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Neuartige Erbmoleküle

Der DNA-Faden ist die Basis jeglichen Lebens auf der Erde. Mit diesem Molekül konstruieren Wissenschaftler der synthetischen Biologie neue Gene. Einige Forscher sind aber schon ein Stück weiter: Sie haben bereits neue Erbmoleküle erfunden, ähnlich wie die DNA und doch anders.

Von Michael Lange | 09.07.2013
    Philipp Holliger arbeitet in einem der traditionsreichsten Forschungslabors Großbritanniens: dem MRC-Labor für Molekularbiologie in Cambridge. Im neuen fünfstöckigen Forschungspalast an der Francis Crick Avenue konstruiert er die nächste Generation von Erbmolekülen. Die DNA-Doppelhelix, so wie sie die Evolution hervorgebracht hat, liefert ihm zwar die Vorlage, aber für Philipp Holliger und sein Team ist das nur der Anfang.

    "Wir haben eine Reihe von DNA-Analoga hergestellt, die wir XNA nennen. Das X steht für Xeno, fremd. Dazu haben wir das Rückgrat der DNA verändert. Wenn man sich die DNA als verdrillte Leiter vorstellt, dann sind es nicht die Leitersprossen, die Basen, die wir verändert haben, sondern die Holme der Leiter. Dort befinden sich Zucker. Sie bilden das Gerüst der Helix und sorgen dafür, dass die Basen am richtigen Ort bleiben."

    Der Code aus den Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin bleibt der gleiche. Aber statt Desoxyribose oder Ribose wie in der DNA oder der RNA besitzt die XNA andere Zucker wie Arabinose oder Cyclohexenyl. Chemisch betrachtet ist das relativ einfach. Aber ein Erbmolekül ist nur dann ein Erbmolekül, wenn es sich ablesen und kopieren lässt. Dazu musste Philipp Holliger neuartige Enzyme entwickeln. Denn die natürlichen Enzyme sind nun einmal auf DNA spezialisiert.

    "Wir brauchen ein Enzym, das die XNA schreibt, und ein anderes Enzym, das die XNA liest. Die Umwandlung muss in beide Richtungen erfolgen: Von der DNA zur XNA und zurück von der XNA zur DNA. So lässt sich XNA lesen und schreiben."

    Das neue, künstliche Erbmolekül ist keine reine Spielerei. Einige der XNA-Moleküle sind stabiler als DNA. Sie könnten als Datenträger verwendet werden und Jahrtausende überdauern. Auch als extrem feste und haltbare Baumaterialien in der Nanotechnologie könnten sie Verwendung finden.

    Die Herstellung von XNA ist allerdings noch deutlich teurer als die Produktion von DNA. Aber XNA hat einen entscheidenden Vorteil: Im Gegensatz zu ihren biologischen Verwandten gibt es keine natürlichen Enzyme, die sie knacken und abbauen können. Nicht nur geschützt in einem sterilen Behälter, auch im Körper von Tieren oder Menschen, ist sie sehr haltbar. Das macht sie interessant für die Medizin, erklärt Philipp Holliger.

    "Das Rückgrat einiger XNA-Moleküle ist so fremdartig, dass es im Körper nicht abgebaut werden kann, oder nur extrem langsam. Denn dem Körper fehlen die notwendigen Enzyme. Deshalb sind speziell geformte Wirkstoffe aus XNA im Körper viel langlebiger als natürliche Stoffe und könnten in Zukunft als neuartige biomolekulare Wirkstoffe verwendet werden."

    Philipp Holliger interessiert sich aber nicht nur für zukünftige praktische Anwendungen seiner XNA. Er will wissen, wie Leben entstanden ist und wie Leben entstehen könnte.

    "Ist DNA das einzige Molekül, das Leben hervorbringen kann? Oder war es Zufall? Die Evolution hat sich irgendwann festgelegt und konnte nicht mehr wechseln."

    Die Ergebnisse von Philipp Holliger zeigen: Es geht auch anders, ohne DNA. XNA könnte die Basis bieten für neue, künstliche Lebensformen. Vielleicht gibt es dieses Leben sogar bereits – auf anderen Planeten.

    "Wenn wir nach außerirdischem Leben suchen, müssen wir uns bewusst sein, dass fremde Organismen verschiedene Erbmoleküle nutzen können. Das könnte XNA sein, aber auch noch etwas viel Fremderes. Die DNA ist nicht absolut einzigartig."