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Katastrophenspektakel, Politsatire und ein Callgirl

Der italienische Filmemacher Roberto Andò hat das politische Klima in seiner Heimat zu einer amüsanten Politsatire bewegt: "Viva la libertà" kommt diese Woche in die Kinos. Außerdem startet der neue Film des Iraners Abbas Kiarostami "Like Someone in Love" und ein Mix aus Sandalenepos und Katastrophenspektakel: "Pompeji".

Von Jörg Albrecht | 26.02.2014
    Abbas Kiarostami (2. v. r.) mit seinem Team bei den Filmfestspielen von Cannes
    Abbas Kiarostami (2. v. r.) mit seinem Team von "Like Someone In Love" bei den Filmfestspielen von Cannes (picture alliance / dpa)
    "Mein Name ist Milo."
    Milo ist ein Kelte, der im Jahr 79 von den Römern versklavt und nach Pompeji verschleppt wird. Milo könnte aber auch Jack heißen und 1912 ein Dritte-Klasse-Ticket für die Titanic gelöst haben. Mögen die Schauplätze und die Tragödien, die mit den Namen der antiken Stadt und des Passagierdampfers verbunden sind, auch noch so verschieden sein: Wie "Titanic" erzählt auch "Pompeji" vom mittellosen Burschen, der sich gegen alle Widerstände in ein reiches Mädchen verliebt, das er dann am Ende retten muss.
    "Wir müssen zum Hafen und aufs Meer raus. Sonst wird uns dieser Berg töten. – Sie hat zwei Mal ihr Leben für mich riskiert. Sie hat alles für mich riskiert."
    Ein Katastrophenspektakel mit eingebetteter Romanze und Referenzen an "Gladiator" nimmt seinen Lauf. Während die Tricktechniker den Vesuv Feuer und Asche in 3D spucken lassen, bleiben Handlung und Figuren eindimensional. Originell ist das alles nicht, halbwegs unterhaltsam schon.
    "Pompeji": zwiespältig.
    "Apropos: Da wir gerade von Katastrophen reden, möchte ich auch ein paar Worte zu unserer Partei sagen."
    Ganz anderer Natur sind die Eruptionen, die knapp 2.000 Jahre später den Stiefel erschüttern.
    "Oliveri, weißt du, wieso du da stehst und nichts sagst? Weil nur ein Scheiß aus deinem Mund kommen würde. Es wird Zeit, dass du die Partei verlässt. Verschwinde endlich!"
    Genau das wird Enrico Oliveri auch tun. Über Nacht verschwindet der Vorsitzende der größten italienischen Oppositionspartei. Er setzt sich nach Paris ab, wo er bei einer früheren Geliebten unterkommt. Dabei ist seine Partei gerade im Begriff sich neu aufzustellen, um eine Alternative zur Regierung zu bieten und einen Ausweg aus der Staatskrise. Aber jetzt hat der Kapitän das Schiff verlassen.
    "Vielleicht gibt es da jemanden, der uns helfen könnte. – Und das wäre? – Giovanni. Sein Bruder. – Der Professor. Aber der ist doch ... Nein. Er ist nicht mehr in der Psychiatrie. Er gilt als harmlos."
    Und Giovanni ist bereit, den Platz seines Zwillingsbruders einzunehmen. Eingeweiht sind in diesen tollkühnen Plan nur wenige. Die aber müssen feststellen, dass Giovanni mehr Spaß an seiner neuen Aufgabe hat, als ihnen lieb ist. Denn eines will der Philosophie-Professor auf gar keinen Fall sein: eine Marionette.
    "Halten Sie sich nur an das, was wir besprochen haben. – Worüber soll ich denn sprechen? – Hier ist die Rede. Sie müssen sie nur ablesen. – Ich glaube, ich werde improvisieren."
    Parteigenossen, politische Konkurrenten: Sie alle kommen aus dem Staunen nicht heraus. Denn Oliveri hat sich scheinbar über Nacht zum leidenschaftlichen Redner gewandelt, der Klartext spricht und für Aufbruchsstimmung sorgt. Dass ein ehemals psychisch Kranker den besseren Politiker abgibt, ist eine hübsche Spitze in der Doppelgänger-Komödie und Politsatire "Viva la libertà" von Regisseur und Drehbuchautor Roberto Andò. Hauptdarsteller Toni Servillo gelingt es in seiner Doppelrolle, die Eigenheiten beider Zwillingsbrüder aufzudecken. Der Film darf als amüsanter Weckruf verstanden werden in einem Land, das politisch, ökonomisch, vor allem aber auch geistig-moralisch in den letzten 20, größtenteils von Berlusconi geprägten Jahren gelitten hat.
    "Viva la libertà": empfehlenswert.
    Ob ihr Kunde ein Politiker sei, will die junge Frau wissen. Sie solle keine Fragen stellen und einfach ihren Job machen. Daraufhin brüllt sie ihr Gegenüber an: Sie habe mehrfach gesagt, diesen Job nicht machen zu wollen.
    Direkt die Exposition von Abbas Kiarostamis "Like Someone in Love", in der eine – wie zufällig installierte – Kamera eine mehrminütige Szene in einer Bar filmt, zeigt das Dilemma der Protagonistin auf. Die Studentin Akiko arbeitet nebenbei als Callgirl. Gegenüber ihrem ahnungslosen Freund verstrickt sich Akiko mehr und mehr in Widersprüche. Als dieser auf einen von Akikos Kunden trifft, gerät das Lügengebäude ins Wanken. Aber der Kunde – ein älterer Herr – spielt mit und gibt sich als Großvater aus.
    Was solle sie nur tun? Fragt ihn Akiko. Sich keine Sorgen machen. Antwortet er. Es habe doch gut funktioniert. Und dann stimmt er "Que Sera, Sera" an.
    "Like Someone in Love" ist – nach "Die Liebesfälscher" – Kiarostamis zweiter, außerhalb seiner Heimat Iran gedrehter Film. Schauplatz ist diesmal Tokio. In Form und Inhalt aber unterscheidet sich "Like Someone in Love" nicht vom bisherigen Werk des Iraners. Wieder streift er die Themen Schein und Sein, Offenheit und Verschleierung. Und wieder lässt sich Kiarostami Zeit – sehr viel Zeit, seine Geschichte voranzutreiben. Die reduzierten filmischen Mittel erfordern Geduld. Ohne Geduld nämlich ist der Zuschauer in Filmen von Abbas Kiarostami hoffnungslos verloren.
    "Like Someone in Love" läuft in den Kinos im Original mit Untertiteln: akzeptabel.