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Leben im Rückblick

Blicke zurück nicht im Zorn: Ein Hochstapler lässt seine kriminelle Karriere Revue passieren in „Betonrausch“, ein US-Amerikaner mit taiwanesischen Wurzeln sein ganzes Leben in „Tigertail“ und das Enfant terrible der britischen Musikszene seine Zeit nach Oasis: „Liam Gallagher: As it was“.

Von Jörg Albrecht | 22.04.2020
Sänger Liam Gallagher streckt die Zunge raus
Liam Gallagher in gewohnt genervter Pose - zu sehen in der Dokumentation "as it was" (www.imago-images.de (Courtesy Everett Collection))
"Wir stehen für Sicherheit, Kontinuität und Vertrauen."
Vor allem aber steht diese Immobilienfirma für alle Arten von Betrügereien. Davon ahnen die Kunden natürlich nichts. "Betonrausch" von Cüneyt Kaya ist die deutsche Antwort auf "The Wolf of Wall Street". Der von David Kross gespielte Viktor und Leonardo Di Caprios Börsenmakler sind Brüder im Geiste. Beide stammen aus einfachen Verhältnissen, beide beschließen in jungen Jahren, alles dafür zu tun, um eines Tages in Geld baden zu können. Kein Strafgesetzbuch kann sie aufhalten.
"Korruption, Geldwäsche, Steuerhinterziehung: Würden Sie es noch mal genauso machen?"
"Wahrscheinlich ja."
Unterhaltsamer Blick auf Turbokapitalismus
Da sitzt Viktor nun im Gefängnis und erzählt einer Journalistin aus seinem Leben als Hochstapler. Mit Hilfe von gefälschten Papieren erschleicht er sich in Berlin ein Penthaus, das er an bulgarische Bauarbeiter untervermietet. Als die Sache auffliegt, begegnet er dem Ganoven Gerry, den Frederick Lau spielt.
"Weißt du eigentlich, warum die Bulgaren bei dir eingezogen sind?"
"Weil es billig war."
"Du machst was her."
"Schwachsinn."
"Guck dir die Uhr an! Wie sieht die aus? Wie eine 50-Euro-Uhr. Gib mal deinen Arm! Und schon sieht sie aus wie eine 13.000-Euro-Uhr."
In Anlehnung an "Wolf of Wall Street" könnte man "Betonrausch" leicht als "Welpen von Wedding" abtun. Doch damit täte man einem Film Unrecht, der die Auswüchse des Turbokapitalismus äußerst unterhaltsam mit satirischen Untertönen verziert. Vielleicht etwas oberflächlich, aber dafür mit viel Schwung und Charme.
"Betonrausch" zum Streamen auf Netflix
Es tue ihr leid wegen Oma, sagt Angela ihrem Vater Pin-Jui, den die New Yorkerin gerade vom Flughafen abgeholt hat. Warum er ihr nichts von dem Begräbnis in Taiwan erzählt habe, will Angela wissen. Sie hätte ihre Großmutter ja kaum gekannt, sagt Pin-Jui. Als sie sie das letzte Mal gesehen habe, sei sie noch ein Kind gewesen.
Auch "Tigertail", das Spielfilmdebüt von Alan Yang, einem US-Amerikaner, der selbst taiwanesische Wurzeln hat, bedient sich einer Rahmenhandlung in der Gegenwart, die mit langen Rückblenden verbunden wird. Sie zeigen Pin-Jui als jungen Mann in Taiwan.
Immigrationsgeschichte ohne Pathos
Wo er Tanzen gelernt habe, will Yuan wissen, das Mädchen, in das Pin-Jui verliebt ist. "Durch amerikanische Filme" sagt er. Irgendwann gehe er in die USA. Ob sie mitkommen könne. "Klar" antwortet Pin-Jui. Mit wem solle er sonst dort tanzen?
Selten ist eine Immigrationsgeschichte, die sich über Jahrzehnte erstreckt, mit so viel Understatement erzählt worden. "Tigertail" benötigt nur wenige Pinselstriche. In der Einfachheit liegt hier nicht unbedingt Genialität, aber die auf derart ökonomische Weise herausgefilterte Essenz eines Lebens berührt.
"Tigertail" (im Original mit deutschen Untertiteln) zum Streamen auf Netflix
Das erste Mal in 20 Jahren stehe er ohne Band da. Liam Gallagher über das Aus von Oasis im Jahr 2009. Aber wer wisse schon, was da noch Abgefahrenes auf ihn warte. Also anschnallen und auf der Welle reiten! Mal sehen, wohin sie ihn trage.
Er sei stolz darauf, am Leben und nicht draufgegangen zu sein. Er lasse sich nicht unterkriegen von denjenigen, die seit zehn Jahren sagen: "Er ist sowieso bald tot, er schießt sich das Hirn raus oder nimmt ´ne Überdosis." Aber es werde nicht passieren. Er stehe das durch.
Promotion im Stil einer Passionsgeschichte
Über den Bad Boy der britischen Musikszene haben die Filmemacher Charlie Lightening und Gavin Fitzgerald ein Porträt gedreht. Das ist ein Potpourri aus Archivaufnahmen, Konzertmitschnitten sowie Interviews mit Weggefährten und Familienmitgliedern, allerdings – wenig überraschend – ohne Bruder Noel Gallagher. Der legendäre Bruderzwist, der von den Medien mit Kain-und-Abel-Vergleichen kommentiert wurde, ist der rote Faden des Films. In dem feiert sich Liam penetrant als Stehaufmännchen.
Er sei stolz darauf am Leben und nicht draufgegangen zu sein. Er lasse sich nicht unterkriegen von denjenigen, die seit zehn Jahren sagen: "Er ist sowieso bald tot, er schießt sich das Hirn raus oder nimmt ´ne Überdosis." Aber es werde nicht passieren. Er stehe das durch.
Das ist peinliche PR, die aus "As it was" eine Passionsgeschichte macht. Stoff für Liam-Gallagher-Fans, aber alles andere als eine differenzierte "Rockumentary".
"Liam Gallagher: As it was" als Video-on-Demand im Salzgeber Club auf dem Internetportal Vimeo sowie als DVD