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Netflix-Serie "Dolly Partons Heartstrings"
Steckengeblieben in den 70ern

Masse statt Klasse beim Streaming-Dienst Netflix: Die neue Serie "Dolly Partons Heartstrings" macht aus Musiktexten einfältiges Nostalgie-Fernsehen. Dabei hätte die Idee großes Potenzial gehabt.

Von Julian Ignatowitsch | 22.11.2019
Die Countrysängerin Dolly Parton steht mit Akustikgitarre vor einer Wildwest-Kulisse.
Die Serie "Heartstrings" verfilmt Songtexte von Dolly Parton. (Tina Rowden / 2018 Warner Bros. Entertainment )
So sieht sie also aus: Jolene. Die Frau aus einem der größten Country-Hits aller Zeiten hat jetzt ein Gesicht bekommen. Kastanienbraune Haare, wilde Locken, smaragdgrüne Augen, ja davon war schon im Song die Rede. Aber Leopardentop, Minirock und nabeltiefer Ausschnitt – das ist neu. Und zeigt schon, in welchen soap-opera-schaumigen Blubberblasen die Serie "Dolly Partons Heartstrings" schwimmt.
Jolene, gespielt von Julianne Hough, mixt in einer Bar Cocktails, träumt von der großen Karriere und verdreht allen Männern den Kopf. In "Dolly Parton's Heartstrings" will Netflix die fiktiven Geschichten von acht der berühmtesten Lieder der Country-Sängerin und Songschreiberin erzählen. Die Geschichte der ersten Episode, angelehnt an den Song "Jolene", ist schnell erzählt: Eine verheiratete Frau aus gutbürgerlichem Haus freundet sich mit der männerfressenden Schönheit Jolene an – und hat dann Angst, dass die auch ihren Ehemann vernascht.
Einfach gestrickte Charaktere
"Du flirtest sogar mit Pappbechern!" Einfach gestrickte, plakative Charaktere, flache Dialoge und eine allzu sentimental-moralinsaure Inszenierung machen die Serie zu einer Enttäuschung.
Und irgendwie auch zu einem Spiegelbild der amerikanischen Mid-West-Kultur: Wie ein seltsamer Mix aus den flauschig-nostalgischen 70er Jahre-Serien wie "Unsere kleine Farm" und trashig-kitschigen Liebesfilmen von heute kommen die Episoden von "Dolly Partons Heartstrings" daher.
"Und der letzte Punkt auf der Tagesordnung: Das Coventry Erntefest." Mit konservativer Botschaft, protestantischen Werten wie Familie, harter Arbeit und Ehe sowie einer biederen Machart, die jegliche Innovation oder gar Irritation verweigert. "Hey, ich hab dir noch gar nicht gesagt, wie umwerfend ich deinen Auftritt gefunden habe."
Karriere als tüchtige Geschäftsfrau
Dolly Parton - Die erfolgreiche Country-Queen selbst ist als Produzentin, Darstellerin und Gastgeberin der Serie omnipräsent. In Amerika ist sie nicht nur ziemlich bekannt, sondern auch ein sehr erfolgreiche Unternehmerin. Sie gilt als emanzipierte Frau, die sich das Heft nicht aus der Hand nehmen lässt. Vor jeder neuen Episode – eine Episode bedeutet immer ein Lied, mit neuen Schauspielern und neuer Geschichte – ist sie es, die erklärt sie was hinter dem jeweiligen Lied steckt und wie man das Ganze am besten verstehen sollte.
Worum es eigentlich geht, ist die Unsicherheit die uns solche Personen empfinden lassen. Wir haben Angst, jemanden zu verlieren, weil wir nicht gut genug sind."
Musik als narratives Element eines Films
In Amerika zieht dieses Konzept, wie bereits bei einer Vorgängerserie von Parton, die sich als tüchtige Geschäftsfrau auch im TV-Business einen Namen gemacht hat, deutlich wurde. Hohe Einschaltquoten, insbesondere jenseits des Atlantiks, wird es wohl auch diesmal wieder geben. Das ändert aber nichts daran, dass die Serie aus der Zeit gefallen und im schlechten Sinne volkstümlich wirkt.
Dabei ist die Idee, die "Dolly Partons Heartstrings" zu Grunde liegt, ja eine echte Neuheit: Musik nicht nur als atmosphärische Unterstützung der Bilder zu sehen, sondern ganz direkt als narratives Element mit den Liedtexten einzubinden, oder gar neu zu interpretieren – das hat es zumindest bei Serien noch nicht gegeben.
Ersetzen Serien-Cover das Musikvideo?
Solche Film- bzw. Serien-Cover großer Musik-Hits könnten in Zeiten der Streaming-Dienste an die Stelle der längst ausgestorbenen Musikvideos treten. Dann müssten Regie und Produktion aber wesentlich mutiger vorgehen. Man stelle sich mal eine experimentelle Noir-Verfilmung des Eagles-Hits "Hotel California", unter der Regie von David Lynch, oder eine psychotisch-promiskuitive Hochglanz-Version von Lady Gagas "Alejandro" ala Nicolas Winding Refn vor. Auch Partons‘ Songs hätten das Zeug für vielschichtige, kontroverse und zeitgemäße TV-Erzählungen.
Dass sich der Streaming-Dienst Netflix davon aber derzeit sukzessive weg bewegt, seinen Pioniergeist der Anfangszeit aufgibt, und lieber auf Masse statt Klasse setzt – auch das zeigt diese herzerstarrend eintönige Serie.