichte."

    Das Bundesverfassungsgericht hat es bislang stets bei seiner Drohung belassen und es sorgfältig vermieden, sie tatsächlich auch wahr zu machen. Allerdings hat der Karlsruher Anspruch, das Europarecht unter nationalen Verfassungsvorbehalt zu stellen, Schule gemacht und in anderen EU-Ländern Nachahmer gefunden. Und dort sind die Verfassungsrichter bisweilen weniger zimperlich. Der tschechische Verfassungsgerichtshof etwa hat Anfang dieses Jahres erstmals den roten Knopf gedrückt und ein Urteil des EuGH für verfassungswidrig erklärt – es ging dabei um Rentenansprüche slowakischer Bürger in Tschechien.

    "Das ist aus unserer Sicht ein sehr bedauerlicher Vorgang in verschiedener Hinsicht."

    Sagt der EuGH-Richter von Danwitz.

    "Er ist zunächst einmal bedauerlich, weil natürlich die Bürger nicht wissen, was letztlich in ihrem Fall rechtens ist. Es ist auch bedauerlich, weil der Eindruck entsteht, dass die Gerichte sozusagen um Zuständigkeiten ringen auf Kosten der Bürger. Es ist aber im weiteren Sinne bedauerlich, weil daraus die Frage Europa gegen Mitgliedsstaat oder umgekehrt gemacht wird. Entscheidend ist aber zu erkennen, dass in solchen Fällen eigentlich immer beide verlieren."

    Weil es in dem tschechischen Fall um Fragen des Europarechts ging, hätte der tschechische Verfassungsgerichtshof diese Fragen eigentlich dem EuGH vorlegen müssen.

    "Das hat das tschechische Verfassungsgericht eindeutig nicht getan, sodass der Gerichtshof nie mit der vollen Problematik konfrontiert war. Nun aber, und solche Geschichten gehen halt immer weiter, legt uns das höchste tschechische Verwaltungsgericht wiederum Fragen zu exakt dem gleichen Verfahren vor, und die letzte ist dann natürlich darauf gerichtet, ob denn in einem solchen Fall das höchste Verwaltungsgericht in der Interpretation des Unionsrechts gebunden werden kann vom Verfassungsgericht in einer Weise, die dem vorher ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs zuwiderläuft."

    Damit findet sich der EuGH in der höchst unangenehmen Lage wieder, der tschechischen Justiz sagen zu müssen, ob sie ihrem eigenen Verfassungsgericht nun folgen soll oder nicht. Dies war der erste Fall, in dem der Kompetenzstreit zwischen nationalem Verfassungsrecht und Europarecht offen zutage trat.
    Um eine derartige Konfrontation wie in Tschechien zu verhindern, hat das deutsche Bundesverfassungsgericht vorgesorgt – juristisch spröde, aber im Rahmen dessen ziemlich elegant. Immer, wenn EU-Recht nach deutscher Einschätzung für verfassungswidrig erklärt werden solle, müsse der Europäische Gerichtshof in Luxemburg beteiligt werden, entschieden die Karlsruher Richter 2010 in einem Urteil, das als "Honeywell-Urteil" Rechtsgeschichte schrieb. Im Klartext heißt das: Immer, wenn aus Karlsruher Sicht der EuGH über das Ziel hinausschießen will, muss er Gelegenheit bekommen, sich zu korrigieren. So soll ein Eklat wie in Tschechien vermieden werden.

    Diesem Honeywell-Urteil war eine Eskalation im schwelenden Konflikt zwischen Luxemburg und den Karlsruher Verfassungsrichtern vorangegangen, wie sie von niemandem für möglich gehalten worden war. Den Anfang hatte eine Luxemburger Entscheidung gemacht, die deutsche Juristen als offenen Affront interpretierten: Im Jahr 2005 erklärte der EuGH ein deutsches Gesetz für unanwendbar, weil es gegen europäisches Recht verstoße. In diesem sogenannten Mangold-Urteil ging es um die deutsche Regelung zur Altersteilzeit. Die fanden die Luxemburger Richter diskriminierend und kippten sie deshalb kurzerhand – obwohl die Richtlinie zur Altersdiskriminierung noch gar nicht in Kraft getreten war. Stattdessen stützten sich die EuGH-Richter auf einen angeblich allgemeinen Grundsatz des EU-Rechts, wonach Altersdiskriminierung schon immer verboten gewesen sei. Das wiederum erschien vielen deutschen Juristen als eine Art Staatsstreich: Niemand hatte je von einem derartigen Grundsatz gehört.

    Sollte sich der EuGH also tatsächlich anmaßen, sich die rechtlichen Grundlagen seiner Urteile gleichsam nach eigenem Gutdünken zurechtzuschneidern? Dann wäre die rote Linie des Bundesverfassungsgerichts eindeutig überschritten. Viele erwarteten, dass Karlsruhe ein Exempel statuieren und das Mangold-Urteil zum Anlass nehmen würde, den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg in seine Schranken zu weisen. Doch wieder ging das Bundesverfassungsgericht der ultimativen Konfrontation aus dem Weg – nur einer der acht Richter des zuständigen Zweiten Senats, Herbert Landau, wäre bereit gewesen, Luxemburg die Stirn zu bieten. Alle anderen, darunter der Wortführer der Euroskeptiker am Bundesverfassungsgericht, Udo Di Fabio, unterschrieben ein Urteil, das die Kampfansage des Lissabon-Urteils: Bis hierhin und nicht weiter! - in weitem Umfang wieder zurücknahm.

    Was war da in Karlsruhe geschehen? Woher kam dieser plötzliche Schwenk des Einlenkens und der demonstrativen Kooperationsbereitschaft? Andreas Paulus hat eine Erklärung. Er ist seit März 2010 Richter am Ersten Senat. Paulus, Jahrgang 1968, gehört nicht nur einer anderen Generation an als die meisten Kollegen aus dem Zweiten Senat, die 2010 das Lissabon-Urteil fällten. Auch sein akademischer Hintergrund ist ein gänzlich anderer: Sein Spezialgebiet ist das Völkerrecht. Er hat in Harvard studiert. Und damit ist ihm eine juristische Welt, in der unterschiedliche Rechtsordnungen mit unterschiedlichen Höchstgerichten mit-, über- und nebeneinander existieren, nicht nur vertraut: Sie ist für ihn eine Selbstverständlichkeit.

    "Wir sind also nicht mehr in einer Welt, die man beschreiben könnte als entweder Priorität des internationalen oder Priorität des nationalen Rechts. Sondern jede Rechtsordnung schaut zu der anderen und muss das eigene Verhältnis klären. Es gibt kein klares hierarchisches Verhältnis, das sozusagen einen Letztentscheider kennen würde. Das wurde ja mal vorgeschlagen, es sollte ein Kompetenzgericht geben, das gemischt zusammengesetzt ist aus dem Gerichtshof der Europäischen Union und den Verfassungsgerichten. Ich stehe solchen Vorschlägen inzwischen skeptisch gegenüber, weil sie genau dieses Überordnungsverhältnis voraussetzen, das es nicht gibt."

    Paulus setzt auf den Dialog und die Gabe des Zuhörens. Konkret heißt das, dass die eine Seite die Urteile der anderen Seite wahrnimmt, zur Kenntnis nimmt, ernst nimmt. Und dann reagiert. Paulus verweist darauf, dass zwischen Karlsruhe und Luxemburg längst ein enges Netzwerk bestehe, das übrigens auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit einschließe. Man trifft sich regelmäßig, tauscht sich aus und löst die Probleme, ehe sie überhaupt entstanden sind – auf die Gefahr hin, dass dies nach außen als intransparentes Gemauschel wahrgenommen wird.

    "Diese Treffen sind sehr offen und sind auch sehr kontrovers, man schenkt sich nichts, das heißt aber nicht, dass man danach nicht noch mittag- oder abendessen kann oder ein Glas Wein trinken kann zusammen."

    Also alles Friede, Freude, Eierkuchen im Verhältnis zwischen Karlsruhe und Luxemburg? Ganz so einfach ist das nicht. Es gibt Differenzen genug – und einen Grund für die anhaltenden Spannungen liefert die Europäische Grundrechtecharta und der Luxemburger Umgang mit ihr. Die Charta schütze zwar die EU-Bürger vor Grundrechtsverletzungen der EU, meint Verfassungsrichter Paulus, aber:

    "Andererseits führt ein einheitlicher Grundrechtekatalog, selbst wenn er nur auf der europäischen Ebene anzuwenden ist, doch zu einer gewissen Zentralisierungstendenz. Und deswegen muss man da Gegengewichte schaffen. Das gilt sowohl für den Gerichtshof der Europäischen Union als auch für die nationalen Verfassungsgerichte, die gelegentlich einmal aufzeigen müssen, wo die Problemgebiete anfangen."

    So fehlt dem EuGH, der auf einheitliche Umsetzung der EU-Richtlinien pocht, beispielsweise gelegentlich das Verständnis dafür, dass Deutschland ein Bundesstaat mit 16 Bundesländern ist. Der Föderalismus gehört zur Verfassungsidentität Deutschlands – und die Bundesländer können schon einmal unterschiedliche Wege gehen. Auch hier ist Kommunikation durchaus förderlich, meint Paulus:

    "Hier ist es eben auch sinnvoll, wenn bei diesen verschiedenen gemeinsamen Dialogen, die stattfinden, auch auf diese Problemfelder hingewiesen wird, damit der Gerichtshof das, was er entscheidet, eben im Bewusstsein der nationalen Problematik entscheidet. Und umgekehrt gilt das natürlich auch, dass sich dieses Gericht bewusst ist, wie der Gerichtshof der Europäischen Union zu bestimmten Entscheidungen kommt und wie diese einzuordnen sind."

    Statt Konflikt Dialog. Statt offenem Kräftemessen gegenseitiges Abtasten. Statt permanent die Auseinandersetzung darüber zu suchen, wer denn nun verfassungsrechtlich das letzte Wort hat, respektieren sich beide Seiten und tun alles, um den offenen Ausbruch des Konflikts zu vermeiden. Kann das auf Dauer gutgehen?

    Fragt man Sir Konrad Schiemann, den Deutsch-Briten aus Luxemburg, der in seinen 75 Lebensjahren schon so viel erlebt hat, dann kann das nicht nur gutgehen, es muss es sogar. Die EU hat 27 ganz unterschiedlich verfasste Mitgliedsstaaten. Einige von ihnen haben ein Verfassungsgericht. Andere nicht. Und Schiemanns Heimatland Großbritannien kommt sogar ganz ohne geschriebene Verfassung aus.