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Neuartige Proteinquelle
Startup-Unternehmen entwickeln Fisch aus der Petrischale

Fisch essen mit gutem Gewissen - das ist wegen der Überfischung oder den Umweltschäden durch Aquakulturen kaum noch möglich. Firmen wie Bluu oder Wildtype arbeiten an einer Alternative aus der Petrischale. Forellenbällchen oder Sushi-Lachs aus künstlich vermehrten Zellen sollen demnächst auf den Markt kommen.

Von Volkart Wildermuth | 02.11.2021
Sushi-Platte mit Nigiri-Röllchen, rohen Jakobsmuscheln, Thunfisch und Seeigel.
Sushi könnte in Zukunft aus der Petrischale kommen (Daniela Wiesler)
Fischers Fritz fischt frische Fische, sagt das Sprichwort. Aber der neue Trend könnte heißen: Fischers Fritzi filtert frische Filets. Und zwar aus dem Bioreaktor. Das zumindest ist der Plan von Sebastian Rakers, Mitbegründer des Startups Bluu Bioscience mit Sitz in Berlin und Lübeck: "Zell-basierter Fisch ist, wie der Name sagt, Zell-basiert."
Rakers beschäftigt sich schon seit Langem damit, Fischzellen im Labor zu züchten. Ausgangspunkt sind kleine Gewebeproben von Forelle, Karpfen, Lachs. Die darin enthaltenen Stammzellen lassen sich dann in Petrischalen vermehren. Für wissenschaftliche Experimente ist diese Methode Standard. Um damit Nahrungsmittel zu produzieren, müssen aber alle Details optimiert werden.
"In dem ersten Schritt sind wir gerade dabei zu schauen: Wie erreichen wir maximale Zelldichten und ein Zellwachstum, das so schnell ist als möglich, damit die Zellen sich sehr schnell und häufig teilen und wir dadurch natürlich dann viel Biomasse aufbauen können."

Das Ziel: Gewebe wie im natürlichen Filet

Normalerweise nutzt man für solche Zellkulturen etwa fetales Kälberserum, weil es viele Wachstumsfaktoren enthält. Das ist einerseits teuer und andererseits auch aus der Perspektive des Tierwohls problematisch. Deshalb untersucht Bluu derzeit, welche Wachstumsfaktoren für Fischzellen entscheidend sind und ob die sich aus anderen Quellen beziehen lassen. Das nächste Problem sind die Gefäße. Die Zellen wachsen derzeit angehaftet auf Oberflächen. Für die Großproduktion wäre es viel besser, sie freischwebend in der Nährflüssigkeit zu züchten, ähnlich wie die Hefe in einem Braukessel.
"Am Ende des Tages wollen wir das produzieren, was der Verbraucher auch isst. Und das ist in der Regel das Fischfilet. Und im Fischfilet, Fischmuskelgewebe sind drei wesentliche Zelltypen enthalten. Das ist die Muskelzelle, das ist die Fett-Zelle und das ist die Bindegewebs-Zelle. Und diese drei Zelltypen stellen wir her und konstruieren daraus dann das fertige Produkt."
So weit ist Bluu allerdings noch nicht. Die Firma Wildtype betreibt dagegen bereits eine Pilotanlage in den USA, die nächstes Jahr genug Lachs für alle Sushi Restaurants in San Franzisco produzieren könnte. Gründer Arye Elfenbein hat von Anfang an Köche mit einbezogen: "Zuerst war unser Produkt nicht wirklich überzeugend und die Köche sehr kritisch. Aber dank der Hinweise der Sushi-Meister haben wir es verbessert und uns all den subtilen Charakteristika angenähert, die Sushi zu so einem unglaublich populären Gericht machen."

Bewährung im Geschmackstest

Entscheidend war, aus den Einzelzellen ein Gewebe zu formen. Dazu werden die Zellen geerntet und auf einer pflanzenbasierten Matrix ausgesät, die ihr weiteres Wachstum strukturiert. Das fertige Produkt enthält rote Muskelschichten getrennt von feinen weißen Fettstreifen – ganz wie beim echten Lachsfleisch. Bei einer wissenschaftlich begleiteten Blindverkostung von Sushirollen, schnitt der zellbasierte Lachs von Wildtype fast so gut ab wie Lachs aus Aquakultur. Arye Elfenbein: "Über hundert Leute haben beides probiert. Und die Bewertungen bezüglich Geschmack, Textur und so weiter lagen sehr dicht beieinander. Das war sehr ermutigend."
Wildtype und Bluu müssen aber nicht nur die Kunden, sondern auch die Zulassungsbehörden überzeugen. Sebastian Rakers vom Start-Up Bluu ist da in regem Austausch: "Um dann auch herauszufinden: Was genau braucht ihr? Was ist wichtig? Was müssen wir nachweisen, um einfach auch ein sicheres Lebensmittelprodukt dann am Ende auf den Markt bringen zu können?"

Argument Umweltbilanz

In Singapur wurde Ende 2020 das erste zellkulturbasierte Hühnchenprodukt zugelassen. Das hat dem Feld Auftrieb gegeben. In der Nische Fisch tummeln sich inzwischen weltweit rund 80 Unternehmen. Wildtype wird seinen Lachs aus dem Bioreaktor in Sushi-Qualität nächstes Jahr auf den Markt bringen. Der Preis soll in einer ähnlichen Größenordnung liegen wie bei Lachs aus Aquakultur, so Arye Elfenbein.
"Es bringt nichts, wenn wir das tollste Produkt der Welt haben, wenn es sich nur eine wohlhabende Elite leisten kann. Und ein Grund, weshalb wir glauben, günstiger zu sein, ist, dass Lachs in der Aquakultur Jahre wachsen muss, und dann wird die Hälfte weggeworfen. Wir nutzen nur das bloße Minimum, was unsere Zellen benötigen. Und wir produzieren nur, was gegessen wird, keine Flossen oder Innereien."
Das könnte letztlich auch zu einer günstigen Energie- und Umweltbilanz beitragen, hofft Arye Elfenbein. Wildtype und Bluu wollen ihre zellbbasierten Fischprodukte erst über Restaurants vermarkten, bevor sie in die Supermärkte gehen. Wahrscheinlich wird es dort schon bald viele Alternativem geben: Wildfisch, Aquakulturfisch, fischähnliche Produkte auf Pflanzenbasis und eben zellbasierten Fisch. Der könnten sogar gesünder sein als das Original, ohne Mikroplastik, Schwermetalle oder Antibiotika, dafür angereichert mit Omega-3-Fettsäuren. Aber das sind noch Zukunftsträume. Nächstes Jahr wollen Bluu und Sebastian Rakers erst einmal die ersten zellbasierten Forellenbällchen vorstellen.
"Ich habe es schon mal probiert. - Und? - Ja, es hat natürlich noch Optimierungspotenzial, aber man hat schon einen deutlichen Fisch-Geschmack empfunden."