Atemlos machen einen die Treppen hinauf zum Palast von Gorkha. Es sind Hunderte von Stufen, die zum Wahrzeichen der mittelnepalesischen Kleinstadt auf einem bewaldeten Hügel führen. Eine dicke Mauer schützt die wuchtigen Ziegelgebäude mit ihren dunkelroten Pagodendächern. Nur ein enges Tor erlaubt den Zutritt zum ehemaligen Königspalast. Wer dort hindurch schlüpft, der tritt – so scheint´s – auch in eine andere Welt ein.
Fensterleibungen mit kunstvollen Holzschnitzereien, überall kleine Statuen: Man sieht, dass die Häuser auf der Bergspitze in besseren Zeiten sehr viel stattlicher gewirkt haben müssen. Dabei ist der Palast von Gorkha so etwas wie die Keimzelle Nepals. Denn hier lebte im 18. Jahrhundert der Mann, der aus 46 Fürstentümern einen kleinen Staat im Himalaja machte, erzählt Pramod Shrestha: "König Prithvi Narayan Shah ist derjenige, der Nepal geeint hat. Damals war das die Hauptstadt: Gorkha. Und noch heute bezeichnen sich viele Nepalesen als Gorkhali."
An mehreren Stellen ragt ein goldener Dreizack über die Zinnen der Palastmauern: Ein Symbol für den Hindustaat. So gehört auch ein kleiner Tempel zu dem Ensemble. Wenn Nicht-Gläubige sich diesem nähern, dann tritt aber schnell ein Wachsoldat auf den Plan und macht unmissverständlich klar: Eintritt verboten!
Doch aus einer kleinen Kammer dringt der schrille Krach von Handtrommeln und Glocken nach draußen. Ein schamanenhaft wirkender Priester zelebriert gerade lautstark ein Ritual.
Einmal im Jahr wird der Ex-Palast zur Opferstätte. Dann nämlich, wenn die Hindu-Welt das Dashain-Fest feiert, erzählt Pramod Shrestha. "Über 100 Ziegen, Hühner und sogar Ochsen werden geschlachtet bei dem Opferfest. Dann fließt hier das Blut. Wie bei einem Fluss!"
Auch in der Hauptstadt Kathmandu ist allerorten das Glockenschlagen an Hindu-Schreinen zu hören. Häufig aber wird dieses vom Verkehrslärm übertönt.
Tourstart außerhalb von Kathmandu
Eine knappe Woche vor dem Besuch im Gorkha-Palast: Gut ein Dutzend Radler startet zum Nepal-Cross. Und wenn das Bergland das Paradies für Mountainbiker ist, dann ist Kathmandu die Hölle.
Klapprige Dreiräder, stinkende Omnibusse, hupende Taxis und Hunderttausende von Mopeds liefern sich einen Wettkampf um jeden Quadratzentimeter Platz auf den überfüllten Straßen.
"Unbeschreiblich! Mopeds, Leute, Autos, Busse. Viele Schlaglöcher, viele Menschen. Unvorstellbar für Mitteleuropa. Man muss halt sehr vorsichtig schauen, wie man da durch kommt. Aber mit einer guten Schlängeltaktik geht’s dann auch. Und schwache Nerven sollte man günstigerweise hier nicht haben."
Für Radler ist hier jedenfalls kein Platz! Umso schöner, dass die zehntägige Mountainbike-Fahrt durch den Himalajastaat auf einem Hügel weit oberhalb von Kathmandu beginnt. Mit Blick auf die schneebedeckten 6- und 7.000er des Langtang-Gebirges. Zahllose Terrassen mit grellgrün wuchernden Reispflanzen beherrschen die Landschaft, dazwischen immer wieder einzelne Bauernhäuser. Und zauberhafte Singletrails: Kleine gewundene Pfade an den Hängen, die wie geschaffen fürs Bergradeln scheinen.
"Also wir sind nicht oben in den Bergen und haben Steine und Eis. Sondern wir haben sehr viel Wald, sehr viele Reisplantagen. Wir haben es immer grün. Wir haben sehr viel Abwechslung, sehr viele Wasserläufe, sehr viele wunderschöne Wiesen und bunte Blumen." Wolfgang Neumüller, Bike-Guide von Hauser-Exkursionen, kommt geradezu ins Schwärmen, wenn er über die Route spricht. In eineinhalb Wochen geht es von der Metropole Kathmandu in die Kleinstadt Pokhara. Eine Panorama-Tour quer durch die Hügel – immer in Sichtweite der Himalajariesen. Allerdings in einer Region, die auch die Rucksack-Touristen noch nicht entdeckt haben. Das Radfahren ermögliche urtümliche Begegnungen mit den Menschen, sagt der Österreicher Neumüller. "Weil wir uns ja selber anstrengen müssen. Und das ist überall auf der Welt ein gutes Signal. Das gefällt den Einheimischen, dass sich andere auch abmühen. Und dass wir aus eigener Kraft ihr Land durchradeln."
Jetzt aber lockt erst mal ein kilometerlanger Downhill. Die grobstolligen Reifen hüpfen hin und her auf den schmalen, lehmigen Pfaden zwischen Reisterrassen. Solide Fahrkünste sind gefragt. Die sandigen Pisten, die schließlich in den Talboden führen, verlangen dann Vorsicht – vor allem im Umgang mit den Scheibenbremsen am Rad. Wer zu hart zupackt, der findet sich schnell im Staub wieder.
Auf den Feldern neben dem Thade-Fluss: Bauern sind am Werkeln, die Szenerie wirkt archaisch. Ochsen werden über das frisch geschnittene Getreide getrieben, um das Korn von den Halmen zu trennen. Meterhoch schichten die Frauen das Heu zu kegelförmigen Schobern auf. Man fühlt sich um Jahrzehnte zurückversetzt bei den Erntearbeiten.
"Das fängt mit Hacken an. Die nächste Stufe ist, wenn der Wasserbüffel vor einem Stück Holz läuft. Und das Letzte sind Einachser - wie man sie bei uns nennt -, die schon einen Motor haben und auch Trecker haben wir gesehen."
Doch so entbehrungsreich und ärmlich der Alltag der Menschen auf die Mountainbiker wirken mag: Den Bewohnern der Täler unter den Langtang-Bergen oder den 8.000er-Gipfeln Manaslu und Annapurna geht es vergleichsweise gut. Die Newari zählten zu den Begüterten in dem armen Land, erklärt Tourenbegleiter Pramod Shrestha den Sportlern. "Sie sind reich, was das Geschäftliche angeht. Aber auch im kulturellen Bereich, zum Beispiel in der Holzschnitzerei. Auch unter den Newari haben wir nochmal unterschiedliche Kasten. Und die haben die Arbeit unter sich aufgeteilt. Die Menschen hier zum Beispiel leben von der Landwirtschaft. Sie arbeiten auf den Feldern. Andere Newari, wie die Shrestas, sind mehr Geschäftsleute. "
Glitschige Steige in den Wäldern
Die Route, der die Biker folgen, ist fordernd. Nicht in den Flusstälern, die aus dem Himalaja herauskommen, rollen sie dahin. Sie kraxeln mit ihren Fahrrädern über die Berge, folgen glitschigen Steigen in den Wäldern, kämpfen sich Schottertrassen auf Pässe hinauf. "Wunderbare Nepalstraßen. Was hier bedeutet, dass sie hauptsächlich von Mulis leicht zu begehen sind oder für Geländefahrzeuge. Aber natürlich für den sportlichen Mountainbiker eine gute Herausforderung sind. Weil da große, runde Steine gepflastert sind und wir sehr viel durch Staub fahren müssen und kleine Bäche überqueren. "
Eigentlich müsste ein Land mit einem solch dürftigen Straßennetz wie Nepal der Traum eines jeden asphaltscheuen Bergradlers sein. Doch die Schinderei schlaucht manchen angesichts der Mühen. "Wie der grobe Schotter in den Dolomiten, kann man sagen. Aber sie sind viel anstrengender als bei uns normale MTB-Strecken. Anspruchsvoll: Dieser rollende, nicht feste Schotter. Und auch die Steigungen, auf und ab und auf und ab. Ich finde, das ist schon anstrengend. "
Im Laufe der Tage wandelt sich die Landschaft. Die typischen Terrassenfelder prägen die Talflanken auf den ersten Etappen. Später sind gelegentlich dschungelartige Waldstücke zu durchqueren: Üppig grüner Forst, aus dem manchmal Tierlaute herausdringen, von denen man gar nicht wissen möchte, von wem sie stammen. Unter sengender Sonne strampelt sich das Grüppchen über karge, felsige Bergrücken ab. Nur, um später einzutauchen in Ackerlandschaften, in denen sich die Bauern mühen, dem kargen Boden noch irgendeine Frucht zu entreißen. Wo sonst grüne Reisfelder wogen, ist jetzt nur trockene, rissige Erde zu sehen.
Ziel ist der Phewa-See
"Sie haben hier schon alles abgeerntet jetzt im Herbst. Das ist alles schon früher passiert. Sie bauen hier Reis an, Weizen. Und Hirse, aus der wir auch Schnaps machen. Eigentlich kann man in Nepal dreimal pro Jahr ernten. Aber hier nur zweimal, weil es nicht genug Wasser gibt - schon gar nicht für Reis."
So ist der Jubel groß, als nach 350 Kilometern Fahrt endlich die glitzernde Fläche des Phewa-Sees weit unten im Tal in Sicht kommt. Die riesige Wasserfläche markiert das Ende der Fahrradreise. Bevor es hinab geht, kann aber noch der schneebedeckte Machapuchare bestaunt werden - ein Berg, der für seine ungewöhnliche Silhouette berühmt ist, wie Pramod Shrestha erläutert. "Er sieht aus wie ein Fischschwanz. Wir nennen ihn Machapuchare, auf Englisch heißt er der Fischschwanzberg. Er ist über 6.900 Meter hoch. Aber man darf nicht auf ihn klettern, weil er den Menschen von Pokhara heilig ist."
Ein letzter Blick zurück zu den Himalaja-Giganten. Knapp zwei Wochen nach dem Start tauchen die Radler dann wenig später wieder in die hektische Zivilisation ein. Die Seestadt Pokhara schockt mit Asphalt, Schlaglöchern und Verkehrs-Chaos.