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Ein Prozess als Politikum

"Das Mädchen Hirut" erzählt die Geschichte eines Modprozesses in Äthiopien, der sich zum Politikum entwickelt: Denn die Angeklagte ist ein 14-jähriges Mädchen, und der Getötete ist ihr Vergewaltiger. Außerdem neu im Kino: die deutsche Produktion "Von jetzt an kein Zurück" und ein neuer "Cinderella"-Film von Kenneth Branagh.

Von Jörg Albrecht | 11.03.2015
    Mehret Mandefro (l-r), Zeresenay Berhane Mehari, Meaza Ashenafi und Meron Getnet am 15.02.2014 in Berlin während der 64. Internationalen Filmfestspiele zur Abschlussgala und Verleihung der Bären.
    Mehret Mandefro (l-r), Zeresenay Berhane Mehari, Meaza Ashenafi und Meron Getnet am 15.02.2014 in Berlin während der 64. Internationalen Filmfestspiele zur Abschlussgala und Verleihung der Bären. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    "Das Mädchen Hirut" von Zeresenay Berhane Mehari
    "Das Mädchen heißt Hirut Assefa. Sie ist 14 Jahre alt. Und in ihrem Alter hat sie einen Mann erschossen? - So steht es zumindest im Polizeibericht."
    Was allerdings nicht im Polizeibericht steht, zeigt der äthiopische Regisseur Zeresenay Berhane Mehari direkt zu Beginn seines Films "Das Mädchen Hirut". In diesen ersten Minuten sehen wir, wie die 14-jährige Hirut in Notwehr handelt, als sie bei ihrer Flucht vor einer Handvoll Männer zum Gewehr greift und abdrückt. Der Getötete hatte das Mädchen zunächst mithilfe seiner Freunde entführt und später vergewaltigt. Ein in Äthiopien verbreitetes Ritual zum Zweck der Eheschließung.
    Hiruts Geschichte, die sich 1996 in dem ostafrikanischen Land zugetragen hat, erzählt jetzt dieser Film. Die Anwältin Meaza Ashenafi, die in der Hauptstadt Addis Abeba eine Frauenrechtsorganisation gegründet hat, will das Mädchen vor Gericht verteidigen.
    "Wir sind hier wegen Hirut. ... Sie braucht keine Anwältinnen. Sie weiß, was sie getan hat. ... Und dafür bezahlt sie mit ihrem Leben. - Das haben Sie aber nicht zu entscheiden."
    Der Anwältin gelingt es, die Angeklagte gegen Kaution aus dem Gefängnis zu holen. Da der Ältestenrat aus Hiruts Heimatdorf aber beschlossen hat, das Mädchen zu verstoßen, kümmert sie sich selbst um Hirut.
    "Warum sind Sie nicht verheiratet? - Keine Ahnung. ... Sind Sie eine schlechte Frau? ... Haben Sie Schande über Ihre Familie gebracht? - Nein. Das habe ich bestimmt nicht."
    Dass es hier um viel mehr geht als um die Verteidigung eines Mädchens, ist der Anwältin schnell klar. Hiruts Fall wird zum Politikum. Meaza will nicht nur einen Freispruch erreichen. Sie fordert auch, dass das Mädchen wieder in die Gemeinschaft seines Dorfes aufgenommen wird.
    Das Spannungsfeld zwischen jahrhundertealten Ritualen und den Rechten von Frauen ist das große Thema dieses Films, der mit der toughen und kämpferischen Anwältin eine Figur in den Mittelpunkt rückt, wie sie auch Hollywood lieben würde. Das ist bei "Das Mädchen Hirut" absolut kein Makel, denn Regisseur Mehari trägt - im Gegensatz zu seinen Kollegen aus der Traumfabrik - niemals zu dick auf in seinem mitreißenden Film.
    "Das Mädchen Hirut": empfehlenswert.
    "Von jetzt an kein Zurück" von Christian Frosch
    "Ja, aber was liegt vor? - Drohende oder beginnende Verwahrlosung. - Es geht also darum, dass Martin lange Haare trägt und Beatmusik hört. ..."
    Wer sich wie Martin auflehnt und im Unterricht den Freigeist gibt, gilt 1968 als schwer erziehbar. Zumindest in der deutschen Provinz, wo der Film "Von jetzt an kein Zurück" von Christian Frosch spielt. Zusammen mit seiner Freundin Ruby will Martin nach Berlin abhauen. Doch beide landen - voneinander getrennt - in geschlossenen Einrichtungen: Sie in einem katholischen Mädchenheim, er in einer Erziehungsanstalt für Jungen, die einem Arbeitslager gleicht. Die Nonnen wie auch die Erzieher versuchen rigoros, den Willen der Jugendlichen zu brechen. Aber sowohl Ruby als auch Martin werden dem Druck standhalten.
    "Lieber Gott, wenn du meine Zweifel an deiner Existenz zerstreuen möchtest, dann strafe doch bitte diejenigen, die in deinem Namen uns demütigen und uns zwingen, falsches Zeugnis abzulegen. Ein Blitzschlag sollte reichen. ... Zwei Tage ohne Trinken und Essen. Und Schlafen am Boden. ..."
    Bei der Darstellung des Heimalltags, die das Kernstück dieses Films ist, gelingen Regisseur und Drehbuchautor Christian Frosch die stärksten und eindringlichsten Momente. Hier verdichtet sich eine ansonsten eher ziellose und klischeebeladene Erzählung über eine deutsche Jugend im Jahr 1968. Zu oft betreibt dieser überwiegend in Schwarz-weiß gedrehte Film auch nur Schwarz-Weiß-Malerei.
    "Von jetzt an kein Zurück": zwiespältig.
    "Cinderella" von Kenneth Branagh
    "Ella, was ist da in deinem Gesicht? - Es ist Asche aus dem Kamin. ... Aschenella ... Cinderella."
    65 Jahre nach Disneys Zeichentrickklassiker jetzt also "Cinderella" als Realverfilmung. Die Erklärung der Namensherkunft betont bereits, dass sich der Film nicht an den Aufzeichnungen der Gebrüder Grimm orientiert. Er erzählt das Märchen in der französischen Version von Charles Perrault. Somit darf in der Verfilmung von Kenneth Branagh auch die gute Fee nicht fehlen.
    "Fast hätte ich es vergessen: Bitte bedenke, dass mein Zauber nicht ewig anhält. ..."
    Wir hören und staunen: Da gibt es keine ironische Brechung, keine moderne Umdichtung und auch keine fantastischen Elemente, wie sie seit dem Erfolg der Mittelerde-Epen üblich geworden sind. Nein - diese "Cinderella"-Verfilmung ist quasi werkgetreu und gleichzeitig dem Geist des alten Trickfilms verpflichtet. Das ist eine wahre Wohltat angesichts der immer gleichen, mit Computereffekten zugemüllten Fantasy-Abenteuer, die zuletzt auch die Märchenwelten geplündert haben.
    "Haben wir etwa jemanden vergessen? ..."
    Ach ja! Die hinreißende Cate Blanchett als böse Stiefmutter krönt diese rundum gelungene Märchenverfilmung.
    "Wie charmant! Wirklich außerordentlich charmant."
    "Cinderella": empfehlenswert.