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Frühlingsgefühle im Herbst

Eigentlich ist es eine Liebesgeschichte, wie sie das französische Kino schon oft erzählt hat. Doch Regisseur Sébastien Betbeder gelingt in "2 automnes 3 hivers - 2 Herbste 3 Winter" ein origineller, frischer Blick auf das Paarleben. Ebenfalls diese Woche neu im Kino, aber weniger originell: das Road-Movie "Nebenwege" von Michael Ammann und das engagierte Biopic "Wüstentänzer".

Von Jörg Albrecht | 02.07.2014
    Arman (Vincent Macaigne) und Amélie (Maud Wyler) in "2 Herbste, 3 Winter"
    Arman (Vincent Macaigne) und Amélie (Maud Wyler) in "2 Herbste, 3 Winter" (déjà-vu film)
    "Wüstentänzer" von Richard Raymond
    "Mein Name ist Afshin Ghaffarian. Ich bin iranischer Staatsbürger. Ich bin Tänzer. Und meine Regierung verweigert meinem Volk die Freiheit. "
    Mit diesem Bekenntnis unterbricht ein junger Mann die Theateraufführung seiner iranischen Schauspielgruppe, die zu einem Gastspiel nach Paris eingeladen worden ist. Es ist die Schlussszene im Film "Wüstentänzer". Eine Szene, wie fürs Kino gemacht. Dass sie sich ganz ähnlich vor fünf Jahren zugetragen hat - nur in Mülheim an der Ruhr statt in Paris -, macht sie jetzt im Film allerdings nicht weniger manipulativ. Wie überhaupt der britische Regiedebütant Richard Raymond alles daran setzt, in seiner Filmbiografie über den Tänzer Afshin Ghaffarian große melodramatische Kinomomente zu schaffen. Dabei hätte er gut daran getan, die bewegende Geschichte des jungen Iraners, der schon als kleiner Junge vom Tanzen fasziniert ist, für sich sprechen zu lassen.
    Obwohl Tanzen seit Gründung der Islamischen Republik 1979 unter Strafe steht, lässt sich Afshin nicht von seinem Traum abbringen. Als er an der Teheraner Universität zu studieren beginnt, findet er Anschluss an die alternative Studentenszene.
    "Hey Leute, ich habe mir überlegt, ich mache eine Tanzgruppe auf. Tanzen ist illegal. - Es ist nicht illegal. Nicht grundsätzlich. ... Du willst mit uns ehrlich eine Tanzgruppe gründen? - Ich will, dass wir unser Leben selbstbestimmen."
    Während Afshin für seine Identität und die künstlerische Freiheit kämpft, geraten er und seine Kommilitonen immer mehr in den Fokus der iranischen Moralwächter.
    "Du bist also Künstler? Den müsst ihr kunstvoll schlagen."
    Direkt im Vorspann des Films ist zu lesen, dass Persien Geburtsort großer Dichtkunst und der ersten Charta der Menschenrechte war und heutzutage das Regime die freie Meinungsäußerung verhindert. Nachdruck und Rührseligkeit werden in "Wüstentänzer" großgeschrieben. Die Geschichte von Afshin ist gewiss eine bewegende. Aber sie hätte eine subtilere, weniger plakative Verfilmung verdient gehabt.
    "Wüstentänzer": zwiespältig
    "Nebenwege" von Michael Ammann
    "Wo ist eigentlich die Oma? - Die musste noch mal schnell weg. - Wohin? - Ich habe auch nicht ganz kapiert, was sie meint. Irgendwas von Kranken und Beten und einer Madonna. - Die Schwarze Madonna ist in Altötting. - Genau. In Altötting hat sie gesagt. - Altötting ist 100 Kilometer weit weg."
    Seine Mutter, die ins Seniorenheim soll, ist ausgebüxt, die 14-jährige Tochter schon den ganzen Tag schlecht gelaunt und zu allem Überfluss geht es auch noch auf der Arbeit drunter und drüber. Architekt Richard gibt sich wirklich allergrößte Mühe nicht auf der Stelle zu explodieren.
    "Bitte Mama, steig ein jetzt! - Ich steige nicht ein. Du fährst mich bloß weg. - Mama, ich mache dir ein Angebot: Du steigst jetzt ein und dann fahren wir nach Altötting. - Ich will nach München. Jetzt. ..."
    Regisseur Michael Ammann schickt sein von Roeland Wiesnekker, Christine Ostermayer und Lola Dockhorn gespieltes Trio auf eine besondere Pilgerreise durch die bayerische Provinz. "Nebenwege" erzählt von der Zusammenführung einer Familie, die über die Jahre sprachlos geworden ist. Das hat seine komischen und berührenden Momente, bewegt sich aber meist auf den ausgetretenen Pfaden eines typischen Road Movies. Ein Film mit dem Herz am rechten Fleck, dem ein paar mehr skurrile Einfälle und Figuren sicher nicht geschadet hätten.
    "Nebenwege": akzeptabel
    "2 automnes 3 hivers - 2 Herbste 3 Winter" von Sébastien Betbeder
    Es ist Samstag. Arman, Anfang 30, joggt durch den Park. Amélie macht dasselbe. Weil Arman von der Sonne geblendet wird und Amélie ihren Blick auf den Boden gerichtet hat, stoßen die Beiden zusammen:
    Nachdem sie sich gegenseitig nach ihrem Wohlbefinden erkundigt haben, richtet Amélie ihren Blick in die Kamera und sagt: "Ein blödes Gespräch." Woraufhin er ergänzt: "Ja, wirklich blöde und nichtssagend. - Aber so fing es an."
    Der Anfang einer Liebesgeschichte, wie sie schon unzählige Male erzählt wurde. Vor allem im französischen Kino. Doch Autorenfilmer Sébastien Betbeder findet eine originelle Form für seinen von den Regisseuren der Nouvelle Vague inspirierten kleinen Film. Betbeders in zahllose Kapitel unterteilte Geschichte - manche davon sind nicht mal eine Minute lang - schildert das Kennenlernen, die Annäherung, den Beziehungsalltag. Oft sind es auch nur Erinnerungen an die einzelnen Situationen, von denen entweder Arman oder Amélie berichten. Und das häufig direkt in die Kamera, die so zum Komplizen wird. Für die Protagonisten wie für die Zuschauer im Kino.
    Dass nicht der Inhalt, sondern die Form diesen Film dominiert, ist dennoch kein Hindernis für humorvolle wie berührende Momente wie dem des ersten Kusses, während im Hintergrund ein Song der Fleet Foxes läuft.
    "2 automnes 3 hivers - 2 Herbste 3 Winter" läuft in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln: empfehlenswert