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Demaskiert

Von einem Schwulen, der nach seinem Outing in ein "Therapieprogramm" gesteckt wird, von einer erfolglosen Autorin, die Briefe fälscht, und von einem Strippenzieher in der Politik erzählen die drei Filmbiografien "Der verlorene Sohn", "Can You Ever Ever Forgive Me?" und "Vice – Der zweite Mann".

Von Jörg Albrecht | 20.02.2019
Can you ever forgive me REDAKTIONELLE NUTZUNG & REDAKTIONELLE BUCHCOVER NUR IM KONTEXT DER FILMBERICHTERSTATTUNG!
Melissa McCarthy spielt in dem Film "Can You Forgive Me?" die Schriftstellerin Lee Israel, die Briefe von Prominenten fälscht. (imago stock&people)
"Ich habe Schluss gemacht mit Chloe. Wir haben Schluss gemacht, weil ich denke, dass es wahr ist. Ich denke an Männer."
Der Leidensdruck lässt es aus Jared herausplatzen. Der 19-Jährige outet sich vor seinen Eltern. Was in seinem Fall besonderen Mut erfordert. Denn Jared lebt nicht nur im sogenannten Bibelgürtel im Südosten der USA, wo der Protestantismus besonders stark vertreten ist. Sein Vater ist auch noch ein Baptistenprediger, für den Homosexualität eine Sünde ist.
"Ich will dir die eine Frage stellen, Sohn, reinsten Herzens – willst du dich ändern?"
Diese Frage ist auch Garrard Conley vor einigen Jahren von seinem Vater gestellt worden. Auf seinem autobiografischen Roman basiert die Geschichte von Jared. Verwirrt von seinen Gefühlen wird der – genau wie damals Conley – die Frage …
"Willst du dich ändern?"
… mit einem "Ja" beantworten. Jared kommt in eine Einrichtung, die eine Reparativtherapie anbietet. Dort soll er seine homosexuellen Neigungen nach und nach überwinden.
Einfühlsames Spiel
"Seht ihr, ich weiß, der Weg hierher war nicht leicht. Für viele von euch. Aber ich verspreche, der Weg wird leichter, jetzt wo ihr hier seid. Denn jetzt begeben wir uns auf eine gemeinsame fantastische Reise. Also wer ist bereit? Sagt Amen! Willkommen beim Erneuerungsprogramm!"
Weder Überdramatisierung noch Schwarz-Weiß-Malerei sind nötig, um die Gehirnwäsche darzustellen, die im Namen Gottes betrieben wird. Die zurückhaltende Regie von Joel Edgerton und das einfühlsame Spiel von Lucas Hedges in der Rolle von Jared sowie der von Nicole Kidman und Russell Crowe verkörperten Eltern beweisen: Weniger ist oft mehr.
"Der verlorene Sohn": empfehlenswert
"Diese eine Zeile hier war besonders clever, finden Sie nicht?"
"Ich liebe es. Er schreibt einfach wundervoll. Und Dorothy Parker mag ich auch. Hintergründiger Humor, wissen Sie?"
"Hintergründiger Humor ist meine Religion."
"Ich kriege so was nicht hin. Sie können das auf jeden Fall."
Was die Frau aus dem Antiquariat nicht ahnt: Die Kundin, die ihr gerade einen handgeschriebenen Brief des Schauspielers und Schriftstellers Noël Coward für mehrere hundert Dollar verkauft hat, kann das sogar sehr gut. Denn niemand merkt, dass dieser Brief eine Fälschung ist.
Perfekte Besetzung
Geschrieben hat ihn die New Yorkerin Lee Israel, die vor ihrer kriminellen Karriere Biografien verfasst hat, unter anderem über Katharine Hepburn. Als aber der Erfolg ausbleibt und das Geld knapp wird, kommt Lee auf die Idee, ihr Schreibtalent anderweitig zu vermarkten. Die Antiquariate beißen an, reißen ihr die vermeintlichen Briefe von Persönlichkeiten wie Dorothy Parker oder William Faulkner regelrecht aus den Händen. Bis Lee ins Visier des FBI gerät.
"Das FBI?"
"Die wollten mich verkabeln. Aber das werde ich Ihnen nicht antun. Ich bin einer von den Guten. Und wenn die meine Aussage wollen, werde ich lügen. Aber Sie werden mir 5000 Dollar dafür zahlen."
Wie "Der verlorene Sohn" ist auch "Can You Ever Forgive Me?" von Marielle Heller ein Film der leisen Töne, der dem Understatement den Vorzug gibt. Mit Melissa McCarthy in der Hauptrolle als wenig liebenswerter Misanthropin perfekt besetzt, wird der Film zu einer ganz wundervollen, tragikomischen Charakterstudie.
"Can You Ever Forgive Me?": empfehlenswert
"Ich brauche dich. Und im Moment bist du eine einzige vollgepisste, träge Null."
Worte von Lynne Cheney irgendwann in den 1960er-Jahren an ihren Ehemann Dick. Der wird später einmal Verteidigungsminister, Stabschef im Weißen Haus und von 2001 bis 2009 Vizepräsident unter George W. Bush sein.
"Ich will Sie als meinen Vize. Sie sind die Lösung für mein Problem."
"Vielleicht könnte ich mich ja mit einigen der profaneren Aufgaben befassen: die Verantwortung für die Verwaltung, den militärischen Apparat, Energie- und Außenpolitik."
"Das klingt gut."
Charakteren werden Karikaturen
Regisseur Adam McKay hat dem Machtpolitiker Dick Cheney einen Film gewidmet, der eine satirische Filmbiografie sein möchte, daran aber kläglich scheitert. So als wisse er nur zu genau, dass sein wenig charismatischer Protagonist schwerlich einen ganzen Spielfilm tragen kann, hat McKay die über zwei Stunden mit allerlei inszenatorischem Klimbim und platter Symbolik aufgemotzt. So montiert er in die Dialogszenen mal einen Angler, mal ein jagendes Raubtier. Oder wir hören im gesamten Film als Erzählerstimme das Unfallopfer, dem Cheney später sein Spenderherz verdanken wird.
McKays plakative Inszenierung mit einem Christian Bale in der Titelrolle, dessen Spiel unter Make-up und Maske fast vollständig begraben wird, macht "Vice – Der zweite Mann" zu einem kolportagehaften Film. Der Regisseur verwechselt Kritik mit Polemik. Aus Charakteren werden Karikaturen. Das Ergebnis ist eine nicht sonderlich amüsante Abrechnung mit der republikanischen Elite im Stil eines Michael Moore. Ein Film mit der Sensibilität eines Vorschlaghammers. Acht Oscar-Nominierungen hin oder her.
"Vice – Der zweite Mann": ärgerlich