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Neue Feinde edler Reben

Umwelt. - Sommerhitze stresst nicht nur Menschen, sondern auch Kulturpflanzen. Welche Probleme der Klimawandel der Landwirtschaft bereiten kann, zeigt das Beispiel Weinanbau: Einerseits profitieren Reben vom Mehr an Sonne und Temperatur, andererseits fühlen sich auch neue Schädlinge dabei pudelwohl.

Von Volker Mrasek | 13.08.2007
    "Zunächst schauen wir, ob der Stock breit genug ist, um den Bohrer ansetzen zu können. Der sieht gut aus, diese Riesling-Rebe hier. Und dann wird der Bohrer angesetzt und in den Stamm hineingedreht. Das ist relativ harte Arbeit ..."

    Expedition im Weinberg. Katja Schulze unterwegs in einer Riesling-Kultur an der Mosel. Die Agraringenieurin hat einen handlichen Bohrstock aus Metall dabei. Seine Form ist einem Korkenzieher nicht unähnlich, und man bedient ihn auch so: Stück für Stück schraubt sich das Ding in den knorrigen Stamm der alten Rebe.

    "Der Bohrer ist innen hohl. Und in dem Bohrer steckt dann der Bohrkern drin. Den kann man dann rausholen. Den muss man manchmal ein bisschen anstupsen, damit er wieder rausgeht. Jetzt ist er rausgeflogen."

    Rebstöcke anbohren - Katja Schulze macht das, um einer neuen Krankheit in deutschen Weinbergen auf den Grund zu gehen. Sie nennt sich Esca. Dahinter stecken Pilze, die sich im Holz der Rebstöcke einnisten und es zerstören.

    "In Europa war es vor allem in Südeuropa schon lange Zeit ein Problem. In den nördlichen Weinbaugebieten - Deutschland, in Österreich - hat es sich eben, sagen wir, im letzten Jahrzehnt zu einem deutlichen Problem im Weinbau entwickelt."

    Michael Maixner leitet das Institut für Pflanzenschutz im Weinbau. Die Außenstelle der Biologischen Bundesanstalt liegt zentral an der Mosel, im Ort Bernkastel-Kues. Dort forscht auch Katja Schulze. Es sind Wärme liebende Schädlinge, die immer stärker in den Fokus der Wissenschaftler rücken, begünstigt durch den Klimawandel. In Bernkastel etwa ist es heute im Mittel zwei Grad Celsius wärmer als noch vor 50 Jahren. Auch die Niederschläge verteilen sich inzwischen anders:

    "Gerade während der Reifezeit der Rebe, sagen wir im September, kann es dann auch vermehrt zu Niederschlägen kommen. Und feuchtwarm führt eben dann auch leicht zu einer Erhöhung von Fäulniserregern zum Beispiel."

    Klassische Schadinsekten wie der Traubenwickler, ein Schmetterling, bilden inzwischen drei statt nur zwei Generationen pro Jahr aus, weil die warme Jahreszeit länger anhält. Aus Süden wandern Zikaden ein, die an den Reben saugen und neue Krankheitserreger übertragen. Auch Viren setzen ihnen vermehrt zu.

    "Wir kennen eine ganze Reihe von Viren, die in Reben Schäden verursachen und deren Schäden umso stärker auftreten, je heißer das Klima während der Vegetationsphase ist. Schäden zum Beispiel durch Blattrollviren - man kann erwarten, dass diese durchaus ansteigen."

    Katja Schulze ist inzwischen zurück im Institut. Mit ihren Holz-Bohrkernen aus den alten Rieslingstöcken steuert sie das Labor an. Die Proben kommen in eine so genannte Kugelmühle.

    "Dann Vorsicht! Nicht die Finger dazwischen kriegen! Und jetzt lassen wir das mal mahlen."

    Dass es sich um eine Holzprobe handelt, ist nach der Prozedur nicht mehr zu erkennen:

    "Wir haben hier jetzt ganz fein vermahlenes Holzpulver. Und das können wir prima dafür hernehmen, die DNS da herauszuisolieren, das Erbmaterial der Pilze, die im Holz sitzen."

    Esca ist die tückischste neue Krankheit in deutschen Weinbergen. Weder kennt man die Erreger ganz genau, noch lässt sich der Befall mit den Pilzen leicht feststellen, im Gegenteil: Die Schädlinge nisten schon lange im Holz des Rebstocks, bevor erste Symptome an den Blättern auftreten. Laut Institutschef Maixner gibt es sogar eine Form von Esca, ...

    "... wo der Stock dann schlagartig im Sommer abstirbt. Eine Verlaufsform der Esca, die man als Apoplex bezeichnet, also als Schlaganfall."

    In manchen Anlagen an der Mosel ist inzwischen jede zehnte Rebe mit Esca-Pilzen infiziert. Und ...

    "... es gibt in anderen Weinbaugebieten durchaus Befallszahlen, die über 20 Prozent, möglicherweise auch bis 30 Prozent gehen."

    In Bernkastel arbeiten die Forscher an Methoden zur frühen Diagnose der Schadpilze. Dazu zählt auch der Bohrer, mit dem sich Holzproben aus Rebstöcken entnehmen lassen. Und den auch ein Winzer im Zweifelsfall ohne weiteres bedienen könnte. Je früher der Befall entdeckt wird, desto größer die Chance, die Rebe noch zu retten. Indem man die Pilznester gezielt herausschneidet. Die Klimaerwärmung bringt deutschen Winzern also Vor- und Nachteile. Sie dürfen vorerst auf weitere Spitzenjahrgänge hoffen, müssen sich aber zugleich auf neue Schaderreger in ihren Weinbergen einstellen - und damit auch auf Ertragseinbußen.