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Netz in Not

Internet. - Die deutsche Internetwirtschaft traf sich in dieser Woche in Köln, eingeladen hatte ihr Verband Eco. Thema waren neue Wege der TV-Verbreitung: IP-TV und Mobile TV. Und es ging um die Frage, über welche Netze eigentlich die vielen Video-Daten verteilt werden sollen. Das alles unter der fatalistischen Leitfrage: "Ist das Internet noch zu retten?"

Von Thomas Reintjes | 24.11.2007
    Passend zum Thema veröffentlichte die Nemertes Research Group eine Studie. Ihr zufolge würden im Jahr 2010 Video- und Multimediainhalte die Internetleitungen derart verstopfen, dass kaum noch ein Durchkommen wäre. Auch auf dem Kongress in Köln kursierten erschreckende Zahlen: Im Jahr 2006 seien nur ein Prozent der Filme als Download verkauft worden und nur 16 Prozent der Musikverkäufe waren digital. Viel Luft nach oben also. Die Diskussion dreht sich nun darum, wie die Technik im Netz mit dem zu erwartenden Anstieg fertig werden kann. Angesichts der Horrorszenarien blieb die versammelte Internetwirtschaft aber recht gelassen. Uwe Nickl beobachtet den Anstieg des Verkehrs auf den Netzen seines Unternehmens Level 3 Communications schon seit längerem:

    "Im Endkundenbereich sehen wir immer noch eine Verdoppelung alle sechs bis neun Monate, im Backbone-Bereich sehen wir weiterhin eine Verdoppelung jedes Jahr. Und ich denke, das sind beeindruckende Zahlen. Das ist eine Herausforderung für uns, was den Netzausbau, das Produktportfolio betrifft."

    Dieser Netzausbau ist für Nickl einer wie jeder andere. Wie auch in den Jahren zuvor wird er investieren, um mit dem steigenden Verkehr fertig zu werden. Andere allerdings sehen im Ausbau der Kommunikationsnetze zu einem so genannten Next-Generation-Network mehr als nur einen Technologiesprung. Mit dem Netzwerk der nächsten Generation werde sich grundlegendes ändern, sagt Joachim Doehner von Alcatel-Lucent.

    "Google und Apple fangen auf einmal an, sich für den Telekommunikationsmarkt aktiv zu interessieren. Und das ändert natürlich die Spielregeln ganz, ganz deutlich. Und viele der bisher etablierten Spieler sind, sagen wir mal, etwas verunsichert."

    Doehner wirft die Frage auf, wer es denn bezahlen solle, wenn sich der Internetverkehr plötzlich vervielfacht, weil alle Nutzer ständig Videos herunterladen. Mit den derzeitigen Flatratepreisen ließe sich das nicht finanzieren. Damit spielt er den Besitzern der Netze in die Karten. Die sehen auf der einen Seite hohe Kosten für den Datentransport auf sich zukommen. Auf der anderen Seite versiegen die klassischen Einnahmequellen. Ein Netz, in dem ein Anrufer pro Gespräch oder pro SMS bezahlt, scheint kaum zukunftsfähig zu sein. Alles bewegt sich hin zu neuen Geschäftsmodellen. Doch von dem Geld, das die Nutzer im Internet bei Ebay, Amazon oder Skype ausgeben, haben die Netzbetreiber nichts. Es ist deshalb zu befürchten, dass die neuen Netze nicht mehr so offen sein werden, wie heutige. So die Sichtweise von Klaus Landefeld, beim Verband Eco zuständig für Infrastrukturfragen:

    "Als Internetnutzer ist man heute gewöhnt, dass man beliebige Dienste irgendwo auf der Welt nutzen kann, dass man sich Videos, Musik von irgendwo ziehen kann. Und das passt einigen Anbietern, also gerade den ehemaligen Monopolisten, eben nicht, und man versucht das so hinzukriegen, dass die Kontrolle über diese Dienste wieder lokal liegt und man den Kunden mehr oder weniger dazu bringen will, wieder die eigenen Dienste zu verwenden."

    In der Praxis könnte das dann so aussehen: Von einem 50-Megabit-VDSL-Anschluss sind nur sechs Megabit für den freien Internetzugang vorgesehen, der Rest ist für Dienste des Anbieters reserviert. Dieses Szenario verbirgt sich für Klaus Landefeld hinter dem Schlagwort NGN – Next-Generation-Network. Er selbst tritt eher für ein NGI ein, ein Next-Generation-Internet mit einer offenen Struktur. Dagegen spricht aber mehr als nur die wirtschaftlichen Interessen von Ex-Monopolisten. Landefeld:

    "Die Politik hat da natürlich auch ein gewisses Interesse dran, dass man zum Beispiel den Anwender identifizieren kann: Wer ist denn da wann, wo, wie ins Netz gegangen? Dass man vielleicht sperren kann, dass also nicht mehr alle Inhalte überhaupt erreichbar sind, dass Strafverfolgung erleichtert wird, und so weiter. Und das ist in einem NGN natürlich sehr gut abbildbar, wenn ich sowieso den Netzzugang kontrolliere, wenn ich sowieso die Dienstenutzung kontrolliere, dann habe ich natürlich auch vollständige Logs darüber, wer was wann gemacht hat. Da sind die Begehrlichkeiten schon sehr hoch."

    Ausgemacht ist aber noch nichts. Vor allem die EU-Kommission hat etwas dagegen, den ehemaligen Monopolisten zu neuer Stärke zu verhelfen.