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Nebenreihen der Berlinale
Zwischen Museum und Resterampe

In seinem Dokumentarfilm "Das große Museum", einem der Höhepunkte im "Internationalen Forum des jungen Film" - der immer noch spannendsten Sektion der Berlinale - wirft der Österreicher Johannes Holzhausen einen Blick hinter die Kulissen dieses Betriebs.

Von Rüdiger Suchsland |
    Plakat zur 64. Berlinale vom 6. bis 16. Februar 2014
    Ein großes Museum - das ist im Idealfall auch ein Filmfestival wie die Berlinale. (picture alliance / dpa)
    Restauratoren arbeiten sich millimeterweise an einem meterlangen Bild ab, kämpfen gegen chemische Prozesse und profanen Insektenfraß. Nur eine von vielen Geschichten aus dem Alltag des Kunsthistorischen Museums in Wien. Hier gibt es Meisterwerke zu sehen, von Jan Van Eyk über Caravaggio und Tizian bis hin zu den großen Niederländern - eine Schatzkammer der Kunst. Und doch ein ganz profaner Betrieb.
    In seinem Dokumentarfilm "Das große Museum" einem der Höhepunkte im "Internationalen Forum des jungen Film", der immer noch spannendsten Sektion der Berlinale, wirft der Österreicher Johannes Holzhausen einen Blick hinter die Kulissen dieses Betriebes. Und zeigt etwa einen der Leute die da arbeiten: Einen Mann, der, verfolgt von einer wunderbar dahingleitenden Kamera, die langen Wege durch die Säle und die endlosen Gänge des Museums mit einem Tretroller zurücklegt - und vor einen Kopierer stoppt. Sinnlicher kann man den Spagat zwischen Kultur und Bürokratie nicht visualisieren. Dieser Film ist voller solch ironisch gebrochener Momente, liebenswert gezeichneter Protagonisten, die mit Herzblut die große Kunst bewahren, oder aber, wie einer von ihnen sagt, auch Zahnpasta verkaufen könnten. So gelingt dem Regisseur ein informativer, witziger, intelligenter Blick auf den modernen Kulturbetrieb, der manchmal vergessen hat, ob er ein Warenhaus ist oder doch dem Universalen der Menschheit verpflichtet.
    Ein großes Museum - das ist im Idealfall auch ein Filmfestival wie die Berlinale. Es ist aber auch ein großes Kaufhaus, mit Luxusabteilung und Resterampe. Und in manchen Momenten hat man auch hier an den langen, schnell vorbeirauschenden zehn Berlinale-Tagen den Eindruck, einige Menschen hier könnten auch Zahnpasta verkaufen, ja: Sie sollten das besser mal tun. Mit Bemühung, ja Freude an der Kunst, mit sorgfältigen Kuratieren hat hier längst nicht alles zu tun - auch wenn die Nebensektionen im Verhältnis zum überhitzten, mit starken Thesen und schwacher Kunst aufwartenden Wettbewerb immer noch eine Oase sind, und ein Ort, an dem man viel Spannendes entdecken kann.
    Im Panorama laufen 52 Filme, im Forum 51, in der Generation je nach zählweise 20 bis fast 40, in der Perspektive auch ein gutes Dutzend - und diese Überfülle mag genau dem Wunsch der Berlinale entsprechen, die Kinosäle zum Bersten vollzustopfen und von allem Möglichen etwas zu zeigen. Aber für den Besucher ist sie das reine Chaos und der Besuch der Berlinale ein Glücksspiel. Was ist ein Panoramafilm? Was ein typischer Forumsbeitrag? Was gehört in die Generation?
    Das Profil verwässert mehr denn je, denn kuratiert wird hier zu wenig, wenn überhaupt. Es fehlen klare Schwerpunkte, der Mut zu bestimmten Stilen und Interessen zu stehen. Man darf dies aber nicht missverstehen: Es laufen hier hervorragende Filme. Man muss sie nur finden.
    Ganz vage kann man sagen: Das Panorama unterhält am besten, bietet zudem in Untersektionen eine Dokumentarreihe und einen schwul-lesbischen Schwerpunkt. Es ist auch die riskanteste Sektion mit echten Ausfällen.
    Im Forum ist das Prinzip der Pflege des Autorenkinos nach wie vor dominierend, auch wenn die Spannbreite deutlich enger ist, und die Qualität schwächer als in früheren Jahren. Immer noch gibt es tolle Filme, auch aus Deutschland wie einen mutigen Essayfilm des Berliner Filmhochschülers Max Linz.
    Die verlässlichste Sektion ist die Generation, die einst als Jugendfilmreihe begann, längst universale Interessen bedient: Doppelbödig und subtil war "Einstein und Einstein" vom Chinese Cao Baoping. Er erzählt von einem kleinen Mädchen, das sich für Astrophysik interessiert. Allmählich kommt das Kind durch seine Neugier, auch mithilfe seines Hundes "Einstein" auf die Lügen der Erwachsenen und entwickelt auf diese Weise eine soziale Relativitätstheorie: Alles ist relativ, selbst die Welt der Eltern - so gelingt diesem an der Oberfläche vor allem unterhaltenden Film ein Stück Aufklärung in und über das moderne China.
    Das gilt erst recht für Zhao Dayong, einen der interessantesten jüngeren chinesischen Filmemacher. Zhao, der in Hongkong lebt wurde als Dokumentarfilmer bekannt, seine Werke liefen sogar schon im New Yorker Museum of Modern Art. Im "Internationalen Forum" der Berlinale läuft nun sein zweiter Spielfilm: "Shadow Days" - unterstützt von der Robert-Bosch-Stiftung, hat Zhao einen überraschend direkten, kritischen Film gedreht, der die radikale Ein-Kind-Politik Chinas ad absurdum führt. Er erzählt von einem Mann, der die Gesetze radikal durchsetzt, dabei zum Beobachter handfester Alltagsprobleme und -Leiden wird - und der zugleich selbst eine Freundin hat, die sich seit Monaten zuhause versteckt. Denn sie ist schwanger ... Ein letzter Höhepunkt auf einem vielfältigen, qualitativ wie stilistisch disparaten Festival.