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Neuanfang im Osten

So mancher Landwirt aus Europa lässt seine Heimat hinter sich, um andernorts einen Neuanfang zu wagen. Kanada und Südamerika stehen hoch im Kurs. Die Schweizer Bauern Hans Peter Michel und Jakob Bäninger haben vor zwei Jahren den Schritt nach Russland gewagt.

Von Christoph Kersting |
    Neun Uhr morgens, Arbeitsbeginn für zehn Melkerinnen und drei Traktorfahrer. Die Frauen verschwinden sofort im Gebäude neben dem Stall, wo sie sich umziehen. Die Männer werden von Jakob eingeteilt. Bevor es heute raus geht aufs Feld, muss erst einmal geschweißt und geschraubt werden an den Maschinen - der gewöhnliche Verschleiß. Der "Schweizer Bauer", eine Zeitung für Landwirte, hatte im Frühjahr 2003 zu einer Leserreise nach Russland eingeladen, um landwirtschaftliche Betriebe zu besuchen. Mit dabei: Hans-Peter Michel aus dem Berner Oberland und Jakob Bäninger aus Winterthur.

    "Auf der einen Seite hat mich Osteuropa immer interessiert, von der Geschichte her, vor allem, was die Landwirtschaft anbetrifft, und dann habe ich viele Bücher gelesen darüber. Und es war immer mal mein Wunsch, gegen Osten zu reisen, vielleicht mal mit der transsibirischen Eisenbahn bis zum Baikalsee oder noch weiter, aber so weit habe ich es noch nicht gebracht."

    Nach der Leserreise ging dann alles ziemlich schnell. Zu zweit fuhr man wieder nach Russland, schaute sich Betriebe an, die zum Verkauf standen, erinnert sich Jakob:

    "Dieser Betrieb war 350 Hektar groß, wo die anderen Betriebe so zwischen 1000 und 6000 Hektar hatten, und wir hatten nicht den Mut. uns mit so großen Flächen zu beschäftigen. Und im nachhinein müssen wir sagen: Wir haben richtig gewählt."

    Für rund 300-000 Euro kauften sie vor zwei Jahren den Betrieb, der schon damals "Schwejzarskoe Moloko - Schweizer Milch" hieß, weil eine Schweizer Stiftung bereits seit den 90er Jahren in der Region aktiv ist. Dieselbe Summe steckten die beiden in neue Maschinen und Gebäude, unter anderem einen Stall für 200 Milchkühe - viel Geld, sagt Hans, aber:

    "Mit diesem Geld hätte ich in Frankreich oder in Ostdeutschland oder auch in Kanada nichts anfangen können, das wir hier investiert haben. Ich war vorher in Brasilien, habe mir Brasilien angeschaut, war in den baltischen Staaten und auch in Ungarn, aber dort sind die großen Konzerne schon sehr aktiv in der Landwirtschaft, und die Konkurrenz ist viel größer. Und wenn Du etwas aufbauen willst, brauchst Du sehr viel Kapital, während dieser Betrieb relativ wenig Kapital brauchte. Und Russland bietet ja mit diesem riesigen Markt auch große Chancen, und Land ist genügend vorhanden, Arbeit ist ein billiger Faktor hier."

    Milch und Schweizer Käse verkaufen Hans und Jakob im 30 Kilometer entfernten Kaluga. Auch wenn sie sich mit ihren Produkten in der Region inzwischen einen Namen gemacht haben, noch zahlen die Schweizer nach Abzug von Löhnen und Betriebskosten drauf. Damit sich das ändert, wollen sie künftig auch den riesigen Moskauer Markt beliefern. Zudem ist gerade ein kleines Hotel mit zehn Zimmern fertig geworden, ohne jeden Luxus, aber gut ausgestattet mit einem kleinen Restaurant. Vor allem am Anfang war die Unterstützung des Schweizer Außenministeriums wichtig, das den Landwirten und Jakob finanziell und organisatorisch zur Seite stand. Schon seit 15 Jahren gibt es diese schweizerisch-russische Kooperation auf dem Gebiet der Landwirtschaft, sagt Olivier Bürki, Chef des Schweizer Büros für Entwicklung und Zusammenarbeit in Moskau.

    "Zunächst einmal ist es so, dass die Schweiz über eine sehr hoch entwickelte Landwirtschaft verfügt, Bauern mit sehr viel Erfahrung. Dann sind die Schweizer ganz einfach sehr reisefreudig. Es gab ja schon Auswanderungswellen nach Australien, Brasilien und in andere Länder. Dabei ist vor allem der Markt hier in Russland eine echte Herausforderung und sehr vielversprechend. Darum gibt es schon seit ein paar Jahren regelmäßig Besuche von Schweizer Bauern, die sich die Möglichkeiten hier vor Ort anschauen wollen. Und unsere russischen Partner zeigen ein genauso großes Interesse an einer Kooperation, so dass die Schweizer hier mit der Bürokratie eigentlich wenig Probleme haben."

    Hans und Jakob haben ihre Entscheidung für die russische Provinz nicht bereut, sie wollen auf jeden Fall bleiben:

    "Ich hoffe, ich kann das noch einige Jahre machen, vielleicht nicht so hektisch, wie das in den letzten Jahren zugeht, aber in Russland plant man ja nicht allzu weit, weil sich alles zu rasch und zu stark verändert."