Donnerstag, 25. April 2024

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Neue CD von TLC
"Altern in Würde, mit Weisheit und Stil"

Auch wenn Lisa Lopes, einst die wichtigste Songschreiberin des Hip-Hop-Trio TLC, nicht mehr dabei sein kann, das neue Album der Band klinge "erstaunlich gut", sagte Musik-Kritkerin Elissa Hiersemann im Dlf. Das Album höre sich an wie ein Zeitreise ins Erbe der 90er-Jahre, aber biedere sich "an keiner Stelle an heutige Sounds an".

Elissa Hiersemann im Gespräch mit Anja Buchmann | 01.07.2017
    Tionne Watkins und Rozonda Thomas von TLC bei einem Konzert im Mai 2015 in Rosemont Illinois. (Bild: imago stock&people)
    Rozonda Thomas und Tionne Watkins - zwei starke Frauen auf der Bühne (imago stock&people)
    Anja Buchmann: Frau Hiersemann, um das neue Album von TLC zu verstehen, muss man auch einen Blick in die Vergangenheit werfen. Die Bandgeschichte war ja nicht immer so ganz einfach. Wie gehen die mit dem Erbe um?
    Elissa Hiersemann: Für mein Empfinden sehr souverän. Der Tod von Lisa - Left Eye - Lopes bei einem Autounfall 2002 in Honduras war der Tiefpunkt einer Bandkarriere, die - trotz des wahnsinnigen Erfolgs in den 90ern - auch immer viel von Pech begleitet war. Obwohl die drei Frauen 65 Millionen Alben verkauft haben, haben sie von dem Geld nur sehr wenig gesehen.
    "Millionärinnen für fünf Minuten"
    Buchmann: Deswegen ja jetzt auch die Crowdfunding-Kampagne.
    Hiersemann: Genau. Neulich hat Tionne Watkins in einem Interview gesagt, dass sie den Tag nie vergessen wird, an dem sie Millionärinnen wurden - für circa 5 Minuten - dann mussten sie den Scheck weiterreichen an ihren Manager. Das ist unglaublich, aber wahr: Sie befinden sich immer noch im Rechtsstreit darüber.
    TLC haben es damals mit Mitte 20 auf die harte Tour lernen müssen, im Business zu bleiben, jetzt mit Mitte 40, da läuft es dann eben über diese Crowdfunding-Kampagne, um ein neues Album zu finanzieren. Und es kommt auch noch dazu, dass die verstorbene Lisa Lopes die Extrovertierte in der Band war, die die auf Leute zugegangen ist, die mit der großen Klappe. Es war durch sie auch immer viel Drama in der Band, Alkoholexzesse und Ausraster in der Öffentlichkeit, davon hat die Band sicher auch profitiert – selbst wenn es Negativ-Presse war.
    Buchmann: Es gab auch sogar mal Brandstiftung!
    Hiersemann: Ja, genau, sie hat die Turnschuhe ihres NBA-Basketball-Freundes angezündet und dann, das ganze Haus ist dann abgebrannt, also wirklich verrückt! Ja, aber vor allem hat Lisa Lopes einen Großteil der Songs von TLC geschrieben.
    Unvorstellbar, Lisa Lopes zu ersetzen
    Buchmann: Wenn dann die Lisa Lopes, also die Haupt-Songschreiberin von TLC nicht mehr dabei ist, funktioniert das als Duo TLC überhaupt noch? Was meinen Sie?
    Hiersemann: Ich war sehr skeptisch, aber es funktioniert erstaunlich gut. Das Album steckt zwar knietief im Erbe der 90er drin - es klingt streckenweise wie eine Zeitreise dahin zurück - ihr Trademark-Sound aus Pop, der stark von Hip-Hop-Beats beeinflusst ist, wabert durch das ganze Album. Aber sie biedern sich an keiner Stelle an heutige Sounds an und klingen trotzdem frisch und sie wissen, wen und was sie mit Lisa Lopes verloren haben. Es war unvorstellbar für sie, sie zu ersetzen, deswegen versuchen sie es gar nicht erst.
    Die beiden haben die Last der Vergangenheit nicht einfach abgeworfen, sondern es scheint so als hätten sie sich mit der Vergangenheit auseinandergesetzt, um was Positives für die Gegenwart draus zu machen. Tionne Watkins und Rozonda Thomas sind jetzt 46 und 47 Jahre alt und altern in Würde, mit Weisheit und Stil. Das gelingt in den Genres, in denen sie unterwegs sind nicht allen. Weder Pop noch Hip-Hop eignen sich gut zum Älterwerden, das wird oft einfach nur noch peinlich. Da haben es Rocker oder Singer-Songwriter viel leichter.
    "Es geht nach wie vor um Selbstermächtigung"
    Buchmann: Wie kriegen sie das hin, die TLC-Mädels und welche Themen werden auf dem neuen Album verhandelt?
    Hiersemann: Ich glaube, die Themen haben viel damit zu tun, dass das Album gut ist. Es geht nach wie vor um Selbstermächtigung und wie man seine Frau im Männerbusiness steht, es geht um Mobbing in sozialen Netzwerken, es geht darum, perfekt zu sein, so wie man ist. Tionne Watkins hat an vielen der neuen Songs jetzt mitgeschrieben. Es sind zwar nicht die neuesten Themen und Gedanken und die Texte haben auch nicht mehr diesen Schalk im Nacken, sie sind nicht mehr so frech. Mir gefällt das neue Album trotzdem, weil es sich eben an keinen Zeitgeist anbiedert - und es gibt auch keine ellenlangen Featuring-Gästelisten, es gibt nicht dauernd Interludes, wo Mama, Papa oder Oma noch mal einen guten Rat einsprechen, es ist keine Black-Lives-Matter-Platte. Es ist einfach TLC - nicht ganz so gut wie in den 90ern, aber doch sehr erfreulich.
    Jay Z - Neues Album aus der Rapper-Rente
    Buchmann: Ich möchte jetzt noch mal einen kurzen Haken zu einem anderen US-amerikanischen Musiker schlagen, der sich auch nie angebiedert hat. Der Rapper Jay Z. 47 Jahre ist er auch alt - also ein ähnliches Alter, wie die beiden TLC-Frauen – Hip-Hop-Mogul und eigentlich schon in Rapper-Rente. Der hat gestern jetzt, für viele überraschend, doch noch mal ein neues Album rausgebracht. Was soll man davon halten?
    Hiersemann: Ja, Jay Z ist ein ziemlich dicker Fisch im Business, heutzutage allerdings eher als Geschäftsmann: Er hat eine Modefirma, ist Clubbesitzer, hat in der NBA seine Finger im Spiel; er hat den Streamingdienst Tidal gegründet, wo sein neues Album "4:44" erst mal exklusiv angeboten wird. Außerdem ist er vor 14 Tagen in die Songwriters Hall of Fame aufgenommen worden, als erster Rapper überhaupt, 40 Jahre nachdem es Rap nun gibt. Seine Alben "Reasonable Doubt", "The Blueprint" und "The Black Album" sind Klassiker im Hip-Hop. Sein neues Album "4:44" reicht da nicht heran. Er ist kein Kendrick Lamar, Frank Ocean oder Kanye West, die in den vergangenen Jahren das Genre noch mal so richtig aufgemischt und erneuert haben. Jay Zs neues Album ist eher oldschool.
    "Starke Frauen haben die Nase vorn"
    Buchmann: Wissen Sie, was der Albumtitel zu bedeuten hat, "4:44"?
    Hiersemann: Ich denke, es ist auch eine Liebeserklärung an seine Frau Beyoncé. Die beiden sind gerade zum zweiten Mal Eltern geworden, haben Zwillinge bekommen – und Vier ist eine besondere Zahl für die zwei: Beide haben an einem Vierten Geburtstag, sie haben am 4. April 2008 geheiratet und sich eine römische IV auf die Ringfinger tätowieren lassen. Und als Jay Z in die Songwriters Hall of Fame aufgenommen wurde, da hat ihm der US-amerikanische Präsident a. D. Barack Obama dazu auf YouTube gratuliert – das sieht aus, wie ein offizielles Statement, dauert zwei Minuten. Und da sagt Obama, dass beide ohne Väter in ärmlichen Verhältnissen groß geworden sind und mithilfe der Musik und der Politik Türen für andere aufstoßen wollten. Und am Ende sagt Obama noch etwas sehr Richtiges und Wichtiges: Nämlich dass sowohl Obama als auch Jay Z mit Frauen verheiratet sind, die deutlich beliebter sind als sie selber.
    Buchmann: Ah, okay! Das hat er über sich selbst dann quasi auch gesagt?
    Hiersemann: Genau! Also: Michelle Obama ist viel beliebter als er. Und im Fall von Jay Z ist das eben Beyoncé, die beliebter ist und an dieser Frau kommt man in Sachen Musik derzeit wirklich nicht vorbei. Ihr aktuelles Album "Lemonade" hat in jeder Hinsicht Rekorde gebrochen. Das weiß Jay Z, da tritt das Alphatier dann auch gerne etwas in den Hintergrund und unterstützt Beyoncé. Und die Zeit scheint endlich reif dafür zu sein, dass starke Frauen im Pop, Hip-Hop, R'n'B die Nase vor den Männern haben. Womit wir dann auch wieder bei TLC wären, die in den 90er Jahren mit ihren forschen und vorlauten Texten und dem frischen Pop auch Vorbild für Frauen wie Beyoncé waren.
    Buchmann: Herzlichen Dank, Elissa Hiersemann, für diese Einschätzung zum neuen TLC Album und auch zum Jay Z Album.
    Das Album "TLC" ist am 30. Juni erschienen. Für alle, die sich das live anschauen wollen: Im Oktober kommen TLC für 5 Konzerte nach Deutschland.