Samstag, 04. Mai 2024

Archiv

Neue Filme
"4 Könige" und ein cholerischer Küchenchef

Weihnachten kann das traute Familienfest sein, auch im Kino. Doch unser Kritiker stellt einen Film vor, der so gar nicht zu den weichgezeichneten Klischees passt. Außerdem kommt die brutale Hierarchie in Sterneküchen auf die Leinwand sowie zwei Themen um die Musikgenre Hip Hop und Klassik.

Von Hartwig Tegeler | 02.12.2015
    Paula Beer als Alex (l-r), Moritz Leu als Fedja, Jella Haase als Lara und Jannis Niewöhner als Timo sind in einer Szene des Films «4 Könige» zu sehen (undatierte Filmszene).
    In "4 Könige" feiern vier Jugendliche Weihnachten in einer Psychiatrie (picture-alliance / dpa/Port au Prince Pictures)
    "Ein Weihnachtspimmel. Für den Baum."
    Klar, Lara möchte gerne so tun, als sei sie quietschig, cool und natürlich obszön; als könne sie nichts angreifen. Weit gefehlt. Ach, Weihnachten. Aber nichts mit "Jingle Bells".
    "Wir fünf werden über Weihnachten zusammen hier sein. "
    Erklärt Dr. Wolf seinen Patienten Lara, Alex, Timo und Fedja. Hauptfiguren in "4 Könige".
    "Das ist eine spezielle Situation. Und ich finde auch nicht, dass wir so tun müssten, als wäre das nicht so."
    Feiertage in der Jugendpsychiatrie. Die eine ist auf Drogen hängengeblieben, die andere neigt zu Selbstzerstörung, Timo hat ein Problem mit Gewalt und Fedja eines mit seiner Angst. Denn er wurde brutal misshandelt. Paula Beer, Jella Haase, Jannis Niewöhner und Moritz Leu spielen die vier, die nicht gezwungen sind zu bleiben in der Psychiatrie. Formal zumindest nicht.
    "Zwingt euch einer?"
    "Ja, natürlich sind wir gezwungen."
    "Letztendlich ist es eure Entscheidung. Zwingen kann euch keiner."
    Aber natürlich haben Lara, Alex, Timo und Fedja kein Zuhause, wohin sie mal eben zurückkönnten. Einiges spricht im Film "4 Könige" dafür, dass sie gerade von da, von zu Hause, geflüchtet sind, weil sie nicht als "normal" durchgehen. In ihrem Kinodebüt "4 Könige" denunziert Filmemacherin Theresa von Eltz die Jugendpsychiatrie nicht als Höllenort wie in "Einer flog über das Kuckucksnest". Aber auch der unkonventionelle Psychiater Wolf - gespielt von Clemens Schick - scheitert am Ende mit seinen Methoden, an der Institution, wo er doch die Eigenverantwortung bei den Klienten hervorrufen wollte. Trotzdem lässt "4 Könige" seinen grandios gespielten vier Jugendlichen am Ende ein wenig Hoffnung. Die schöpfen sie aus dem Zusammensein.
    "4 Könige" von Theresa von Eltz - herausragend.
    Im letzten Jahr 2014 riefen Köche in Frankreich die Initiative "Rühr meinen Gehilfen nicht an" ins Leben, in dem sie die Gewalt in den Luxusküchen anprangerten. John Wells beschreibt in seinem Film "Im Rausch der Sterne" die brutale Hierarchie in solchen Küchen in der Londoner Ausführung mit seinem Koch-Star Adam Jones, gespielt von Bradley Cooper.
    "Für uns Köche ist er wie die Rolling Stones."
    Meint einer seiner Bewunderer, der in Adams Küche schuften wird. Adam rastete in Paris aus, war zwei Jahre von der Bildfläche verschwunden, um sich nun, in der Themse-Metropole, seinen dritten Michelin-Stern zu erkochen. Und zwar wieder ohne Rücksicht auf Verluste.
    "Wir können also weiter kochen und interessant sein. Aber bei mir sollen sich die Leute vor Verlangen verzehren."
    Kinotaugliches Koch-Credo. Ohne Frage. Aber "Im Rausch der Sterne" schwelgt nicht in schönen Bildern sinnlicher Speisen wie Jon Favreau zuletzt in "Kiss the Cook", sondern zeigt einen durchgeknallten Küchenchef, der Tag für Tag zwischen Genie und Wahnsinn inklusive Gewalttätigkeit pendelt. Aber wie ein Konkurrent-Koch meint:
    "Du bist der Beste. Du führst uns andere in Gefilde, ohne die wir ohne dich niemals kommen würden."
    Das großartige Ensemble - Bradley Cooper, Sienna Miller, Omar Sy, Daniel Brühl, Alicia Vikander, Uma Thurman und Emma Thompson - schützt diesen Film nicht davor, am Ende dann doch alles offensichtlich wieder schön machen zu müssen. Aus dem cholerischen Genie, das eigentlich immer nur ein guter Mensch war, auch wenn er prügelte, wird ein guter Mensch. Am Ende hat makabererweise der Zweck die Mittel geheiligt. Weil wir Bradley Cooper eben alles verzeihen mögen.
    "Im Rausch der Sterne" von John Wells - annehmbar.
    Wie könnte aber nun all dieses Leid, die Gewalt, nicht nur die, die Personen ausüben, sondern auch die, die in den Institutionen sich zeigt und dort Menschen angetan wird, wie könnte all das geheilt oder zumindest gelindert werden? Durch Musik, sagen einige. Vielleicht. Nun ist hier jetzt nicht die Rede von dem schönen, rhythmischen, herrlich durchgeknallten Dokumentarfilm über die Ursprünge des deutschen Hip-Hop mit dem Titel "Blacktape" - wo man übrigens am Ende nicht genau weiß, ob das eine "echte" oder gefakte Doku ist -, [...]
    "Blacktape" von Sékou Neblett - herausragend.
    "[...] nein, hier ist jetzt die Rede Händel, [...]
    Händel und sein "Messias" in der schwedischen-Provinz-Variante in Kay Pollaks Fortsetzung seines Kinoerfolges "Wie im Himmel", die den Titel "Wie auf Erden" trägt. Der verstorbene Dirigent aus dem ersten Teil hat seine schwangere Geliebte zurückgelassen sowie eine Kirche ohne Publikum und ohne Hoffnung. Lena, Musikerin und junge Mutter schafft es aber, wieder Leben in die Gemeinde zu bekommen. Mit all ihre sprühenden Energie reißt sie sich quasi die "Messias"-Aufführung in der Kirche gegen alte Feinde, Geliebte und Widersacher unter den Nagel. Frida Hallgren spielt Lena als Alltagsheldin, die alle Probleme weg lacht und gute Laune verströmt, dass es ... einfach nicht auszuhalten ist, weil es unnatürlich, gekünstelt, gespielt wirkt.
    "Wie auf Erden" von Kay Pollak - ärgerlich.