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In völliger Abgeschiedenheit

Ein nahezu verlassenes mazedonisches Dorf ist Schauplatz des Dokumentarfilms "Land des Honigs". In der ländlichen Idylle Norwegens spielt die Romanverfilmung "Pferde stehlen". Eine Rückkehr in das abgelegene Hotel aus "Shining" steht im Horrorthriller "Doctor Sleeps Erwachen" an.

Von Jörg Albrecht | 20.11.2019
Ein Mann guckt durch ein in eine Tür geschlagenes Loch
Ewan McGregor in "Doctor Sleeps Erwachen" von Mike Flanagan (www.imago-images.de)
An einer steilen Felswand entfernt die Mazedonierin Hatidze eine Steinplatte. Darunter befindet sich ein Bienennest. Nur am Kopf geschützt, nicht aber an Armen und Beinen, entnimmt sie behutsam einige Honigwaben. "Wunderbar", sagt sie. Dann wendet sie sich den Bienen zu: "Etwas für euch, etwas für uns. Die Hälfte für dich, die andere für mich."
Spektakuläres Ergebnis
Manchmal braucht es nur einige wenige Einstellungen – und schon hat ein Film einen bezaubert. "Land des Honigs" von Tamara Kotevska und Ljubomir Stefanov ist so ein Film. Er erzählt aus dem Leben einer etwa 50-jährigen Bienenjägerin in der kargen Berglandschaft Mazedoniens. So unspektakulär das Sujet zunächst klingt, so spektakulär ist doch das Ergebnis. Denn angesichts der poetischen Bilder und einem Spannungsbogen, wie ihn sich kein Drehbuchautor besser hätte ausdenken können, kann man kaum glauben, hier einen Dokumentarfilm zu sehen.
In dem verfallenen Dorf leben nur noch Hatidze und ihre bettlägerige Mutter. Dann lässt sich eines Tages auf dem Nachbargrundstück eine Nomadenfamilie nieder.
Womit sie das Rauchgerät befülle, will der Familienvater von Hatidze wissen. Mit getrocknetem Kuhdung, antwortet sie. Ob es auch Honig gebe und wie hoch die Preise seien, fragt er weiter. Da der Verkauf von Honig das schnelle Geld verspricht, werden die Neuankömmlinge zu einer Gefahr für die Bienenjägerin. Das ökologische Gleichgewicht ist bedroht.
Kunstvoll und doch nie prätentiös erzählt "Land des Honigs" eine universelle Geschichte von Ausbeutung und Nachhaltigkeit - und eine ganz persönliche und berührende von Hatizde.
"Land des Honigs": herausragend
Zwei Jungen streifen durch die Wälder Norwegens, wo sie auf einige Pferde stoßen. Trond, einer der Jungen, wird später zu seinem Vater im Scherz sagen, dass er die Pferde habe stehlen wollen. Die Episode, die im Titel des Romans von Per Petterson wie jetzt auch der Verfilmung aufgegriffen wird, schildert eines von Tronds Erlebnissen im Sommer 1948. Daran erinnert sich der mittlerweile 67-Jährige:
"Ich war doch erst 15 Jahre alt. Ein Junge aus der Stadt in den Sommerferien mit meinem Vater."
Vermeintlich tiefgründige Naturaufnahmen
Regisseur Hans Petter Moland überträgt die Erzählstruktur des Romans auf seinen Film. Auslöser für Tronds Erinnerungen ist die Begegnung mit einem Nachbarn an seinem neuen Wohnort. Nach dem Unfalltod seiner Frau hat es den Witwer aufs Land gezogen, wo er jetzt auf seine alten Tage das Leben eines Eremiten führt.
"Auf einmal bin ich mir sicher: Lars ist Lars. Lars, der seinen Bruder erschossen hat."
"Ich weiß, wer du bist."
"Und ich weiß, wer du bist."
In der Rückbetrachtung bekommt der Sommer 1948 eine herausragende Stellung. Die Erlebnisse jener Wochen werden für den 15-Jährigen, der mitten in der Pubertät steckt, prägend sein. Trond wird mit Liebe und Tod konfrontiert und am Ende seinen Vater mit anderen Augen sehen.
Um die Tragweite dieser Themen zu erfassen, hätte es allerdings größerer erzählerischer Kraft bedurft, als sie Hans Petter Moland hier entwickelt. Stattdessen überstrapaziert er die Geschichte mit vermeintlich tiefgründigen Naturaufnahmen.
"Pferde stehlen": zwiespältig
"Als ich ein Kind war, gab es da einen Ort. Einen düsteren Ort."
Die Rückkehr an einen Ort des Grauens verheißt selten etwas Gutes. Nicht für den Protagonisten und oft auch nicht für den Zuschauer. Gerade Fortsetzungen von Horrorstorys erzählen dasselbe einfach ein zweites Mal. Diesen Vorwurf kann man Stephen King im Fall von Doctor Sleep, dem Sequel zu seinem dritten Roman Shining, definitiv nicht machen. Er hat die Geschehnisse im Overlook-Hotel als moderne Vampirgeschichte fortgeschrieben.
"Diese leeren Teufel ernähren sich von dem ´Shining´."
"Ich habe eine solche Macht schon lange nicht mehr gespürt."
Zähe zwei Stunden
Danny Torrance, der kleine Junge, der in "Shining" von Visionen heimgesucht wurde, ist längst ein erwachsener Mann. Er steht im Zentrum der Fortsetzung. Die traumatischen Ereignisse von damals im Overlook-Hotel haben ihn nie losgelassen und zum Alkoholiker gemacht. Seine Gabe, in die Zukunft blicken zu können, ist geblieben.
"Ich weiß nicht, ob es eine Gabe ist. Ich kannte es immer als das ´Shining´."
Zähe zwei Stunden braucht die Verfilmung von Doctor Sleep, um ins legendäre Hotel zurückzukehren. Der Versuch, die ikonografischen Bilder aus Kubricks Film zu neuem Leben zu erwecken, ist ein purer Akt der Verzweiflung. Im Gegensatz zu "Shining" hat diese Fortsetzung kein Geheimnis, keinen Wahnsinn und vor allem hat sie mit Mike Flanagan keinen talentierten Regisseur.
"Doctor Sleeps Erwachen": enttäuschend