Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Neue Filme: "Das Haus auf Korsika", "Hasta la Vista" und "Babycall"

In seinem Film "Das Haus auf Korsika" erzählt der belgische Filmemacher Pierre Duculot von einer Landliebe mit Widerständen. Ebenfalls aus Belgien: "Hasta la Vista", ein Roadmovie über ein Männertrio mit Handicap. Und in "Babycall" spielt der schwedische Shooting-Star Noomi Rapace eine traumatisierte Mutter, die ihr Kind panisch vor dem Leben zu schützen sucht.

Von Hartwig Tegeler | 11.07.2012
    Wenige Worte ...

    "Hiermit verfüge ich ..."

    ... und der Belgierin Christina gehört das alte Haus ihrer Großmutter auf Korsika. Da, ganz weit weg von allem, meint ein Einheimischer lakonisch im letzten Dorf vor der Einsamkeit:

    "Uuh, am Arsch des Wolfs!"

    Und dann steht Christina vor einem heruntergekommenen Gehöft:

    "Da wären wir! Il Palazzo! - Sind Sie sicher, dass es da ist."

    In seinem Film "Das Haus auf Korsika" erzählt der belgische Filmemacher Pierre Duculot von einer, wenn man so will, "Landliebe" mit Widerständen. Vom ersten Schock über die Einsamkeit und die verzweifelten Versuche, das heruntergekommene Haus - Nichts mit Landhausidylle! - wieder fit zu bekommen, bis zum Moment, in dem sich Liebe herstellt zu dem, was da ist in den einsamen korsischen Bergen:

    "Es ist wunderschön hier. Ich habe schon einen Freund. Nein, Marco, es ist ein Hund."

    Pierre Duculot zeigt eine Frauenfigur, die gegen alle Widerstände um das Recht auf ein eigenes Leben pocht.

    "Das Haus auf Korsika" - empfehlenswert.

    "Hasta la Vista" von Geoffey Enthoven

    Christina ist in ihrer sympathischen Sturköpfigkeit Philip, Lars und Jozef in einem anderen belgischen Film durchaus verwandt: in "Hasta la Vista!". Bei den drei jungen Männern geht es allerdings nicht um ein Haus inmitten einer majestätischen Natur, sondern um ihren drängenden Wunsch, ihre sexuelle Unschuld zu verlieren.

    "Hast du jemals mit einer Frau geschlafen, Jozef?"

    Hat Jozef nicht, denn für ihn, den Blinden, und seine beiden querschnittsgelähmten Freunde ist das mit dem Sex alles andere als einfach. Und deswegen machen sie sich auf nach Spanien in ein Bordell der besonderen Art:

    "Ein Luxus-Hurenhaus extra für Jungs wie uns."

    Regisseur Geoffrey Enthoven nimmt das sexuelle Bedürfnis der drei behinderten jungen Männer als natürlich wie selbstverständlich; deswegen ist seinem Film "Hasta la Vista" jede Peinlichkeit fremd. Und da der Weg das Ziel ist - im Roadmovie sowieso -, wird die Reise von Philip, Lars und Jozef inklusiver zweier Rollstühle und einem Blindenstock am Ende von Liebe, Vertrauen, Solidarität, einem unbedingt verdienten Geschlechtsakt und dem Wunsch nach Selbstbestimmung handeln.

    "Hasta la Vista" von Geoffey Enthoven - sehr empfehlenswert.


    "Babycall" von Pål Sletaune

    Das erste Bild in "Babycall", eine Frau, tot auf dem Gehweg. Dann eine Rückblende. Anna - gespielt von Noomi Rapace - zieht mit ihrem Sohn Anders in eine Hochhaussiedlung am Rand von Oslo.

    "Laut Gerichtsbeschluss erfährt er nicht, wo Sie wohnen."

    Als die aus der Jugendbehörde weg sind, schließt die junge Mutter als Erstes die Vorhänge. Als könne sie die Erinnerung an die Ehe aussperren, in sie und Anders misshandelt wurden.

    "Anders? Anders, du weißt, dass du nicht raus sollst."

    Doch Angst bleibt Annas ständiger Begleiter.

    "Du willst bei mir schlafen, stimmt's?"

    "Babycall" erzählt von einer traumatisierten Mutter, die ihr Kind panisch vor dem Leben zu schützen sucht. Traurigkeit und Melancholie liegen wie ein grauer Schleier über dem ganzen Film. Wobei ihr Sohn Anders von all dem merkwürdig unberührt scheint. Am Ende werden wir wissen, warum. "Babycall" ist auch ein Sozialdrama über familiäre Gewalt. Wenn nun aber der Schrecken der Realität übermächtig wird, weiß das Kino einen Ausweg: Die Realität schafft sich im Übersinnlichen wie Unheimlichen den Gegenentwurf. Dass sich dieser Ausweg meist als tödliche Sackgasse erweist, diese Kinolektion haben wir gelernt bei David Lynch, M. Night Shyamalan, bei Polanski, in Kubriks "Shining", bei Hitchcock, und wir lernen sie jetzt neu beim Pål Sletaune in "Babycall". Was Realität ist, wird hier immer ungewisser, unzuverlässiger.

    "Ich sehe Dinge, von denen ich weiß, dass sie nicht wahr sind. Und zwar jeden Tag."

    Ist Anders' Freund aus der Schule real? Wieso ist im Wald mal ein See, mal an der gleichen Stelle ein Parkplatz? - Am Ende wirkt die Auflösung der surrealen Geschichte zugeben überzogen und nicht unbedingt nachvollziehbar. Doch das ändert erstaunlicherweise nichts an der intensiven Nachwirkung dieses Films. Der Grund liegt schlicht in Noomi Rapace. Ihre Darstellung zeichnet die traumatisierte Mutter auf beklemmende Weise als gequälte Kreatur, der die Realität entschwindet und deren Leben in totaler Einsamkeit wie versiegt.

    "Babycall" von Pål Sletaune - empfehlenswert.