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Neokonservative Stimmungsmacher als Wortführer

Der meinungsführende Journalismus habe sich in der Berliner Republik nach rechts bewegt. Er liebe Angst- und Bedrohungsszenarien, weil er daraus seine Propaganda für alte Werte ableiten könne. Das sind die zentralen Thesen, die Lutz Hachmeister in seiner Studie "Nervöse Zone - Politik und Journalismus in der Berliner Republik" zu belegen versucht.

Moderation: Hermann Theißen |
    Das Buch, so verspricht es der Umschlag, sei 'die erste fundierte Darstellung des politischen Journalismus in der heutigen Bundesrepublik'. Große Erwartungen werden mit dieser Ankündigung geweckt. Was bietet also Hachmeisters 'nervöse Zone'?

    Nach einem thesenhaften Rückblick auf die besondere Geschichte des deutschen Journalismus, dem er eine nationalromantische Sonderrolle in Europa zuweist, beschreibt Hachmeister zunächst das Verhältnis einiger weniger 'tonangebender' Journalisten, wie er sie nennt, zu Berliner Politgrößen. Besonders hat Hachmeister dabei die Ära Schröder/Fischer in den Blick genommen. Man erinnert sich an diesen ganz besonderen Auftritt: Der gern als Medienkanzler titulierte Schröder hatte sich in der Wahlnacht 2005 vor laufenden Kameras zu heftigen Ausfällen gegen Medien hinreißen lassen, die sich im Wahlkampf verabredet hätten, Angela Merkel an die Macht zu schreiben, nun aber sehen mussten, dass ihre Kampagne nicht den gewünschten Erfolg zeitigte. Führungs-Personal von Spiegel, Stern und FAZ, früher sich eher als konkurrierende Gegner betrachtend, hatte sich verbündet. Die Herren wollten sich mit der Rolle der Berichterstatter oder kommentierenden Begleiter nicht mehr zufrieden geben, sondern selbst Politik machen. So weit so bekannt.

    Hachmeister nennt diese Wortführer neokonservative Stimmungsmacher, Neobourgeoisie, Elitejournalisten, ihre Arbeit Wohlstandsjournalismus. Meinungsmachende Platzhirsche seien nach rechts abgedriftet, sich in ökonomischen Fragen als neoliberale Reformer gebärdend, hätten sie dennoch ein abgestandenes Lied angestimmt.

    "Die 1990er Jahre waren eine Dekade revolutionärer geopolitischer, soziologischer und technologischer Veränderungen und als solche mit bestimmten historischen Schüben der Industrialisierung und Staatenbildung im 19. Jahrhundert vergleichbar. (...) Es war für die publizistischen Wortführer nicht einfach, in dieser Situation von Umwertungen und Verschiebungen einen konsistenten Kurs zu halten, und viele von ihnen haben einen intellektuellen Ankerplatz im Meer der alten Werte gesucht: Arbeit, Familie, Vaterland und Religion."

    Der Muff von Helmut Kohls geistig-moralischer Wende lässt grüßen. Hachmeister beschreibt an zahlreichen Beispielen und Anekdoten Eitelkeit, Größenwahn und Opportunismus einer kleinen Kaste, die in zahllosen einflussreichen Netzwerken mit Politik und Wirtschaft verbandelt ist, eine Art Amigo-Verein, der im Wesentlichen mit sich selbst beschäftigt zu sein scheint und dabei als Weltenretter posiert.

    "Durch immer neue Formen des Establishment-Engagements verbunden, nähern sich die Eliten in Journalismus, Politik und auch der nationalen Ökonomie in ihrem Habitus, ihren Ansichten, Konzepten und ihrer Weltsicht an."

    Ein solcher, für Hachmeisters Argumentationsweise typischer Satz wirft eine Reihe von Fragen auf. Was ist eigentlich ein Establishment-Engagement? Wie definiert der Autor den Begriff Eliten und worauf ließe sich die hier konstatierte Annäherung wohl zurückführen? Was sind die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Bedingungen, in denen sich heute das Verhältnis von Politik und vierter Gewalt bestimmen ließe?
    Doch präzise Begriffsbestimmung und klare Methode sind nicht Hachmeisters Sache, da bleibt er selbst ganz Journalist: vermutet, spekuliert, legt nahe und zitiert aus unzähligen Untersuchungen und Bewertungen Anderer. Er gibt kurze biographische Abrisse der von ihm als Elitejournalisten ausgemachten Herren, zitiert aus ihren Artikeln und Büchern, zieht Interviews zu Rate. Da erfährt man, wie der auch von Hachmeister als Intellektueller apostrophierte FAZ-Grande Schirrmacher seine akademischen Meriten frisiert hat, welchen deutschtümelnden Stuss der Spiegel-Kulturchef Matussek von sich gibt und dass die Herren Aust und Jörges von Spiegel und Stern es zu einer bemerkenswerten geistigen Wendigkeit gebracht haben. Diese Beschreibungen lesen sich flüssig, teils recht amüsant und sind auch hin und wieder ganz aufschlussreich, denn wer hat schon Zeit und Lust all die Ergüsse der Steingarts, Schirrmachers und all der anderen Wichtiges tatsächlich zu lesen.

    Doch Hachmeister tut sich schwer, Zusammenhänge herzustellen und zu begründen. Nur kurz deutet er den wirtschaftlichen Druck von Medien an, die ihre Erzeugnisse verkaufen müssen, also mit Mitteln, die nicht eben der reinen Aufklärung verpflichtet sind, Kasse machen sollen. Er streift nur die Tatsache, dass die großen überregionalen Zeitungen und Zeitschriften, die sich selbst so gerne als Leitmedien gerieren, einem beständigen Leserschwund ausgesetzt sind, und darauf mit einer Mischung aus Langeweile und Alarmismus reagierten. Auch dass das Internet vor allem für Jüngere mehr und mehr zur wichtigsten Informationsquelle wird, behandelt Hachmeister eher am Rande und verpasst damit die Chance einer Strukturanalyse der veränderten Bedingungen des journalistischen Beruffeldes.

    Seitenlang befasst sich Hachmeister mit der längst erledigten Christiansen-Sendung und ihrem allsonntäglichen neokonservativen Propaganda-Talk. Und doch huscht er nur an der Konkurrenz von privatem und öffentlich-rechtlichem Fernsehen vorbei, obwohl sich doch Letzteres mit Ausnahme kleiner Nischen ohne Not auch längst dem Quotenterror unterworfen hat. Das Radio erwähnt er interessanterweise mit keinem Wort.

    Parteipolitische Beutepolitik und ihre Auswirkungen auf Personalpolitik und Sendungsinhalte, Interessenverflechtungen politischer und ökonomischer Art werden keiner systematischen Analyse unterzogen. All die medialen Vereinfachungen und Reduktionen auf Politik als Parteipolitik tauchen in den sieben Kapiteln des Buches irgendwo einmal auf, ohne dass jedoch Ursachen ausgemacht und eingeordnet würden.

    Am deutlichsten gibt sein Umgang mit der Medienkritik Pierre Bourdieus Aufschluss über die Zaghaftigkeit von Hachmeisters Journalistenschelte. Der französische Soziologe hatte im März 1996 zwei Vorlesungen über das Fernsehen gehalten, die jeweils auch im Fernsehen übertragen wurden. Bourdieu hatte damals den Einfluss des Fernsehens, die Marktlogik sowohl des kommerziellen als auch des öffentlich-rechtlichen, mit seinem Quotendruck, der Neuigkeitenkonkurrenz und seiner Kultur des weitgehend substanzlosen Talkshow-Geredes des immerselben vorsortierten Personals scharf kritisiert und die Wirkung dieses Fernsehens auf das gesellschaftliche Geistes- und Kulturleben analysiert. Seine Kritik zielte nicht zuletzt auf die fatale Hegemonie fernsehgerechter Inhalte, die mehr und mehr auch die Maßstäbe in Kunst, Wissenschaft und politischer Auseinandersetzung einer demokratischen Öffentlichkeit bestimmten. Hachmeister gibt diese Kritik verkürzt wieder, nicht ohne den für deutsche Journalisten typischen Affekt gegen 'Intellektuelle' zu bemühen:

    "Bourdieus Journalismus- und Medienkritik enthält die Unschärfen und Paradoxien einer intellektuellen Journalismusanalyse. Natürlich geht es ihm zuerst darum, die angestammte akademische Kultur in der Konkurrenz um Aufmerksamkeit ( ... ) gegen das beschleunigte politisch-journalistische Tingeltangel zu erretten."

    Zwar habe sich Bourdieu zu Lebzeiten selbst nicht über mangelnde Medien-Aufmerksamkeit beklagen können:

    "Aber er fühlte doch, dass Kultur und Status der interpretierenden und sinngebenden Mandarine von der Medienrotation erheblich berührt wurden. ( ... ) Bourdieu bemerkte Verschiebungen hin zur Fernseh- und Prominenzkommunikation; seine Argumentation war also mit der Verteidigung eines eigenen Klasseninteresses verbunden."

    Während Bourdieu die Autonomie geistiger und kultureller Produktion von im weitesten Sinn kommerziellen Zwängen als Voraussetzung eines demokratischen Gemeinwesens herausarbeitet und die zunehmende politische Desillusioniertheit des Publikums als Folge solcher Medienentwicklungen begründet, stellt sich Hachmeister schützend vor die Angegriffenen:

    " ... besser jedenfalls als gefährliche Formen des politischen Illusionismus ... ... Die zweifellos auf Dauer ermüdenden Wirkungen der Fensehtalkshows könnten also darauf hinauslaufen, dass sie die etablierte Politik durchsichtig machen und bei einem Teil des Publikums den Wunsch nach anderen Formen des politischen Engagements wecken."

    Vielleicht fehlt Lutz Hachmeister, der selbst für diverse Medien arbeitet und Gründungdirektor eines von führenden Unternehmen der Branche geförderten Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik ist, am Ende das nötige Quäntchen Distanz zum Gewerbe, um den Anspruch des Klappentextes ganz zu erfüllen.
    Auf die erste fundierte Darstellung des politischen Journalismus der heutigen Bundesrepublik müssen wir noch warten.

    Karin Beindorff über Lutz Hachmeister: Nervöse Zone. Politik und Journalismus in der Berliner Republik. Der Band ist bei der Deutschen Verlags-Anstalt in München erschienen, er umfasst 282 Seiten und kostet 16,95 Euro.