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Neue Filme im Kino
Die Magie der Kunst

Wie erzählt man im Kino von der Innenwelt eines Künstlers und Bühnenstars? Man muss ihm jedenfalls sehr nahe kommen. Das gelingt sowohl in der Doku "20.000 Days on Earth" über den Musiker Nick Cave als auch in "Arteholic" über den Schauspieler und Kunstliebhaber Udo Kier.

Von Josef Schnelle | 16.10.2014
    "20.000 Days on Earth": Der Musiker Nick Cave steht bei der Berlinale zwischen Produzent Iain Forsyth und Regisseurin Jane Pollard.
    "20.000 Days on Earth": Der Musiker Nick Cave steht bei der Berlinale zwischen Produzent Iain Forsyth und Regisseurin Jane Pollard. (AFP PHOTO / PATRIK STOLLARZ)
    "Meistens schreibe ich irgendetwas. Manchmal tippe ich Tag und Nacht ohne Unterbrechung. Doch wenn ich lange genug innehalte, um mich zu fragen, was ich eigentlich tue und warum, dann fällt's mir schwer zu sagen. Ich weiß es einfach nicht. Es ist eine ganze Welt, die ich erschaffe."
    Ein Mann sitzt an einer altertümlichen Schreibmaschine. Ein Blatt Papier ist eingespannt. Er hämmert auf die Tasten. Aus dem Off kommt die Stimme des Popmusikers und Künstlers Nick Cave. Er philosophiert über sich und seine Arbeit. 20.000 Tage, rechnet er den Zuschauern vor, ist er schon auf der Erde. Und so heißt dieser Dokumentarfilm-Essay von Ian Forsyth und Jan Pollard auch: "20.000 Days on Earth".
    Eigentlich sollten die beiden Filmemacher nur Material für die Vermarktung des neusten Albums der Band "Nick Cave and The Bad Seeds": "Push the Sky Away" drehen. Doch die Beobachtungen während der Studioaufnahmen wuchsen sich mit Gesprächen zum Hintergrund des schöpferischen Prozesses beim Verfassen von Liedtexten und beim Komponieren zu einem immer komplexeren Filmprojekt aus.
    Cave arbeitete auch an den inszenierten Teilen des Films mit. Im Gespräch mit dem Psychoanalytiker Darian Leader enthüllt er biografische Details wie den für ihn sehr prägenden frühen Tod seines Vaters. Und in gemeinsamen Autofahrten mit Weggefährten wie zum Beispiel der Sängerin Kylie Minogue repetiert der Popsänger die Stationen seiner Karriere.
    Im Grunde ist der Film ein Selbstporträt, das der Porträtierte selbst in Auftrag gegeben hat. Vom Verdacht der vordergründigen Eigenwerbung macht sich Cave aber schnell frei, weil er erstens die Filmemacher sehr nah an sich heran lässt und weil er zweitens ihren Versuchen der künstlerischen Überhöhung vorbehaltlos Raum gibt. So entsteht eine wilde, verwegene Bild- und Ton-, Text- und Musik-Collage, die ebenso unterhaltsam wie inspirierend ist. Und das nicht nur für Fans von Nick Cave.
    "Ende des 20. Jahrhunderts habe ich aufgehört, Mensch zu sein."
    "Hast Du Dich jemals als Außenseiter gefühlt?"
    "Gefällt es Dir noch aufzutreten?"
    "Ich lebe dafür. Irgendetwas Seltsames passiert auf der Bühne."
    "Arteholic" zeigt Udo Kiers Liebe zur bildenden Kunst

    Wie erzählt man im Kino über die Innenwelt eines Künstlers und Bühnenstars? Man muss ihm jedenfalls sehr nahe kommen und seine selbstverliebte Show auch irgendwie mitspielen. Das ist auch in Hermann Vaskes Versuch über den Schauspieler Udo Kier und seine Liebe zur bildenden Kunst "Arteholic" nicht anders. Zuallererst ist Kier Selbstdarsteller, ob er nun von seiner rauschhaften Zeit in den 1970ern mit der Andy-Warhol-Clique in New York erzählt, oder ob er mit einem schweigenden Lars von Trier, bei dem er Stammschauspieler ist, Zeitung liest.
    Schauspieler Udo Kier schaut sich im Museum Ludwig in Köln "Die Nase" des Künstlers Giacometti an (undatierte Aufnahme). Der Film "Arteholic" startet am 16.10.2014 in den Kinos.
    Vor allem aber outet er sich als Freund der bildenden Künstler. Er trifft unter anderen Rosemarie Trockel, Jonathan Meese und Marcel Odenbach, flaniert mit ihnen durch Museen und Kunstinstallationen und beteuert seine Leidenschaft für die Kunst. Noch einer ist an Bord: Der Berliner Musiker Blixa Bargeld, der auch im Nick-Cave-Film als dessen langjähriger Gitarrist und Freund schon auftritt. Zusammen mit Teho Theardo steuert er "The Arteholic Suite" bei, den leitmotivisch eingesetzten Song des Films.
    "Hinter den Zähnen, zwischen den Lippen. Die Zunge küsst davor das Wort. Als Drehmittelangelpunkt. Nur zur Erinnerung. Alles muss zurück auf Anfang. Nur zur Erinnerung. Alles muss zurück auf Anfang. Nur zur Erinnerung. Alles muss wieder haut- und haargenau porentief zurück."
    "Arteholic" ist eine durchgeknallte Beschwörung der Magie der bildenden Kunst und auch eine oft alberne One-Man-Show des Udo Kier, der sich in Spielszenen konsequent als Kunstsüchtiger und Besessener darstellt. Stünde nicht ausgerechnet das "enfant terrible" im Mittelpunkt dieses Film, so würde man sich in einem der sattsam bekannten Kunstmagazine des deutschen Fernsehens wähnen, das wenigstens originell zu sein versucht.
    Udo Kier jedoch, liebster Bösewicht selbst internationaler Regisseure, mischt den Laden gehörig auf. Dann hören wir in Andy Warhols Serienbild Elvis Presley als Westernheld eine Pistole abfeuern und Udo Kier wird als unheilbar in den Krankentransport eingeladen. Doch noch einmal brüllt er heraus, was ihm wirklich wichtig ist:
    "Kuunst."