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Nepals schwieriger Friedensprozess

Am 12. Februar 1996 begann die Communist Party of Nepal einen sogenannten Volkskrieg mit dem Ziel, "die reaktionäre Staatsmacht zu stürzen". Nach zehn Jahren Bürgerkrieg war die maoistische Guerillaarmee schließlich bereit, sich auf eine parlamentarische Demokratie und Wahlen für eine Verfassungsgebende Versammlung einzulassen. Doch der schwierige Transformationsprozess ist ins Stocken geraten. Barbara Böttger hat sich in dem kriegsversehrten Land umgesehen.

    Ein Dorf, eng an terassierte Hänge geschmiegt, im westlichen Hügelland von Nepal. Ramita, 20 Jahre alt, eine zart gebaute und etwas scheue Bäuerin im Sari sitzt neben ihrer Ziege auf dem Balkon eines Lehmhauses. Schwer vorstellbar, dass sie als Sechszehnjährige gegen eine professionelle Armee mit Hubschraubern und Nachtsichtgeräten gekämpft hat. Sie ware immer nur nachts in unwegsamem Gelände unterwegs, hatte oft tagelang nichts zu essen, musste in Höhlen eng an Felsen gedrängt schlafen und die medizinische Versorgung war rudimentär. Mindestens 13 000 Tote hat dieser Bürgerkrieg gekostet. Kein Wunder, dass Zweidrittel davon der Guerilla angehörten.

    "Als der Volkskrieg begann, hörten wir davon, dass junge Frauen von den Sicherheitskräften vergewaltigt und gefoltert worden waren und dass sie von der Gesellschaft ausgebeutet würden. Es gab damals eine Kampagne, bei der die Frauen auffordert wurden, dagegen zu kämpfen. Deshalb habe ich mich zusammen mit meinen Freundinnen der Volksbefreiungsarmee angeschlossen. Es war körperlich sehr hart, wir mussten immer auf-und absteigen, aber weil alle dasselbe machten, haben wir die Strapazen besser ausgehalten. Wir haben viele Tote gesehen, eine Freundin von mir starb im Krieg. Und viele von uns wurden verwundet. Ich habe Verletzte getragen, ja, sogar Tote."

    Ramita hatte es schwer, sich nach Kriegsende wieder in das traditionelle Dorfleben einzugliedern. Ihre Nachbarn fragten sie, wieviele Menschen sie denn getötet habe. "Keinen!" antwortete sie verzweifelt. Aber die ehemalige Kämpferin hat sich verändert. Sie ist selbstbewusster geworden und wird sich auch nicht - wie traditionell vorgeschrieben - von ihren Eltern verheiraten lassen. Das will sie schon selbst entscheiden. Dem neuerlichen Frieden traut Ramita noch nicht, obwohl die Maoisten die meisten ihrer Waffen abgegeben und ein umfassendes Friedensabkommen unterzeichnet haben. Sie hatten 80 Prozent des Landes, insbesondere die Dörfer, unter ihre Kontrolle gebracht, konnten aber die Armee in den Städten und ihren Hauptquartieren nicht besiegen.

    Hier im Distrikt Rolpa, unter der besonders armen Urbevölkerung, hatten die Maoisten das Zentrum ihrer Volksregierung, die sie jetzt nach dem Friedensvertrag und der Rückkehr zu parlamentarischer Politik wieder auflösen müssen. Sie haben Kooperativen ins Leben gerufen und Kommunen für die Märtyrerfamilien, die Witwen und die Waisen gegründet, unter strikter Kontrolle eines Politkommissars. Als Modell ist diese Lebensform allerdings nicht attraktiv, einige Familien haben die Kommunen schon wieder verlassen.

    Auch wir werden von den Maoisten genau beobachtet. Der 24jährigen Jun Kumari Gharti, die sich ihren Zwängen entzogen hatte, wird unter Drohungen eingeschärft, ja nichts Negatives zu berichten. Sie hantiert an einer offenen Feuerstelle unter dem hölzernen Vorbau ihres Lehmhauses, wo sie Gäste bewirtet. Im Inneren des Hauses sitzt die alte Mutter am Spinnrad. Ihr Mann ist als Arbeitsemigrant nach Malaysia gegangen. Die junge Frau muss nun allein die Felder und das Vieh versorgen, einen teashop betreiben und sich um Kind und Eltern kümmern. Sie berichtet, wie sie den Bürgerkrieg erlebt hat:

    "Wenn wir davon hörten, dass die Armee oder die Polizei in unser Dorf kommen, sind wir alle, ob alt oder jung, in den Dschungel gerannt und haben unsere Tiere und unsere Habseligkeiten zurücklassen müssen, ansonsten hätten sie uns vielleicht zusammengeschlagen. Sie haben die Türen aufgebrochen, wertvolle Dinge wie Butter, Honig und Öl gestohlen und sich Hühner oder manchmal auch eine Ziege gebraten. Wenn die Volksbefreiungsarmee ins Dorf kam, verkündete sie, dass alle Jungen und Mädchen sich ihnen anschließen sollten. Und wir mussten immer für sie kochen. Ich war gerade beim Schulunterricht, als sie kamen und uns Mädchen zwangen, zur Volksarmee zu gehen und ihre Massenveranstaltungen zu besuchen.
    Während des Training hatte wurde ich 7 Tage am Gewehr ausgebildet, aber als sie mir nach 3 Monaten ein eigenes Gewehr geben wollten, war ich dagegen. Ich bin lieber weggelaufen als ein Gewehr zu tragen."

    Sie floh hoch ins Gebirge, wo der Einfluss der Maoisten nicht so groß war, schlug sich als Bauarbeiterin und Kindermädchen durch und versäumte ihre weitere Schulbildung. Darunter leidet sie am meisten. Aber jetzt kann sie sich frei bewegen und frei sprechen, und ihr Mann muss von seinem Lohn keine Revolutionssteuern mehr bezahlen. Die wieder zurückgekehrte Polizei arbeitet nun mit den Maoisten zuammen und verhält sich höflich gegenüber den Dorfbewohnern. Aber die Spannungen sind noch nicht abgebaut. Ein kräftiger junger Bauer in Guerillakluft, der vom Militärdienst beurlaubt ist, erklärt mir voller Überzeugung, dass er jederzeit wieder kämpfen würde, wenn Ausbeutung und Diskriminierung nicht beendet werden.

    Über die Verstümmelten, Verschwundenen und Vertriebenen dieses Krieges gibt es noch nicht einmal genaue Erhebungen, geschweige denn angemessene Entschädigungen. Mehr als 200 000 Menschen sollen nach Schätzungen der UN von Haus und Hof vertrieben worden sein.

    In Rolpa hat sich die Lage inzwischen so sehr normalisiert, dass immer mehr Familien in ihr Heimatdorf zurückkehren. Hukum Bahadur Thapa, ein 55jähriger Geschäftsmann im Marktflecken Sulichaur, erzählt seine Geschichte:

    "Ich hatte früher einen Laden und als die Maoisten kamen und mich um eine Spende baten, habe ich ihnen 100 000 Rupien gegeben, aber das reichte ihnen nicht. Ich sollte meinen Sohn aus der Armee holen und für die Volksbefreiungsarmee gewinnen, aber das war vollkommen unmöglich. Sie machten weiter Druck. So musste ich mit meiner Familie nach Indien gehen für 2/3 Jahre. Aber jetzt fühle ich mich viel besser, es gibt keinen Druck mehr. Ich habe ein paar Kredite als Ladenbesitzer vergeben, die nicht mehr zurückgezahlt werden."

    Geldverleiher haben es heute tatsächlich schwerer: Ihre Unterlagen wurden oft verbrannt und die Höhe der Zinsen hat sich halbiert. Ich frage den Agraringenieur Raj Kumar Rai, welche konkreten Verbesserungen die sogenannte autonome Volksregierung in Rolpa für die armen Dorfbewohner durchgesetzt hat:

    "Die parallele Regierung der Maoisten hat bis zu einem gewissen Grad den Interessen des Volkes gedient. Zum Beispiel, wenn es kleine Konflikte zwischen Nachbarn gab, oder wenn sich jemand solcher sozial unerwünschten Verhaltensweisen wie Polygamie, Spielen oder Trinken schuldig gemacht hatte, wurde das nicht geduldet. Aber das wichtigste Anliegen der Menschen, ihren Lebensstandard zu verbessern, hat die Parallelregierung nicht erfüllt. Ich kann keinerlei Berechtigung dafür erkennen, für so einen geringen Wandel eine so große Zahl an Opfern zu bringen."

    Raj Kumar Rai setzt mehr auf gewaltlose Massendemonstrationen, wie die Volksbewegung im April letzten Jahres, die zum Sturz des Königs geführt hat. Enttäuscht ist er jedoch über die ewigen Streitereien der Parteiführer, die das Mandat des Volkes missachten.

    "Ich denke, die Menschen werden die politischen Parteien auf den richtigen Weg bringen. Aber wenn sie den nicht gehen, wird es vielleicht eine neue Volksbewegung geben müssen.""