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Das Beste kommt zum Schluss

Von einem Vater, der seinen Sohn wiederfindet, handelt das Drama „Atlas“. Seinen größten Coup plant ein betagter Meisterdieb in der Krimikomödie „Ein letzter Job“. Und in der Doku „Tea with the Dames“ erzählen vier britische Schauspiellegenden aus ihrem Leben.

Von Jörg Albrecht | 24.04.2019
Drei alte Männer gucken durch ein gesprengtes Loch
Der Genre-Mix einer Kriminalkomödie: Szene aus "Ein letzter Job" von James Marsh (imago stock&people)
"Das ist euer neuer Kollege."
"Hallo, ich bin Moussa."
"Das ist Mirko, Henning, Thorsten, Marc. Das ist Walter. Lass dich von seinem Alter nicht täuschen! Der schleppt mehr weg als die ganzen Pappnasen hier zusammen."
Nicht nur täglich in seinem Job als Möbelpacker - auch sprichwörtlich trägt Walter die Last auf seinen Schultern. Somit erklärt sich der Filmtitel "Atlas", den der Berliner Filmemacher David Nawrath für sein Debüt gewählt hat, praktisch von selbst. Diese Bedeutungsschwere spiegeln aber glücklicherweise nur der Titel und ein Dialog, in dem Walter mit der folgenden Erkenntnis aufwartet.
"Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Jeder lädt sich seine Last selber auf. Und jeder muss sie auch selbst tragen."
Frei von prätentiösen Momenten
Ansonsten ist David Nawaraths Kinoerstling frei von prätentiösen Momenten. Rainer Bock spielt den 60-jährigen Walter, der für ein Unternehmen arbeitet, das Zwangsräumungen erledigt. Als ihn ein neuer Auftrag zu einem Mieter führt, der sich erfolgreich gegen die Räumung zur Wehr setzt, erkennt Walter in dem jungen Mann seinen Sohn Jan. Der war noch ein kleiner Junge, als Walter nach einem Vorfall der Kontakt zu ihm untersagt wurde. Da sich Jan mit Männern angelegt hat, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, damit ein Haus komplett entmietet wird, erwacht in Walter der Beschützerinstinkt. So eilt er seinem Sohn zu Hilfe, als dieser von zwei Männern angegriffen wird.
"Wohnst du hier in der Nähe, Walter?"
"Sossenheim."
"Was hat Sie gestern Abend eigentlich hierhergebracht?"
"Ich wollte meinen Sohn besuchen."
Noch ahnt Jan nicht, dass er damit gemeint ist. Die Geschichte der Annäherung von Vater und Sohn entwickelt sich fast beiläufig zu einem kraftvollen Thriller. Denn Walter würde alles für seinen Jungen tun. Diesmal wird er für Jan da sein.
David Nawraths Film besticht nicht nur durch eine genaue Milieuschilderung und eine subtile Charakterzeichnung. Er ist auch spannend. Sein leise nuanciertes Spiel sollte Rainer Bock in gut einer Woche einen Deutschen Filmpreis einbringen.
"Atlas": empfehlenswert
"Das kleine rote Licht – warum blinkt das? Geht jetzt irgendwo ein Signal hin? Hast du einen Vorschlag, was wir dagegen machen können?"
Die kriminelle Energie betagter Herren scheint Filmemachern derzeit besonders am Herzen zu liegen. Nach Clint Eastwood und Robert Redford ist Michael Caine bereits der dritte Schauspielveteran in der Rolle eines Mannes, der mit dem Gesetz in Konflikt gerät. Sein Brian Reader hat vor vier Jahren britische Kriminalgeschichte geschrieben. Als Kopf einer Gang – bis auf eine Ausnahme sind alle Männer über 60 – hat Reader Diamanten im Wert von 200 Millionen Pfund gestohlen.
Seniorenausgabe von "Ocean's Eleven"
Schon die Filmmusik gibt vor, dass "Ein letzter Job" von James Marsh elegant, spannend und auch ein bisschen komisch sein will. Eben eine Seniorenausgabe der "Ocean's Eleven"-Reihe. Doch in diesem Fall geht der Genre-Mix Kriminalkomödie nicht auf: Die Inszenierung ist träge, die Figuren bleiben blass und der Humor über Altersleiden ist viel zu platt. Schade um Michael und seine Spießgesellen!
"Ein letzter Job": enttäuschend
"Ken! Ken!"
"Was?"
"Der ist taub wie eine Nuss."
Apropos Taubheit: Wir bleiben auf der Insel und bei der Schauspielergeneration, zu der auch Michael Caine zählt.
"Wie ist es mit dem Altwerden? Sie wirken alle so jung."
"Altwerden ist scheiße, Roger."
"Wer trägt hier kein Hörgerät?"
"Besorg dir eins! Du musst dir eins besorgen, Judi."
Die vier Teilnehmerinnen der munteren Gesprächsrunde gehören zum Besten, was das Theater und das Kino Großbritanniens in den letzten 60 Jahren hervorgebracht hat: Regisseur Roger Michell lässt Judi Dench, Maggie Smith, Joan Plowright und Eileen Atkins über sich, ihre Freundschaft und ihre Karrieren sprechen. Zwei Tage lang hat er die vier Schauspielerinnen gefilmt.
"Ich würde gern damit anfangen, wie Sie sich das erste Mal begegnet sind. Judi, können wir mit Ihnen anfangen?"
"Oh Gott, ja. Aber kann sich noch irgendjemand daran erinnern? Also, ich glaube unsere erste Begegnung war etwa 1958."
Nicht aufs Altenteil abschieben lassen
Viele der Anekdoten drehen sich um Erlebnisse mit ihren berühmten männlichen Kollegen, die am Set und auf der Bühne wahre Platzhirsche waren. So hat zum Beispiel jede ihre Erfahrungen mit Laurence Olivier gesammelt - insbesondere Joan Plowright, die obendrein mit Olivier verheiratet war. Es ist amüsant den vier Damen dabei zuzuhören, wie sich keine aufs Altenteil abschieben lassen will und sie immer noch augenzwinkernd ihren Konkurrenzkampf kommentieren.
"Ich habe keine Lust aufzuhören."
"Wenn wir gefragt werden, arbeiten wir bis in alle Ewigkeit weiter."
"Du wirst immer als Erste gefragt, wenn ich das mal sagen darf."
"Willst du mich jetzt anmachen?"
"Ich mache dich jetzt an. Es kommt alles auf den Tisch."
Ein wenig fehlt es "Tea with the Dames" an Struktur und einer ordnenden Hand. Denn Regisseur und Interviewer Roger Michell überlässt seinen Protagonistinnen das Feld in dieser originellen Vierfach-Filmbiografie. Und Tee übrigens wird keiner getrunken.
"Tea with the Dames – Ein unvergesslicher Nachmittag": akzeptabel