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Negativität oder Dualismus
Die Bedeutung des Bösen im Buddhismus und Christentum

Während das Christentum einen Dualismus von Gut und Böse kennt, aus dem letztlich nur ein überirdischer Erlöser erretten kann, gibt es eine solche Vorstellung im Buddhismus nicht. Hier kann der Mensch in seinem Ich-Wahn sich selbst durch Achtsamkeit im Kreislauf von Scheitern und Gelingen weiter entwickeln.

Von Burkhard Schäfers | 25.06.2015
    Eine Frau steht in Berlin beim Yogafestival in der Danksagungshaltung "Namaste".
    Ein hilfreicher Fingerzeig für Christen: Der Schlüssel der Achtsamkeit aus dem Buddhismus (dpa / picture alliance / Gero Breloer)
    Wenn ein gehörntes Wesen auftritt und es nach Schwefel riecht, wissen Buddhisten: Mit meiner Religion hat das nichts zu tun. Der Buddhismus kennt den Begriff des Bösen nicht, erklärt der Philosoph Karl-Heinz Brodbeck:
    "Die schwächste Übersetzung: akula. Das heißt, das ist das Ungeeignete, das wenig Handhabbare. Also das Böse ist das, was mir oder anderen einen Schaden zufügt. Und um diesen Schaden zu verhindern, sind bestimmte Handlungsweisen und vor allem Denkformen notwendig in der buddhistischen Vorstellung. Und die sind dann heilsam. Das ist dann eher das Gute. Und das, was an negativen Konsequenzen daraus hervorgeht, ist das Unerwünschte. Aber nicht eine Entität: Das Böse, das gibt es nicht."
    Die drei Wurzeln des Bösen im Buddhismus
    Nach buddhistischem Verständnis lebt der Mensch in einer bestimmten Situation, die er vorfindet. Er ist von allen möglichen Dingen abhängig. Viele erkennen diese Abhängigkeiten nicht, sie betrachten sich selbst als Mittelpunkt, als unabhängiges Ich. Aus diesem Egozentrismus heraus benennt der Buddhismus drei Wurzeln des Bösen.
    "Diese drei Dinge, Ich-Wahn, Gier und Hass, sind die drei Geistesgifte. Ihnen zu verfallen, das könnte man das Böse nennen. Auf sie zu achten und ihnen die Kraft zu nehmen, schrittweise, das ist das Gute. So einfach könnte man die buddhistische Lehre im Hinblick auf Gut und Böse zusammenfassen."
    Das Böse existiert im Buddhismus folglich nur in bestimmten Situationen und Kontexten. Der Mensch hat es selbst in der Hand, dem entgegen zu wirken. Im tibetischen Buddhismus, so Karl-Heinz Brodbeck, spreche man nicht vom Bösen, sondern von Negativität: Etwas, das einem selbst und anderen Leiden zufügt. Es handele sich folglich nicht um eine Eigenschaft, ein Wesensmerkmal, sondern um eine negative Gewohnheit, die sich verändern lasse.
    Das Unheilsame in Heilsames verwandeln
    "Die Negativität hat keine positiven Eigenschaften, bis auf die eine: Man kann sie reinigen. Man muss nicht auf einen überirdischen Erlöser warten, sondern wir selbst können unseren Geist formen, gestalten. Das nennt man dann Meditation und Geistestraining."
    Unter den vielen buddhistischen Techniken gibt es einen Schlüssel, um das Unheilsame in Heilsames zu verwandeln, erläutert der Philosoph: Die Achtsamkeit. Durch sie ließen sich unbewusste Gewohnheiten bewusst machen und so überwinden. Ein achtsamer Umgang könne von den Geistesgiften reinigen.
    "Unachtsamkeit dagegen ist schon gefährlich, weil da schleicht sich alles Mögliche in unseren Geist ein und am Ende merken wir, wir haben uns eine Reihe von Gewohnheiten angeeignet, die uns immer weiter in verhängnisvolle Situationen und Weltwahrnehmungen treiben. Und das empfinden wir dann selber als schädlich."
    Gut und Böse - die zugelassene Dualität im Christentum
    Anders im Christentum: Dort existiert ein starker Dualismus zwischen Gut und Böse, Schuld, Sühne, Hölle – diese und andere Begriffe tragen dazu bei, dass das Böse theologisch besonders aufgeladen ist. Zwar gibt es nach christlichem Verständnis einen starken Pol: Die Erde als Gottes gute Schöpfung. Das aber sei nur die eine Seite der Medaille, sagt Ralf Miggelbrink, Professor für Systematische Theologie an der Universität Duisburg-Essen.
    "Die andere Seite ist, dass es in der Schöpfung eine starke Kraft gibt, die dem Guten widerstrebt, den Menschen zum Bösen verleitet, die Menschen machtvoll zum Bösen hinzieht. Es gibt in der einen guten Schöpfung Gottes eine zugelassene Dualität. Es gibt ein gegenstrebendes Moment gegen den göttlichen Willen mit dieser Schöpfung."
    Der Kirchenlehrer Augustinus hat das Böse bezeichnet als Mangel an Gutem und Verweigerung gegenüber dem Guten. Aber was ist die Ursache des Bösen?
    "Da hat auch die Tradition einen Hinweis, auch ausgehend von Augustinus: Es hat mit Täuschung zu tun. Menschen täuschen sich über das wahre Gute. Sie erstreben das Gute, aber sie täuschen sich über das, was wahrhaftgut ist und erstreben das, was schlecht ist."
    Karma, Wiedergeburt und das Fegefeuer
    Hier erkennt Dogmatiker Ralf Miggelbrink im Buddhismus einen hilfreichen Fingerzeig für Christen: Den Schlüssel der Achtsamkeit. Dadurch könne man lernen zu unterscheiden, was wirklich gut ist – und das Schlechte hinter sich lassen.
    "Da ist ein Berührungspunkt zu den Buddhisten, die ja sehr stark die Auseinandersetzung mit dem Bösen als Reifungsprozess denken. Wir Christen haben ja mit unserer Art, das Ganze auf den Dualismus von Sünde und guter Tat hin zu interpretieren, eine starke Konzentration auf die einzelne böse Tat und weniger im Blick, dass im Tun des Guten und Bösen sich ein Mensch entwickelt."
    Im Kreislauf von Scheitern und Gelingen könne der Mensch das Böse zwar nicht überwinden, aber sich weiter entwickeln. Und mit Blick auf das Jüngste Gericht sieht der Theologe eine weitere Parallele zwischen Buddhismus und Christentum.
    "Dass also der Gedanke von Karma und Wiedergeburt eine gewisse Spiegelung in unserer Theologie des Fegefeuers hat, die sehr altmodisch klingt, die aber interessanterweise in der neueren protestantischen Theologie unter dem Gedanken der eschatologischen Versöhnung wieder aufbricht."
    Es gibt einen Weg zum besseren Leben, davon ist Buddhismus-Experte Karl-Heinz Brodbeck überzeugt. Aber ausrotten lasse sich das Böse auf der Welt nicht.
    "Ich halte es für völlig unrealistisch zu glauben, dass alle Menschen sich plötzlich in achtsame, mitfühlende Wesen verwandeln. Dieses Eingeflochten-Sein in diesen Kreislauf der drei Geistesgifte, dieses Abhängig-Sein, der Kreislauf, in dem wir täglich neu wiedergeboren werden - glaube ich, das wird nicht verschwinden."