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Nebenwirkungen der Psychotherapie

Keine Wirkung ohne Nebenwirkung - das gilt auch für Psychotherapien. Bislang allerdings wurden sie kaum erforscht. Der Deutsche Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Heidelberg hat sich jetzt mit dem Thema beschäftigt.

Von Anna-Lena Dohrmann | 12.03.2013
    "Keine Wirkung ohne Nebenwirkung!" – dieser Grundsatz gilt auch für die Psychotherapie. Allerdings haben Wissenschaftler diese Form von Nebenwirkungen bisher kaum erforscht. Sie sind im Vergleich zu Medikamente einfach nicht so leicht zu messen, sagt Prof. Bernhard Strauß, Direktor des Institutes für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie der Uniklinik Jena:

    "In der Psychotherapie sind Nebenwirkungen meistens Auswirkungen auf die eigene Person oder das Umfeld, die eigentlich nicht beabsichtigt sind und die durchaus auch auftreten, wenn die Psychotherapie per se korrekt durchgeführt wird."

    Also auch wenn der Therapeut korrekt diagnostiziert und behandelt, eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. Häufig liegen gewollte Wirkung und ungewollte Nebenwirkung dicht beieinander.

    Prof. Bernhard Strauß: "Wenn ich beispielsweise dazu beitragen will, dass Selbstsicherheit gelernt wird, und die Selbstsicherheit dann so gut gelernt wird, dass der Betroffene in Kontexten zu selbstsicher auftritt, dass er andere vor den Kopf stößt – zum Beispiel den Vorgesetzten. Dann wäre das eine Nebenwirkung, die natürlich ungünstig ist."

    Erste Studien zeigen, dass bei einem Viertel bis der Hälfte der Patienten unerwartete Effekte auftreten. Nicht immer muss das negativ sein. Wenn sich etwa der Freundeskreis verändert, kann das auch gut sein. Aber circa zehn bis 15 Prozent aller Patienten fühlen sich nach einer Therapie schlechter als vorher. Ein entscheidender Faktor ist das soziale Umfeld.

    Prof. Bernhard Strauß: "Ein möglicherweise unterschätztes Feld sind die Partnerbeziehungen, also wenn ein Partner nur in Therapie ist und sich verändert, dann wird damit irgendein Gleichgewicht gestört oder verändert und das kann bis dahin gehen, dass Partner sich trennen. Das ist natürlich auch oftmals etwas, was der betroffene Patient zu Beginn seiner Therapie erst einmal nicht erwartet."

    Deshalb sei es wichtig, Patienten über solche Folgen aufzuklären. Wie gravierend hier die Mängel sind, legte Mitte 2012 eine österreichische Studie offen. Knapp 50 Prozent aller Patienten werden demnach nicht ausreichend aufgeklärt. Trotzdem warnt Frank Jacobi, Professor für Klinische Psychologie an der Psychologischen Hochschule in Berlin, vor einer übertreiben Aufklärung:

    "Wir sehen ja, dass das im pharmakologischen Bereich sehr stark nach hinten losgeht und man sich wirklich fragen muss, ob die Risikoabschätzung gut getroffen ist zwischen den möglichen Nebenwirkungen und den ganzen Medikamenten, die dann einfach nicht genommen werden aufgrund des Beipackzettels. Nichtsdestotrotz muss man es ankündigen, das ist sozusagen Pflicht für Psychotherapeuten und die Ausführlichkeit muss man sich vorher überlegen, inwieweit das dem Fall wirklich zugutekommt."

    Wie wichtig es ist, jeden Fall individuell zu betrachten, hat Jacobi bei einer aktuellen Studie festgestellt. Zusammen mit Kollegen hat er Patienten, denen es nach der Therapie nicht besser oder sogar schlechter ging, ausführlich befragt. Sie wollten wissen, warum die Therapie gescheitert ist. Viele Betroffene erzählten, dass der Therapeut andere Ziele verfolgt hat als sie selber oder zu starr an einem Konzept festhielt. Diese Ergebnisse will Jacobi nutzen:

    " Was wir tun können, ist sicher ein ständiges Reflektieren über das, was wir da tun. Es hat sich gezeigt, dass Leute, die das systematisch machen – zum Beispiel bestimmte Fragebögen immer an Patienten ausgeben nach jeder Stunde und sich das dann angucken – dass solche Therapeuten ungünstige Verläufe früher erkennen können."

    Die Botschaft des Kongresses ist eindeutig: Psychotherapie wirkt – und kann deshalb auch schaden! Jetzt wollen die Wissenschaftler systematisch herausfinden, wann und bei wem Nebenwirkungen auftreten, erst dann könne man aus Fehlern lernen.