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Absurdes Theater, Familienfilm und eine Schmonzette

In dieser Woche läuft die mehr als seltsame Komödie "Über-Ich und Du" von Benjamin Heisenberg an. In der Schweizer Familiengeschichte "Rosie" geht es um den Umgang mit pflegebedürftigen Eltern und "Labor Day" von Jason Reitman erzählt eine weniger gelungene Liebesgeschichte an einem Sommertag in den 1980er-Jahren.

Von Jörg Albrecht | 07.05.2014
    Gattlin Griffith (l.), Kate Winslet, Josh Brolin und Regisseur Jason Reitman posieren vor der Pressekonferenz zum Film "Labor Day" auf dem 38. internationalen Film-Festival im kanadischen Toronto am 07.09.2013.
    Gattlin Griffith (l.), Kate Winslet, Josh Brolin und Regisseur Jason Reitman haben den Film "Labor Day" auf dem internationalen Film-Festival im kanadischen Toronto vorgestellt. (dpa picture alliance / Hubert Boesl)
    "Ich bin gekommen, um dich zu retten, Adele. ..."
    Filme, in denen solche Sätze fallen, sind eine Steilvorlage für Zyniker. Und von diesen Sätzen gibt es in „Labor Day", der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Joyce Maynard, eine Menge.
    " ... Ich kann nicht. Ich kann dir keine Familie schenken. – Das hast du doch schon. ..."
    Ja, die Spötter haben leichtes Spiel bei dieser Liebesgeschichte zwischen einem entflohenen Häftling und einer von ihrem Ehemann verlassenen und seither von Depressionen geplagten Frau. An einem Sommertag in den 1980er-Jahren – kurz vor dem Labor Day-Wochenende – zwingt der verletzte Frank auf der Flucht vor der Polizei Adele und ihren 13-jährigen Sohn, ihn in ihrem Haus zu verstecken. Da von Frank nicht in einer einzigen Sekunde Gefahr ausgeht, er – im Gegenteil – sogar eine hilfsbereite Seite zeigt, macht die Geschichte aus ihm einen Verbrecher zum Verlieben. Der repariert nicht nur das Haus, sondern gleich auch noch das gebrochene Herz von Adele.
    "Nachdem dein Vater gegangen war, dachte ich, ich würde für immer allein bleiben. Ich hätte nie gedacht, dass mich je wieder jemand interessieren könnte. – Das freut mich für dich. ..."
    Patrouillierende Polizeiautos und Nachbarn, die vorbeischauen, wollen für vordergründige Spannungsmomente sorgen, um von einer völlig unglaubwürdigen Geschichte abzulenken. Und die frisch Verliebten schmieden bereits Pläne für einen Neuanfang in Kanada.
    " ... Kanada? – Dieselbe Sprache. – Und man braucht keinen Pass, um über die Grenze zu kommen. – Wir haben entschieden zusammen zu gehen. – Werde ich dich je wiedersehen? ... Was?! Wir gehen doch zusammen."
    Nun könnten die Darsteller eine Schmonzette wie diese retten. Immerhin wird das Liebespaar von Kate Winslet und Josh Brolin gespielt. Aber beide sind hoffnungslos verloren in ihren schlecht geschriebenen, schablonenhaften Rollen. "Labor Day" sollte nach einer Reihe kluger Komödien wie "Juno" und "Up in the Air" der erste ernste Film von Regisseur und Drehbuchautor Jason Reitman sein. Wirklich ernst nehmen kann man ihn allerdings nicht.
    "Labor Day": enttäuschend.
    "Das ist der Ferrari unter den Platon-Übersetzungen. Und dann sind wir quitt. – Quitt? Du träumst ja, mein Lieber! ..."
    Nick Gutlicht vereint sämtliche Eigenschaften, die einen Hallodri ausmachen. Mit Gaunereien – Gutlicht verkauft illegal erworbene Buchraritäten – hält er sich über Wasser. Als Geldeintreiber hinter ihm sind, will er sich für einige Zeit in einer vermeintlich leeren Villa am Starnberger See verstecken. Der Besitzer des Hauses allerdings – Curt Ledig, die Psychologie-Koryphäe mit zweifelhafter Vergangenheit – ist noch da. Dank einer Verwechslung wird Gutlicht als Ledigs Aufpasser engagiert. Zwei Männer, die verschiedener nicht sein könnten, bilden eine Zweckgemeinschaft. Gutlicht hat Ruhe vor seinen Gläubigern, Ledig vor lästigen Angehörigen. Außerdem entpuppt sich der Gast als höchst interessantes Studienobjekt für den Psychologen.
    "Ich fühle mich wie der letzte Dreck. Sie sind der Gangster. Und ich will jetzt wissen, wie Sie mich wieder ins Lot kriegen. – Was habe ich denn mit Ihnen gemacht? ... Dieser Assoziationsquatsch. – Ich hätte nie gedacht, dass Sie so gut darauf reagieren. Und Sie wollen weitermachen. Das ist sehr gut. ..."
    Einen mehr als seltsamen Film hat Benjamin Heisenberg mit "Über-Ich und Du" gedreht. Georg Friedrich und André Wilms in den Rollen von Gutlicht und Ledig führen hier absurdes Theater auf, dessen komische Note sich nicht zwingend erschließt. Der Freuds Psychoanalyse entlehnte Begriff vom Über-Ich verweist auf den moralischen Kontext der Geschichte. Nur weil sich beide Figuren aneinander abarbeiten, sind sie in der Lage, ihr Gewissen zu hinterfragen und ihre eigene Identität zu begreifen. Auf dem Weg dorthin dürfte ihnen allerdings der eine oder andere Zuschauer abhanden kommen.
    "Über-Ich und Du" - zwiespältig.
    "Die behandeln mich da wie ein Baby. Jetzt hat sie auch noch mit dem Rauchen aufgehört. – Wer? Sophie? – Ja. Sie ist unerträglich. ..."
    Leicht ist es nicht mit Rosie. Seit ihrem Schlaganfall ist Sohn Lorenz und Tochter Sophie klar: Jemand muss sich ab sofort um Mutter kümmern, denn die Unterbringung in einem Heim lehnt Rosie vehement ab. Weil Sophie mitten in einer Ehekrise steckt, ist Lorenz gefordert. Der Schriftsteller, der seit Jahren in Berlin lebt, kehrt vorübergehend in sein Schweizer Heimatdorf zurück, um sich um seine Mutter zu kümmern.
    "Ich habe das Gefühl, ich hätte was gutzumachen. ..."
    Der Schweizer Filmemacher Marcel Gisler nutzt das große Thema der pflegebedürftigen Eltern als Ausgangspunkt für einen Blick auf innerfamiliäre Konflikte und lange verborgene Geheimnisse, die Vergangenes plötzlich in einem anderen Licht erscheinen lässt. Es geht um Bindungsängste und das Recht auf Selbstbestimmung. Obwohl Gisler immer nah dran ist an seinen durchaus authentischen Figuren, wollen sie einem nicht so recht ans Herz wachsen. Eine solche Nähe will erst einmal ausgehalten werden, kann sie doch hin und wieder unangenehm sein.
    "Rosie" - akzeptabel.