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Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Leiser Startschuss

Von Oktober an gilt offiziell das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Doch die Umsetzung wichtiger Punkte der umstrittenen Regelung der großen Koalition lässt noch auf sich warten - und ihre Kritiker hoffen auf die neue Regierung.

Von Gudula Geuther | 02.10.2017
    In der Facebook-Löschzentrale in Berlin.
    Facebook kümmert sich schon selbst um die Löschung seiner Inhalte, hier in Berlin. Beim NetzDG zögert der US-Konzern noch. (dpa)
    Es ist ein eher leiser Startschuss, mit dem das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gestern in Kraft getreten ist. Kein Wunder, denn für den eigentlich umstrittenen Teil gilt noch eine Übergangsfrist. Erst ab Januar gibt es die Löschfristen für strafrechtlich relevante Inhalte, erst dann sind auch Sanktionen möglich, sollte das Kontrollsystem versagen. Seit gestern gilt dagegen eine andere Pflicht: Betreiber sozialer Netzwerke – und zwar auch kleinerer – müssen einen Zustellungsbevollmächtigten und einen Ansprechpartner für Strafverfolgungsbehörden bereitstellen.
    Bisher scheitern Ermittlungen häufig daran, dass die Betreiber Polizei oder Staatsanwaltschaft auf den Weg der internationalen Rechtshilfe verweisen – und der dauert oft lang. Allerdings: Dadurch, dass es nun Ansprechpartner gibt, die auch in der Regel binnen 48 Stunden antworten sollen, ändern sich die sonstigen Verpflichtungen der Betreiber nicht. Der Verweis auf den steinigen Weg der Rechtshilfe bleibt also möglich.
    Regulierte Selbstregulierung lässt auf sich warten
    Bewegung gibt es auch beim Bundesamt für Justiz – wenn auch nur ein wenig. 50 Mitarbeiter sollen ab Januar überprüfen, wie die Betreiber ihrer Löschpflicht nachkommen. Die Hälfte der Truppe arbeitet schon und stellt erst einmal fest, welche Unternehmen eigentlich betroffen sind. Dafür müssten mehr als zwei Millionen Nutzer in Deutschland registriert sein. Neben Facebook, Twitter, Instagram kommen noch einige weitere in Frage, darunter Google mit Youtube.
    Dass der Startschuss des Gesetzes gar so leise ist, liegt auch an Ihnen. Denn bisher machen sie offenbar keine Anstalten, sich zusammenzutun. Das könnten sie nach dem Gesetz, indem sie einer in sich unabhängigen, aber staatlich zertifizierten Stelle das Beschwerdemanagement und die Prüfung überlassen. Regulierte Selbstregulierung nennt sich das. Wer auch immer dafür in Frage käme – das Bundesamt für Justiz müsste die Einrichtung anerkennen, Anmeldungen gibt es bisher noch keine.
    Sollte es dabei bleiben, würde es nicht nur für den Staat, sondern auch für die Unternehmen komplizierter: Für das Bundesamt für Justiz ist es deutlich einfacher, nur eine solche Institution zu kontrollieren, anstatt des Beschwerdemanagements jedes einzelnen Betreibers. Der Vorteil für die Unternehmen: Für die Selbstregulierung gelten längere Fristen. Dass die trotzdem noch zögern, kann auch am Ergebnis der Bundestagswahl liegen: Offensichtlich machen sich manche Hoffnung, dass das Gesetz noch verändert oder ganz gekippt wird.
    Kritiker hoffen auf neue Regierung
    "Ersatzlos streichen" müsse es eine Koalition aus Union, FDP und Grünen, findet der Vizechef des IT-Verbandes Bitcom Bernhard Rohleder, wie er dem Handelsblatt heute verriet. Am Runden Tisch etwas ganz neues erarbeiten will Eco-Vize Oliver Süme. Offenbar setzt man dort auf die FDP. Tatsächlich hatte deren Chef Christian Lindner vor der Wahl kein gutes Haar an dem Gesetz gelassen: "Es ist verfassungswidrig, der Strafrechtsanspruch des Staates wird unterlaufen und es ist eine große Gefahr für die Meinungsfreiheit, weil plötzlich ein privates Unternehmen einen Anreiz bekommt zu beurteilen, was wir sagen sollen und was wir nicht sagen dürfen."
    Wie weit sich die Position im Koalitionsvertrag niederschlägt, ist allerdings offen. CDU und CSU hatten dem Gesetz zugestimmt. Die Grünen hatten sich nach der Rede von Renate Künast enthalten: "Dieses Gesetz entspricht nicht unseren Vorstellungen. Ich habe immer noch das Gefühl, dass der Reiz, zu löschen, größer ist als der Reiz, das Recht und die Meinungsfreiheit einzuhalten. Das ist noch die Aufgabe der nächsten Wahlperiode."
    Nach Generalkritik klingt das nicht. Schon im Gesetzgebungsverfahren war nachgebessert worden. Die teils hohen Bußgelder drohen nicht für möglicherweise falsche Einzelentscheidungen, sondern nur, wenn das Beschwerdemanagement versagt. Dagegen kann sich ein Betroffener nicht immer wehren, wenn Inhalte zu Unrecht gelöscht werden. Eine Beschwerdestelle muss es nur bei der "regulierten Selbstregulierung" geben. Hier hatten Fachpolitiker mehrerer Parteien Nachholbedarf angemeldet.