Koldehoff: Wenn ich es richtig verstanden habe, dann ging der Blick aber gar nicht so sehr in Richtung Berlin und in Richtung Museumsinsel, die es da möglicherweise zu übertrumpfen gelten könnte, sondern dass dieses Haus vier Sparten hat, nämlich Kunst, Grafik, aber auch Architektur und Design, das hat zu Vergleichen mit dem Centre Pompidou in Paris oder mit dem Museum of Modern Art in New York geführt, weil dort auch die Genres nebeneinander präsentiert werden. Trägt dieser Vergleich?
Noltze: Ein bisschen trägt er schon. Vielleicht trägt er nicht bis zum Ende. Denn zum Beispiel die Integration der Graphischen Sammlung, die sicher ein Desiderat war, ist gelungen. Auch die einzelnen Dinge hier - die Graphische Sammlung war untergebracht in einem einzelnen Gebäude, die neue Sammlung des Produktdesigns war auch untergebracht in einem eigenen Institut - die hier zusammenkommen, die müssen natürlich nicht notwendigerweise zusammenpassen, trotzdem ergeben sich, auch begünstigt durch die Architektur natürlich, interessante Durchblicke.
Koldehoff: Nun hat das Gebäude selbst ja schon eine längere Geschichte. Es ist auch schon vor einiger Zeit präsentiert worden, nackt allerdings, ohne Kunst damals. Jetzt hängt und steht die Kunst. Was hängt denn und was steht?
Noltze: Also Sie haben es vorhin gesagt. Es sind eigentlich vier eigenständige Museen. Wir haben es mit einem Museum von vier Museen zu tun. Heute war noch nicht Gelegenheit alles im Einzelnen zu prüfen. Ich glaube, ein ganz besonderes Juwel ist die Graphische Sammlung, wo von Dürer, Leonardo, nur vom Feinsten Dinge zu sehen sind unter optimalen Lichtverhältnissen, wie ich den Eindruck hatte. Es natürlich zentral die Kunst der Moderne zu sehen, die in München vorher im Haus der Kunst ein eher tristes Dasein fristen musste. Hier in diesem neuen Museum, unter diesen Lichtverhältnissen - Stephan Braunfels hat sich da eine Oberlichtlösung einfallen lassen, die wirklich die Kunstwerke zum Leuchten bringt - sieht man diese Dinge überhaupt zum ersten Mal richtig. Insgesamt, so habe ich den Eindruck, gibt es einen Hang zum Gesetzten, zum Gesicherten. Man sieht Dinge, die man kennt. Man sieht monografische Kabinette, wo wir uns also jetzt der Gegenwart nähern. Polke, Baselitz, wo man sozusagen einen Geschmack bekommt von der Kunst dieser Helden der Gegenwart. Was vielleicht noch ein bisschen kommen könnte, ist, diese Dinge nun in einen Dialog zu bringen. Neben mir steht Professor Baumstark, der Hausherr hier. Er ist ein glücklicher Museumsdirektor, wie er heute schon gesagt hat. Nun haben Sie diese vier Museen, Herr Baumstark. Was haben die miteinander zu tun? Was könnten die miteinander zu tun haben, der Dürer aus der Graphischen Sammlung, das Porschemodell aus der neuen Sammlung und die Beuys-Installation, das Ende des 20. Jahrhunderts?
Baumstark: Zunächst einmal sind das vier Facetten des Blickes auf die Kunst des 20. und des 21. Jahrhunderts aus vier völlig unterschiedlichen Richtungen heraus. Alle vier Sammlungen sind autark, alle vier Sammlungen treten in einen Verbund. Es gibt den Dialog, aber, das sollte man nicht vergessen, es gibt ja auch den Dialog der drei Pinakotheken. Denn die Pinakothek der Moderne ist unmittelbar neben der alten Pinakothek gebaut. Es gibt die neue Pinakothek. Wir können in München von der Kunst des Spätmittelalters bis zum heutigen Tage einen unendlichen Bogen schlagen. Und wie so etwas aussieht? Irgendwann werden wir El Greco hier in der Pinakothek der Moderne zeigen, um zu beweisen wie kühn, wie mutig, wie vorausschauend ein Mann wie El Greco seiner Zeit sein konnte.
Noltze: Das heißt, da sind noch Schneisen zu schlagen. Sie haben heute morgen von der Geburtstunde eines Weltmuseums gesprochen. Wo würden Sie dieses Museum im Weltmaßstab einordnen?
Baumstark: Wir spielen in der gleichen Liga wie Reina Sofia in Madrid, wie das Centre Pompidou in Paris, wie auch das Tate Modern und das MOMA in London. Ob wir immer an der ersten Stelle spielen werden, das wird sich noch zeigen. Auch wenn wir in der zweiten oder dritten wären, wäre das immer noch wunderbar. Wir sind aber im Vergleichsmaßstab dieser Weltklasse und das ist für München und für Deutschland schon eine wichtige und kühne und große Aussage.
Noltze: Dies war Ihr Tag. Es war auch der Tag des bayrischen Ministerpräsidenten. Es gab, wie ich fand, zwei bemerkenswerte Leerstellen bei den Reden, die gehalten wurden. Einmal fehlte der Architekt Stephan Braunfels. Er wurde viel gelobt, er war auch da, aber er sprach nicht selber. Was das ein Maulkorb?
Baumstark: Nein, überhaupt kein Maulkorb. Sie sehen ja die ungeheure breite Zustimmung und geradezu Bewunderung und Begeisterung, die die Akteure und auch der Architekt erfahren. Und zwar nicht nur seitens der Kritik, der Architekturkritik, der Kunstkritik, sondern auch seitens der Politiker.
Noltze: Aber hätte er dann nicht selber ein paar Worte sagen können oder sollen?
Baumstark: Er hätte ein paar Worte sagen können, aber wir hatten ein ganz strenges, enges Programm aufgrund der Direktübertragung des bayerischen Fernsehens. Deswegen hatten wir ein sehr, sehr knappes Programm, und es gab nur drei Redner. Selbst der bayerische Innenminister, der eigentlich als Bauminister hätte sprechen sollen, ist aus dieser Liste herauskomplimentiert worden.
Noltze: Die zweite Leerstelle betrifft den Münchner Bürgermeister. Der war gar nicht da. Merkwürdig!
Baumstark: Ja, das finde ich sehr traurig. Denn was hier geschieht, ist ja zunächst etwas, was für München gemacht wird. München leuchtet. Und dass das durch den Freistaat Bayern bewirkt wird, spielt für den Besucher überhaupt keine Rolle. Der geht nach München, der lebt in München, der kommt nach München als Besucher und nimmt das als ein Angebot von München. So gesehen, hätte ich es auch als schön empfunden, wenn die oberste Spitze dieser Landeshauptstadt heute mit dabei gewesen wäre, um mit uns zu feiern und um mit uns die Zukunft zu planen.
Noltze: Schauen wir, wie es weitergeht und blicken schon voraus auf das Brandhaus Museum, das nächste Stück, das Sie dann Ihrer Sammlung von Museen hier einverleiben können. Danke erst einmal, Herr Professor Baumstark.
Koldehoff: Herr Noltze, jetzt müssen Sie mir natürlich, bevor Sie in Ehren entlassen sind, noch folgendes erzählen. Es gibt vier Flügel oder vier Abteilungen in diesem Museum. Wir haben gerade lange darüber gesprochen. In welche wird Sie denn, wenn Sie hier jetzt gleich fertig sind, der Weg führen?
Noltze: Ich glaube, ich gehe noch mal in die Graphische Sammlung. Da sind wirklich feine Dinge zu entdecken, aber im Grunde muss man hier heute an diesem Tag, der nicht der Tag der konzentrierten Kunstbetrachtung ist, sondern der erst einmal dieses Haus in Besitz nimmt, einmal quer durchgehen. Und insofern ist es hier schon eine raffinierte Architektur, auch eine der Kunst dienenden Architektur, die Stephan Braunfels hier inszeniert hat. Wenn man einmal in den Flügeln drin ist und die große Treppe, die große Rotunde, diese Selbstinszenierung von Architektur auch schnell vergessen hat, dann kommt man auf ganz interessante Wege und Nebenwege, auf Labyrinthwege, die einen aber immer wieder in diesen zentralen Raum zurückführen. Also es ist ein interessantes Raumerlebnis, und es ist ein Raum für Kunst in München, man muss es doch sagen, der überfällig war.
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