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Neu im Kino: Steve Jobs
Grandiose Mischung aus Genie und Tyrann

Steve Jobs - Das Leben des Apple-Gurus und Egomanen bringt Regisseur Danny Boyles in seinem gleichnamigen Film mit einer brillanten Dramaturgie auf die Leinwand, meint unser Kritiker. Dennoch fällt sein Gesamturteil enttäuschend aus: Denn am Ende werde Jobs zu einer Heilsfigur.

Von Hartwig Tegeler | 11.11.2015
    Michael Fassbender als Steve Jobs in dem gleichnamigen Kinofilm von Danny Boyle.
    Michael Fassbender als Steve Jobs in dem gleichnamigen Kinofilm von Danny Boyle. (picture-alliance / dpa/Universal Pictures)
    Also war er? Und was konnte er?
    "Du kannst nicht programmieren. Du bist kein Techniker. Du bist kein Designer."
    Oder, wie Apple-Mitbegründer Steve Wozniak böse wie treffend auf den Punkt brachte: Was konnte er nicht?!
    "Du kannst nicht mal einen Nagel in die Wand schlagen. Wie kommt es also, dass ich zehnmal am Tag lese, Steve Jobs ist ein Genie. Was tust du?"
    Fragt "Woz" den alten Kumpel aus Apple-Garagenzeiten. Und Steve Jobs´ Antwort ist eines Maestros würdig.
    "Ich spiele das Orchester!"
    Ein menschliches Arschloch
    Dirigent, Regisseur, Inspirator? Ist das das treffende Erklärungsmodell für den Visionär des Kommunikationszeitalters? Steve Jobs - grandios in dieser Mischung aus Genie und Tyrann gespielt von Michael Fassbender, Jobs war auch einer mit einem genialen Gespür für Marketing. Und er war ein sehr effektiver Verkäufer. Der zudem die Fähigkeit hatte, die richtigen Leute um sich zu scharen und die aus seiner Sicht "falschen" abzustoßen. Ein menschliches Arschloch mit anderen Worten. Worunter seine Ex-Geliebte und seine Tochter Lisa, bei der er die Vaterschaft nicht akzeptieren wollte, jahrelang litten.
    "Ich sagte, ich habe gestern Sozialhilfe beantragt. In dem "Time"-Artikel steht, deine Apple-Aktien sind 441 Millionen Dollar wert. Und ich wollte dich fragen, wie du das findest?"
    "Tja, ich finde, die Apple-Aktie ist dramatisch unterbewertet. Gute Gelegenheit einzusteigen."
    Also Annäherung an ein zynisches Genie des Kommunikationszeitalters in Form einer außergewöhnlichen Dramaturgie. Danny Boyles Film "Steve Jobs" hat drei Kapitel, die in der Zeitspanne von 1984 bis 1998 jeweils die halbe, dreiviertel Stunde zeigen, bevor Jobs die Bühne betritt, um einen neues Computermodell vorzustellen. Das sind großartig gespielte Kammerspiele hinter und vor der Bühne, in denen die alten Dämonen auftauchen - Ex-Geliebte, Ex-Kumpels, Ex-Chefs. Dazu immer wieder kurze Rückblenden zu Zäsuren der Jobs-Biografie. Wenn Steve aus der selbst gegründeten Firma fliegt beispielsweise:
    "Ich habe mit Wozniak in einer Scheiß-Garage gehockt und die Zukunft erfunden. Denn Künstler heben die Welt aus den Angeln und Mitläufer nur die Hände."
    Blick auf den selbstsüchtigen Choleriker
    Dann heben diese Mitläufer die Hände gegen den Künstler, und er ist für Jahre draußen. Doch irgendwann ist Apple fast pleite. 1997 ist Jobs wieder da und bringt das Computerunternehmen mit dem iMac-Modell wieder in die Gewinnzone. Bei Danny Boyle verdichten sich diese Geschichten in diesen Minuten vor den Jobs-Präsentationen. Vorne die Bühne, auf die die Lichtgestalt gleich die wunderbaren, neuen und seinerzeit nicht selten nutzlosen technischen Geräte präsentiert. Gutes Images eben! Das konnte Apple immer.
    Doch hinter der Bühne, hinter der Maske des Visionärs Steve Jobs wird der selbstsüchtige Choleriker entzaubert. Sichtbar wird aber auch der Mann, der davon geprägt oder vielleicht besser gequält ist, dass ihn seine Mutter zur Adoption freigab und ihm damit einen natürlichen Halt nahm. Späte Selbsterkenntnis:
    "Es ist der Kontrollverlust. Die Erkenntnis, außen vor gewesen zu sein, als die entscheidendsten Dinge im eigenen Leben in Gang gesetzt wurden. Solange man die Kontrolle hat. Ich verstehe Menschen nicht, die sie aufgegeben."
    Boyle verlässt am Ende der Mut
    Leider hat Regisseur Danny Boyle am Ende der Mut verlassen, all diese widersprüchlichen, spannenden und freiliegenden Erzählstränge, die sein Film entwirft über die komplexe und widersprüchliche Persönlichkeit Steve Jobs, aufgefächert schlicht vor uns liegen zu lassen. Seht zu, was ihr daraus macht! Aus dieser Mischung aus Genie, Choleriker, Visionär, Egomane, Kontrollfreak, Guru.
    Seht doch selbst zu, was ihr für ein Bild ihr euch aus diesen Zutaten zusammenbauen könnt! Das wäre eine Haltung gewesen. Doch die Geschichte mit der unehelichen Tochter, die sich durch den ganzen Film zieht, mit der konnte das natürlich in einem großen Hollywood-Film nicht gut gehen. Kate Winslet als Jobs Pressefrau - auch sie ist in allen Kapiteln des Film präsent - verpasst dem unsozialen Mann, den das Geschäft mehr interessiert als die Familie, die filmisch notwendige Dosis Ideologie:
    "Ich liebe dich, Steve, und du weißt, wie sehr. Ich liebe an dir, dass dir egal ist, wie viel jemand verdient. Dich interessiert nur, was er macht. Aber was man macht, sollte nicht der beste Teil von einem sein. Wenn man ein Vater ist, sollte das der beste Teil von einem sein. Und seit zwei Jahrzehnten leide ich, Steve, weil es an dir der schlechteste ist. "
    Vater Jobs versöhnt sich also mit der unehelichen Tochter Lisa. Und deswegen darf das letzte Bild von Danny Boyles Film den Apple-Gründer in der letzten Minute vor der Präsentation des iMac - schon auf der Bühne, wir schauen von der Seite drauf auf ihn - mit einer Art leichtem Heiligenschein präsentieren. Am Ende ist Steve Jobs zu einer Art Heils-Figur geworden, wozu dramaturgisch natürlich gut seiner früher Tod passt. Ganz der Devise folgend "Durch Mühsal gelangt man zu den Sternen" - "per aspera ad astra".
    Durch dieses Art der Reinigung, Läuterung und Säuberung aber wird Danny Boyles Film schließlich bei aller dramaturgischen Brillanz enttäuschend eindeutig. Am Ende - wie so oft im Biopic - hat der Mythos die Deutungshoheit über die Komplexität einer Person errungen. Aber das wird sich gut machen für den Verkauf des neuen iPhones oder iPads.